Wer die Flüchtlingskrise lösen will, muss Ursachen bekämpfen
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Hamburg. Ein Appell der Flüchtlingsreporterin Mays Albeer für Grenzkontrollen – beim IS. Sind die Flüchtlinge nur die Spitze des Eisbergs?
Die Europäische Union ist damit beschäftigt, das Problem zu lösen, das sie Flüchtlingskrise nennt. Im Nahen Osten haben viele den Westen immer respektiert und vielleicht auch bewundert. Für die Fähigkeit, Dinge logisch zu betrachten und für die Vernunft, lösungs- und ergebnisorientiert zu handeln. Und jetzt das: Plötzlich steht die EU mit der Flüchtlingskrise vor ihrer größten Bewährungsprobe. Aber ist es wirklich eine Flüchtlingskrise, oder sind die Flüchtlinge nur die Spitze des Eisbergs?
Kann ein Problem gelöst werden, indem man sich nur um die Konsequenzen und nicht um die Ursachen kümmert? Derzeit scheint der Fokus darauf zu liegen, die Flut der einreisenden Flüchtlinge an den Grenzen zu kontrollieren – oder sie am besten gar nicht erst bis dahin kommen zu lassen.
Deswegen hat die EU einen Deal mit der Türkei gemacht. Die Türkei bekommt Geld und soll im Gegenzug einen Großteil der Flüchtlinge behalten. Wie es den Flüchtlingen dann dort ergeht, ist nicht mehr wichtig.
Eine andere Möglichkeit, die Flüchtlinge gar nicht erst kommen zu lassen, ist die Bekämpfung der Schleuser. Schleuser sind schließlich böse, weil sie die Menschen auf illegale Weise nach Europa bringen. Das Absurde ist aber, dass der illegale Weg der einzige Weg ist, um am Ende legal Asyl zu beantragen. Man muss sich also fragen, wer eigentlich für die illegalen Flüchtlinge verantwortlich ist.
Das Problem ist nicht die Flüchtlingskrise, sondern es sind die Krisenregionen, die unter den Kriegen leiden. Klar könnte man sagen: Was hat die EU mit den Problemen im Nahen Osten, in Syrien oder im Irak zu tun? In den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls ziemlich viel. Mehr als zehn Jahre meines Lebens lebte ich im Irak unter einem Wirtschaftsembargo, das Nahrung und Medizin für mehr als 30 Millionen Menschen reguliert hat. Warum? Weil ein irrer Diktator meinte, dass er 1990 Kuwait einnehmen müsste. Dafür haben wir bitter bezahlen müssen. Eine Allianz aus 33 Ländern – an der Spitze die USA – hat daraufhin unser Land zerbombt und uns wirtschaftlich auf den Boden geworfen. Sie sagten, dass es für den Frieden gewesen sei.
Flüchtlinge: Impressionen aus Hamburg und Europa
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Das sagten sie auch etwas mehr als zehn Jahre später. Damals hatten die USA den Verdacht (den Verdacht!), dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitzt und dass diese sie bedrohen könnten. Das Resultat war dasselbe. Wieder wurde unser Land zerstört – und alle haben zugesehen. Dass es diese Waffen gar nicht gegeben hat, hat keinen mehr interessiert. Und entschuldigt hat sich auch keiner.
Und jetzt der IS, eine Terroristen-Gang, die ihre Grausamkeiten vor den Augen der Welt und der Vereinten Nationen verübt. Die ihre Massaker sogar ins Netz stellt, für jeden mit einem Klick verfügbar. Und der IS ist auch eine Wirtschaftsmacht, die Öl über die Grenzen hinweg verkauft. Grenzen, über die der IS andersherum an Waffen und Munition gelangt – vom Himmel fallen sie jedenfalls nicht. Grenzen, die niemand kontrolliert. Dass hier die eigentlichen Grenzkontrollen stattfinden müssten, diskutiert niemand.
Die Medien sind voll mit Artikeln über die Flüchtlingskrise. Aber wie viele Artikel haben Sie darüber gelesen, was wir tun (oder nicht mehr tun sollten), um die wahren Probleme zu lösen? Und so geht das Leiden weiter. Sind die Medien und Politiker des Westens – den wir so bewundert haben – wirklich von Prinzipien und Werten getrieben? Oder zumindest von einer gemeinsamen Überzeugung und Integrität? Oder ist es am Ende ein ganz anderer Wert, um den es geht: Geld?
Der Text entstand in Zusammenarbeit mit unserer Redakteurin Juliane Kmieciak
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