Wo Anwohner sich gegen Flüchtlingsunterkünfte wehren
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Hamburg. An immer mehr Standorten klagen Bürger gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte. Stadt will bei Platzzahlen nicht nachgeben.
Von den 46.100 Plätzen, die Hamburg bis Ende kommenden Jahres in Flüchtlingsunterkünftenschaffen will, stehen 23.490 Plätze auf der Kippe. In sechs Fällen laufen Klagen gegen die Stadt, in neun weiteren werden sie erwogen oder schon vorbereitet. Trotzdem reagiert die Stadt mit Härte auf die wachsenden Widerstände.
Die Sprecherin des Hamburger Flüchtlingskoordinators, Christiane Kuhrt, sagte, dass auf die mit Anwohnerklagen einhergehenden Unwägbarkeiten nur mit der Prüfung aller potenziell geeigneten Flächen reagiert werden könne, um im Zweifel Ersatzgrundstücke zu haben.
Auf die Frage nach der Verhandlungsbereitschaft der Stadt ging sie nicht ein. Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel hatte vor wenigen Tagen erklärt, dass die Stadt sich „weitgehend im Recht“ sehe und nicht „zu einer Kultur des Teppichhandels kommen“ wolle. „Wir dürfen keinen Anreiz schaffen, sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen zu wehren.“
Kuhrt ergänzte, dass Kritik der Bürger aufgenommen werde, wenn sie umsetzbar sei. „An den Platzzahlen kann die Verwaltung allerdings mit Blick auf die hohe Zuwanderung nichts ändern.“ Wer eine Begrenzung fordere, solle realisierbare Alternativen vorlegen, „denn die Geflüchteten müssen untergebracht werden“, sagte Kuhrt.
Der Bergedorfer CDU-Bezirksfraktionschef Sven Noetzel hielt dagegen und verwies auf ein in der Bergedorfer Bezirksversammlung verabschiedetes Papier vom Sommer, das der Stadt 1200 Plätze in Unterkünften mit überschaubaren Größenordnungen vorgeschlagen habe und mittlerweile auf Flächen für insgesamt 6500 Menschen erweitert worden sei. „Auf die Antwort der Landesbehörden warten wir heute noch.“ Stattdessen hätte die Senatsebene entschieden, nur eine einzige Großunterkunft mit 4000 Plätzen im Gleisdreieck (Mittlerer Landweg) zu bauen.
Unklar ist vielen Kritikern der Stadt, warum auf der einen Seite die akute Notsituation begründen soll, warum schnell und groß gebaut wird, andererseits aber diese Notbauten trotzdem extrem langlebig in Stein geplant werden. Viele glauben es der Stadt auch schlicht nicht, dass eine kleinteiligere Unterbringung unmöglich sein soll. Es gibt eine massive Vertrauenskrise, die die regelmäßig verspäteten Bürgerinformationsabende der Behörden kräftig verstärkt haben. Viele trauen es den Behörden nicht mehr zu, die Krise in den Griff zu bekommen, sagte der Verwaltungsrechtler Gero Tuttlewski von Klemm & Partner, der die meisten Verfahren gegen die Stadt führt. Er sprach von falschen Zahlen, die die Stadt für ihre Belegungen nenne. Auch gebe es keine verlässlichen Angaben über etwaige Befristungen der Unterkünfte. Eine Nutzungsbeschränkung auf zum Beispiel 15 Jahre könne die Stadt mit einem Federstrich ändern, weil die Vertragspartner „Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen“ und „Fördern & Wohnen“ beide auf denselben Herrn hören: die Stadt.
Die Bürger möchten nicht mehr nur informiert werden, sondern besonders bei der Festlegung der Unterkunftsgröße mitreden. Die Stadt dagegen will genau das nicht. Sie glaubt, dass die Verteilung der Lasten zentral entschieden und nicht dezentral vor Ort verhandelt werden kann.
Das Verfahren zu den Sophienterrassen (mit Vergleich abgeschlossen) und vor allem die Entscheidung zu Klein Borstel hat bei Anwohnern die Hoffnung genährt, dass zumindest die mit Polizeirecht ohne Baugenehmigung errichteten Unterkünfte vor Gericht nicht bestehen können.
Flüchtlinge: Impressionen aus Hamburg und Europa
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Im Fall Klein Borstels hatte das Verwaltungsgericht den schon laufenden Bau der Modulhäuser für 700 Flüchtlinge gestoppt. Die Stadt und ihr Betrieb „Fördern & Wohnen“ hatten gegen den noch gültigen Bebauungsplan, der „friedhofsnahe Nutzungen“ auf der Grünfläche vorsieht, auf der Basis des Polizeirechts ohne Baugenehmigung zu bauen begonnen. Die damit verbundene Einschränkung der Nachbarschaftsrechte begründete die Stadt mit der „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“, die von der drohenden Obdachlosigkeit von Flüchtlingen ausgehe. Nach diesem Muster verfährt die Stadt bei mehr als 45 weiteren Unterkünften.
Im Fall der Klein Borsteler entschied das Gericht aber, dass Polizeirecht geltende Gesetze nicht außer Kraft setze, und bejahte auch eine „Schutzfunktion“ der Bestimmung, die die strittige Fläche für Friedhofsnutzung reserviert. Allerdings hat die Stadt Beschwerde eingelegt, der letztinstanzliche Spruch des Oberverwaltungsgerichts steht noch aus. Und im Stadtteil demonstrierten die Unterstützer der Flüchtlingsunterkunft gegen den Baustopp und ihre klagenden Nachbarn.
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