Gero Tuttlewski – Der Anwalt, der die Stadt verklagt
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Hamburg. Der Jurist vertritt Hamburger bei Klagen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Seine Dienste sind stark nachgefragt.
Ein lichtdurchflutetes Büro im alten denkmalgeschützten Badehaus am Bergedorfer Reetwerder, vom Schreibtisch sieht man auf die Bille und den Schlosspark. Doch Gero Tuttlewski hat für die Idylle keinen Blick. Er arbeitet sich konzentriert durch Aktenberge.
Der 43-Jährige, spezialisiert auf Baurecht, ist derzeit gut im Geschäft. Tuttlewski vertritt die Hamburger, die sich gegen Flüchtlingsunterkünftein ihren Wohngebieten wehren – egal ob an der Sophienterrasse in Harvestehude, in Neugraben-Fischbek oder in Klein-Borstel, wo das Verwaltungsgericht vor Kurzem einen Baustopp gegen eine Flüchtlingsunterkunft verhängte. Kürzlich reichte er für Anwohner in Lemsahl-Mellingstedt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die dort geplante Zentrale Ersteinrichtung mit mehr als 1000 Plätzen ein.
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Dem Juristen ist wichtig: „Meine Mandanten wollen nicht verhindern, dass eine Flüchtlingsunterkunft gebaut wird, sondern meist geht es um die Dimensionen. Zu mir kommen sie dann, weil sie sich gegenüber dem Staat hilflos fühlen.“ Vor zwölf Jahren hatte Tuttlewski nach seinem Studium an der Uni Hamburg bei der Kanzlei Klemm&Partner – die am Reetwerder auf drei Etagen mit elf Anwälten ihren Sitz hat – angefangen. „Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich einen starken Gerechtigkeitssinn habe und den Menschen zu ihrem Recht verhelfen möchte“, sagt er. Außerdem schätzt er es, dass „man sich ständig in einem Wettkampf befindet – und den will man natürlich am Ende gewinnen.“ Die Herausforderung im Verwaltungsrecht sei, dass man Bürgern gegenüber dem übermächtig erscheinenden Verwaltungsapparat zur Seite stehen könne.
Der Kampf um die Sophienterrasse war für ihn beruflich ein Wendepunkt
Der gebürtige Kellinghusener, der mit seiner Frau und zwei Kindern im Umland von Bergedorf wohnt, hat in den vergangenen Jahren ungezählte Baugenehmigungen durchgefochten, darunter viele große Projekte. Aber dann kam der Tag, an dem Tuttlewski zum ersten Mal mit seinem neuen Spezialgebiet konfrontiert wurde. Es war im Juli 2014 – drei Grundeigentümer aus Harvestehude wandten sich an ihn. Die Stadt plante, das ehemalige Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse zu einer Flüchtlingsunterkunft für bis zu 220 Menschen umzubauen. Die Anlieger wollten das nicht hinnehmen. Tuttlewskis erster Gedanke: „Das, was die Stadt da machen will, ist rechtswidrig. Die geplante Unterkunft war völlig überdimensioniert für ein geschütztes Wohngebiet.“
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Er nahm das Mandat an. „Ich hätte aber nie gedacht, was da auf mich zukommen würde.“ Die Klage der Harvestehuder gegen das Flüchtlingsheim wurde das Gesprächsthema in der Stadt. Viele Bürger und Politiker übten scharfe Kritik, auch im Bürgerschaftswahlkampf war es ein Thema. Seine Mandanten traten nie an die Öffentlichkeit. Das war die Aufgabe des Anwalts. Keine einfache Zeit, denn nun stand Tuttlewski im Fokus. „Mir geht es darum, für meine Mandanten den bestmöglichen Job zu machen, und ich will nicht jeden Tag meinen Namen in der Zeitung lesen, schon gar nicht, wenn das Thema so hochkocht.“
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: „Ich habe E-Mails bekommen, in denen ich wüst beschimpft oder bedroht wurde.“ Gab es einen Moment, an dem er alles hinschmeißen wollte? Tuttlewski hält einen Augenblick inne und sagt: „Nein. Wenn ich Gegenwind verspüre, dann wird erst recht mein Kampfgeist geweckt.“
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Das Ergebnis ist bekannt: Vor dem Verwaltungsgericht erwirkte der Anwalt einen Baustopp an der Sophienterrasse, der später auch vom Oberverwaltungsgericht bestätigt wurde. Schließlich einigten sich das Bezirksamt und Tuttlewski im September auf einen Vergleich. Noch vor Weihnachten sollen im ehemaligen Kreiswehrersatzamt nun 190 anstatt 220 Flüchtlingen einziehen können, begrenzt auf eine Nutzungsdauer bis 2024.
Generell fordert Tuttlewski eine möglichst dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. „Es ist klar, dass Immobilien an Wert verlieren, wenn die Stadt in unmittelbarer Nähe Flüchtlingsunterkünfte mit Hunderten oder gar Tausenden Personen einrichtet.“ Deshalb wäre es eine „geeignete Maßnahme, wenn die Stadt die Grundeigentümer für die Wertminderung entschädigt.“ Die Stadt müsse begreifen, „dass sie gemeinsam mit den Bürgern die Herausforderung der Flüchtlingsunterbringung meistern muss und nicht über ihre Köpfe hinweg.“
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