Hamburg. Das Unternehmen übernimmt den Konkurrenten Freescale aus den USA. Was das für den Deutschland-Sitz in Hamburg bedeutet.
NXP steigt mit der Übernahme des amerikanischen Konkurrenten Freescale zum weltweit viertgrößten Chiphersteller auf. Was bedeutet das für den Standort Hamburg, immerhin gehören die Mitarbeiter ab sofort zu einer Unternehmensgruppe mit rund 45.000 Beschäftigten in 35 Ländern? Rüdiger Stroh, Sprecher der Geschäftsführung von NXP Deutschland und Konzernvorstand der Gruppe für den Geschäftsbereich Security & Connectivity, (Sicherheit und Vernetzung) über die Chancen und Risiken der Fusion und eine Welt, in der bald alles miteinander vernetzt sein wird, von der Waschmaschine bis zum Rasensprenger.
Hamburger Abendblatt: Gestern haben Sie die Fusion offiziell verkündet. NXP hat für 16,7 Milliarden Dollar Freescale aus Texas übernommen. Wie haben Sie den großen Tag begangen?
Rüdiger Stroh: Wir haben hier auf dem Firmengelände in Lokstedt einen Weihnachtsmarkt aufgebaut und mit Glühwein angestoßen. Ein texanisches Barbecue gab es bisher noch nicht, vielleicht im nächsten Jahr. (lacht)
Die Chipbranche steht insbesondere durch asiatische Konkurrenz derzeit stark unter Druck. Die Fusion mit Freescale soll für NXP Kosteneinsparungen von insgesamt 500 Millionen Dollar bringen. Was sind die Folgen für Ihre 1800 Mitarbeiter in Hamburg?
Stroh: Wir werden weiter wachsen und unseren geplanten Stellenaufbau für 2016 umsetzen.
In den vergangenen zwölf Monaten haben Sie 100 neue Arbeitsplätze in Hamburg geschaffen. Wie viele Jobs werden es 2016 sein?
Stroh: Das ist noch unklar. Nur soviel: Überschneidungen mit Freescale gibt es in unseren Bereichen nicht. Unser Neubau hier auf dem Gelände ist im Plan, wir brauchen dringend mehr Platz und werden im Frühjahr 2017 endlich einziehen können.
Und woher sollen die 500 Millionen Dollar kommen? Immerhin sagen Analysten von Morgan Stanley, nur durch Kostensenkungen ließen sich mit Chips noch vernünftige Gewinne schreiben.
Stroh: Wir verdoppeln mit der Fusion unseren Umsatz. Das bedeutet: Unser Einkaufsvolumen wächst entsprechend. Wir werden für unsere Fabriken in aller Welt viel günstiger einkaufen können. Diese Einsparungen dürften einen Großteil der Synergieeffekte ausmachen.
Wie sind die sonstige Auswirkungen auf die Standorte in Deutschland?
Stroh: Die Standorte von Freescale und NXP in München werden zusammengelegt. Dabei könnten Arbeitsplätze wegfallen. Und natürlich besetzen wir Verwaltungspositionen nicht doppelt. Ein Beispiel: Der neue weltweite Finanzchef wird mit seiner Arbeit von Eindhoven in den Niederlanden aus diese bisher auch bei Freescale vorhandene Position mit abdecken – und viel reisen.
NXP in Hamburg produziert Sicherheitschips für Pässe, und Halbleiter, die das Bezahlen per Handy ermöglichen. Sie bieten auch Technologien für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen an. Was bringt Freescale in die Fusion ein?
Stroh: Freescale ergänzt unser Technologieportfolio im Bereich Lösungen für die Automobilindustrie und im Bereich Mikroprozessoren, in welchem wir nun ein maximal breites Anwendungsspektrum abdecken. Die Fusion macht uns in diesen Feldern zur weltweiten Nummer eins. Chips in Netzwerken sorgen dafür, dass Daten hin- und hergeschafft werden, ob drahtlos oder per Kabel. Wir ergänzen uns gut, es gibt kaum Überschneidungen.
Und bei den Kunden?
Stroh : NXP verkauft an Autozulieferer wie Continental oder Bosch, wenn es zum Beispiel um Chips für Autofunkschlüssel geht. Bei den mobilen Geräten wie Handys oder Tablets, die wir mit Halbleitern ausstatten, liefern wir an Apple, Samsung, HTC oder Huawei. Freescale versorgt nicht wie wir wenige, große Kunden, sondern einen breiten Markt, etwa Hersteller von Waschmaschinen oder Fernseher.
Allein in Hamburg arbeiten mehrere Hundert Experten bei NXP an der digitalen Welt der Zukunft. Werden Sie jetzt ein größeres Augenmerk auf Fahrassistenzsysteme für US-Vans oder digitale Öfen für Truthahnbraten legen?
Stroh : Nein, nicht unbedingt. (lacht) Ich bin in der ganzen Welt bei Kunden unterwegs und fliege dabei so viel, dass ich von der Lufthansa gerade die Nachricht bekommen habe, ich sei so oft auf Reisen wie die eigene Crew.
Sie wohnen in Hamburg und im Silicon Valley – und lassen sich zusätzlich auf der ganzen Welt inspirieren?
Stroh : Ja, es geht in den Gesprächen mit unseren Kunden um Smart Homes für Chinesen und Amerikaner, die den Rasensprenger und die Lichtanlage mit ihrem Smartphone steuern wollen. Wir entwickeln für Londoner, die in der U-Bahn mit ihrem Handy bezahlen. Oder für deutsche Automarken, deren Oberklassemodelle die Fahrer vor jeder scharfen Kurve warnen.
Gerade chinesische Firmen sind auf dem Sprung, sowohl bei Smartphones wie auch in der Auto- und Flugzeugindustrie setzen sie sich ehrgeizige Ziele, und auch in der Chipbranche fährt die Volksrepublik auf der Überholspur. Wie reagieren Sie darauf?
Stroh : Auch hier können wir von dem Kauf von Freescale profitieren. Die Amerikaner sind in China sehr präsent.
Sie haben das ehrgeizige Ziel, schon bald wesentlich schneller zu wachsen als die Wettbewerber, schneller als Intel, Infineon oder Avago. Dabei ist die Fusion an sich auch eine Herausforderung. Schließlich ist die „Hochzeit im Himmel“ von Daimler und Chrysler gescheitert, unter anderem wegen verschiedener Kulturen.
Stroh : Die Texaner sind sehr stolze Menschen, ihr Selbstbewusstsein ist vergleichbar mit dem der Bayern in Deutschland. Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, nun alleine den Weg bestimmen zu wollen, als Europäer alles besser zu wissen. Vermutlich werde ich mir demnächst erst einmal Westernstiefel für meinen nächsten Besuch in Austin kaufen. (lacht)
Welche unterschiedlichen Qualitäten bringen denn Amerikaner und Europäer in die neue NXP-Gruppe ein?
Stroh : Wir stehen für Themen rund um Sicherheit, die Entwickler in den Vereinigten Staaten für Schnelligkeit. Hier müssen wir einen Mittelweg finden. Ein digital gesteuerter Rasensprenger muss nicht den gleichen Sicherheitsanforderungen genügen wie ein Reisepass. Aber ich möchte auch nicht, dass mein Nachbar ihn einfach anstellen kann, nur um mich zu ärgern.
Infineon kauft Rectifier, Avago übernimmt Broadcom, NXP schluckt Freescale – eine milliardenschwere Akquisition jagt in Ihrer Branche die nächste. Wie geht es weiter?
Stroh : Wir wollen in jedem einzelnen Geschäftsfeld, in der Sicherheit, im Automobilbereich, zwei Mal so groß werden wie der nächste Wettbewerber. So können wir hohe Entwicklungskosten stemmen und mit Innovationen punkten.
Dabei erwarten Marktbeobachter bei Chips in diesem Jahr nur ein Weltmarktwachstum von vier Prozent auf 354 Milliarden Dollar – in ihren besten Zeiten war die Branche zweistellige Zuwachsraten gewohnt. Wie können Sie die Verkäufe steigern?
Stroh : Wir treten mit Freescale als Anbieter von Gesamtlösungen an, vertiefen die Wertschöpfungskette. Das macht aus Sicht der Kunden Sinn. Außerdem müssen wir endlich mehr Standards und Vereinfachungen schaffen: Warum kann ich das Navi in meinem Auto nicht mit der selben Benutzeroberfläche steuern wie das meines Smartphones? Warum brauche ich für mein Smart Home verschiedene Fernbedienungen, für die Heizungsthermostate, die Alarmanlage oder die Beleuchtung? Diese Dinge müssen viel einfacher werden, dann setzen sie sich auch in unserem Alltag durch.