Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, Flüchtlingsbeauftragter der deutschen Bischöfe, ist von der Hilfsbereitschaft im Norden beeindruckt.
Stefan Heße, 49, wurde am 26. Januar 2015 von Papst Franziskus zum Erzbischof von Hamburg ernannt. Der Kölner Domkapitular trat sein Amt nach der Weihe am 14. März an.
Hamburger Abendblatt: Haben Sie heute morgen ein Kalendertürchen geöffnet?
Erzbischof Dr. Stefan Heße: Ja, ich habe aber keinen Adventskalender mit Türchen, sondern einen mit Tüten. Heute war was Süßes drin.
Wenn Sie an Ihre Heimatstadt Köln denken, an den Dom, davor den Weihnachtsmarkt, den Rhein, den Karneval – wann ist Ihr Heimweh am größten?
Heße: Das wundert mich selbst: Bisher habe ich kein Heimweh gehabt. Seit März bin ich Erzbischof in Hamburg und dachte, das kommt bald. Aber es kam bisher nicht.
Weil Sie so viel zu tun haben?
Heße: Vielleicht, irgendwas hat mich immer davon abgelenkt.
Und jetzt zur Weihnachtszeit? Ihre Eltern leben doch weiter in Köln.
Heße: Die kommen über Weihnachten nach Hamburg. Ich fühle mich hier in der Stadt wohl, auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg sind schön, und der Mariendom hat auch zwei Türme wie der Dom in Köln.
Auf welche Freiheiten müssen Sie als Bischof verzichten?
Heße: Das Zeitfenster ist noch enger als in meiner Zeit als Generalvikar in Köln. Mein Terminkalender ist randvoll.
Sind Sie noch in der Eingewöhnung?
Heße: Das dauert wohl ein Jahr oder länger. Ich lerne viele neue Menschen und Orte kennen.
Ihre schönste Erfahrung bisher?
Heße: Die Begegnungen mit den Menschen in den Gemeinden, die Landschaften und Küsten, die weiten Landstriche etwa in Mecklenburg. Der Norden ist herrlich.
Und was war Ihre größte Enttäuschung?
Heße: Ich bin eher positiv überrascht über das, was in der kleinen Diasporakirche möglich ist, zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe.
Anders als im Rheinland?
Heße: Ich erlebe die Norddeutschen nicht so kühl, wie oft behauptet wird.
Gibt es einen Unterschied zwischen der Hilfsbereitschaft hier im Norden und im Rheinland?
Hamburger Preis für Flüchtlingshilfe
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Heße: Die Menschen hier engagieren sich sehr, sehr intensiv. Natürlich kann man mit einem Bistum von zwei Millionen Katholiken wie in Köln mehr bewegen als im Erzbistum Hamburg mit knapp 400.000 Katholiken.
Denen haben Sie kürzlich allen einen Brief geschrieben – mit einem Überweisungsträger, um für Flüchtlinge zu spenden. Gab es daran Kritik?
Heße: Die eine oder andere kritische Stimme gab es nach dem Motto: Ich gebe nichts für Muslime oder für Flüchtlinge.
Welche Summe kam zusammen?
Heße: Bisher mehr als 500.000 Euro, die komplett der Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt werden.
Was können Sie in Ihrer neuen Funktion als Flüchtlingsbeauftragter der deutschen Bischöfe bewirken?
Heße: Ich werde Hamburger Erfahrungen in die Bischofskonferenz einbringen und von dort Impulse hierher.
Welche zum Beispiel?
Heße: Von der Willkommenskultur bis zu Fragen der Integration. Von Erfahrungen, die anderswo in den Schulen gemacht werden, profitieren unsere katholischen Schulen hier. Wir haben im Bistum einen eigenen hauptamtlichen Flüchtlingskoordinator. Ehrenamtliche Flüchtlingsseelsorger, wie in Magdeburg, können ein gutes Modell auch für andere sein.
Sie sind für den Nachzug der Flüchtlingsfamilien und gegen eine Obergrenze des Zuzugs. Spüren Sie auch Gegenwind?
Heße: Klar, es gibt Menschen, die mir ihre Sorgen sagen, wie Deutschland das leisten kann, wenn so viele Fremde, die anders sind, zu uns kommen. Manche meinen, die Kirche sollte sich da ganz raushalten. Ich meine: Wir sind zwar keine Politiker, aber wir sollten Impulse geben und Maßstäbe setzen als Orientierung für die Politik. Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir das als katholische Kirche tun. Die evangelischen Mitchristen machen das auch.
Der Papst hat vorgeschlagen, dass jede Kirchengemeinde eine Flüchtlingsfamilie aufnimmt. Prüfen Sie das nach?
Heße: Gemessen an der Zahl unserer Gemeinden liegen wir in Deutschland sogar weit darüber. Wir haken aber nicht jede Pfarrei ab. Manche kann das räumlich gar nicht, andere schaffen es, fünf Familien Quartier zu geben.
Viele vermieten die Räume aber.
Heße: Es gibt bundesweit über 800 mietfreie Objekte, auch in unserem Bistum. Es gibt sogar eine Gemeinde, die überlegt, wie es mit ihrer Kirche weitergehen soll, und die sich vorstellen kann, daraus eine Flüchtlingsunterkunft zu machen. Das begleiten wir in Absprache mit der Kommune.
Warum ist die Zahl der Kirchenasyle in der evangelischen Nordkirche viel höher als im Erzbistum?
Heße: Die evangelische Kirche geht mit dem Thema schon lange viel offensiver um. Und sie ist natürlich auch die größere Kirche. Kirchenasyle gibt es bei uns an wenigen Orten. Die Gemeinden gehen in der Regel diskret damit um. Und natürlich müssen wir uns auch als Kirche an das Recht halten.
Würden Sie einschreiten, wenn das Recht nicht eingehalten wird?
Heße: Wir versuchen das in gutem Einvernehmen mit den Behörden zu regeln. Und das klappt auch.
Was bedeuten die Flüchtlinge kulturell, sozial und wirtschaftlich?
Heße: Es ist dringend nötig, über die Grundlagen unserer Gesellschaft ins Gespräch zu kommen. Vor Jahren gab es die wenig geglückte Debatte über die Leitkultur. Die Frage bleibt aber: Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Was prägt sie? Was bedeuten christliche Werte? Wir Kirchen sind gefordert, darüber in einen Dialog einzutreten.
Das heißt, wir müssen auf die Muslime zugehen?
Heße: Wir brauchen einen interkulturellen Dialog. Wir müssen aus früheren Einwanderungswellen lernen, in denen die Integration nicht geglückt ist. Das setzt voraus, dass Flüchtlinge unsere Sprache lernen und wir gegenseitig Ängste abbauen.
Sollen denn alle Flüchtlinge dauerhaft hierbleiben?
Heße: Sie kommen hierher, weil sie in ihrer Heimat nicht bleiben können. Ein Land wie Deutschland zieht sie an. Eine politische Aufgabe ist es aber auch, Fluchtursachen zu beseitigen.
Ist das ein Thema auch für Sie als Flüchtlingsbeauftragter?
Heße: Ja, weil wir als Kirche international aufgestellt sind, auch mit unseren Hilfswerken, die in Syrien und im Irak aktiv sind. Von den 100 Millionen Euro, die von den Diözesen zusätzlich aufgelegt wurden, gehen etwa 30 Millionen Euro in die Arbeit vor Ort, um Betroffene gar nicht erst in eine Fluchtsituation zu bringen.
Was sagen Sie zur Entscheidung der Bundesregierung, auch militärisch in den Konflikt einzugreifen?
Heße: Nach meiner Information geht es um militärische Aufklärung. Es zeigt sich, dass der Konflikt auf humanitäre Art allein wohl nicht zu lösen sein wird.
Durch den IS sind auch viele Christen bedroht. Sollte man mit den IS-Terroristen darüber verhandeln?
Heße: Die Gewalt des IS richtet sich gegen alle, die nicht seine religiösen Vorstellungen teilen. Also nicht nur gegen Christen. Mit Terroristen kann man nicht verhandeln. Alle Religionen sollten in dieser Situation zusammenstehen und jede Gewalt im Namen der Religion grundsätzlich ablehnen.
Trifft das auf den Islam insgesamt zu?
Heße: Es gibt nicht den Islam. Es gibt, wie im Christentum, verschiedene Auslegungen und Traditionen, die sich sehr unterscheiden. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland hat einen türkischen Migrationshintergrund. Der türkisch geprägte Islam hat einen anderen kulturellen und geschichtlichen Hintergrund als der arabische.
Ist der IS-Terror mit christlicher Gewalt wie den Kreuzzügen gleichzusetzen?
Heße: Historische Vergleiche sind immer schwierig. Der Terror des IS ist ein modernes Phänomen. Ein Gewaltexzess, der auch bei der großen Mehrheit der Muslime auf Ablehnung stößt. Gemeinsam können wir ein Zeichen setzen, indem wir uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen, sondern unsere Verantwortung vor dem Schöpfer und seinen Geschöpfen ernst nehmen. Maßstab für uns Christen ist die Barmherzigkeit, die den Hass überwinden wird.
Sie sind der jüngste deutsche Bischof und wurden gleich zum Flüchtlingsbeauftragten ernannt. War das nicht ein bisschen viel auf einmal?
Heße: Die Bischöfe haben mich gebeten, das zu tun, auch weil die Flüchtlingsthematik in Hamburg eine große Bedeutung hat.
Wie weit reicht Ihr Einfluss in die Gemeinden? Ihr Vorgänger hat einer Gemeinde untersagt, Räume für die Beratung von Donum vitae bereitzustellen.
Heße: Wenn Erzbischof Thissen so gehandelt hat, wird er das aus seinem Gewissen heraus gemacht haben. Ich würde das mit einem Gespräch mit der Gemeinde klären. Der Bischof muss auf die Einhaltung der Lehre achten und ist verpflichtet, im Zweifelsfall auch einzuschreiten.
Vielen Katholiken muten Sie durch die Auflösung bestehender Pfarreien und die Schaffung großer sogenannter Pastoraler Räume derzeit einiges zu. Spüren Sie Unzufriedenheit?
Heße: Das sind große Veränderungsprozesse, und ich spreche mit vielen Menschen, auch Seelsorgern, die sagen, wie schwer ihnen das fällt. Aber das ist eine Antwort auf die veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Kirche wird kleiner und muss sich fragen, wie kann sie sich neu aufstellen.
Wie kann Kirche unter diesen Umständen weiter bestehen?
Heße: Meine Idee ist: Die Getauften und Gefirmten, alle, die zur Kirche gehören, müssen sich einbringen. Daraus sollen sich Impulse entwickeln nach dem Motto: Es ist so etwas Großartiges, Christ zu sein. Daraus lebe ich. Strukturfragen dürfen das nicht zukleistern.
Aber der Grund der Veränderung ist der Priestermangel und der Versuch, für die wenigen Priester Zuschnitte zu schaffen.
Heße: Der Gläubigenmangel ist ein ebenso wichtiger Faktor.
Warum wird mehr Verantwortung für Laien nur zögerlich übertragen?
Heße: Das finde ich nicht. Ich höre, dass einige sogar sagen, es wird uns langsam zu viel, was wir an Verantwortung übernehmen müssen.
Sie haben ein großes Personalproblem.
Flüchtlinge: Impressionen aus Hamburg und Europa
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Heße: Die Zahl der Hauptamtlichen in der Kirche wird kleiner. Da Lösungen zu finden wird nicht einfach sein. Das habe ich auch dem Papst geschildert.
Haben Sie den Papst nach Hamburg eingeladen?
Heße: Das steht mir nicht zu, aber er hat ein großes Interesse an Hamburg, weil er mehrfach hier war in seiner Zeit als Jesuitenpater. Auch die Lübecker Märtyrer sind ihm ein Begriff.
Wenn der Papst im Kleinwagen vorfährt, müssen Sie bei Ihrer Dienstwagenwahl doch darauf Rücksicht nehmen, oder?
Heße: Der Papst muss nicht so weite Wege im Auto machen. Ich fahre von Hamburg nach Neubrandenburg oder Sylt mehrere Stunden. Ich bin nie in meinem Leben so viel unterwegs gewesen wie in diesem Riesenbistum. Im Auto arbeite ich, um nicht Stunden zu verlieren. Die schlichte Art des Papstes zu leben ist aber auch für uns ein Anspruch, ebenso wie seine Art zu denken.
Was erhoffen Sie sich vom Papst zum Beispiel nach der Familiensynode?
Heße: Ich erhoffe mir eine Brücke zwischen den Idealen, die wir mit der Familie verbinden, und der Realität vieler Menschen, die mit dem Scheitern ihrer Ideale klarkommen müssen, und auch mehr Spielraum für die Seelsorger.
Würden Sie einem geschiedenen Wiederverheirateten die Kommunion geben?
Heße: An der Kommunionbank soll man kein Ärgernis erregen. Ich würde immer versuchen, mit ihm über seine Gründe zu sprechen. Aber darüber urteile ich nicht öffentlich.
Wie könnte das Erzbistum in zehn Jahren aussehen?
Heße: Mir liegt an einer Stärkung des Glaubens und einer Glaubensvertiefung in gemeinschaftlichen Formen. Und Glauben muss in die Tat fließen. Deshalb kann die Flüchtlingshilfe dem Glauben Hand und Fuß geben.
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