Hamburg. Man muss sich vom Gigantismus verabschieden, sagt der Stadtforscher Dieter Läpple. So ist Olympia eine Riesenchance für Hamburg.

Der Hamburger Stadtforscher Dieter Läpple äußert sich im Gespräch mit dem Abendblatt über Chancen und Gefahren Olympischer Spiele und was als erstes zu tun wäre.

Hamburger Abendblatt: Herr Läpple, haben Sie schon abgestimmt?

Dieter Läpple: Ja, als Privatmann. Aber Sie reden mit mir ja als Stadtforscher.


Hamburger Abendblatt: Fiel dem Privatmann Läpple denn die Entscheidung schwer?

Läpple: Nein, am Ende nicht.

Hamburger Abendblatt: Aber einen Tipp, wie es heute ausgeht, haben Sie schon?

Läpple: Ich glaube, dass die Zustimmung etwas unter 60 Prozent liegen wird.

Hamburger Abendblatt: Sie selbst haben mehrfach von großen Risiken, aber auch von großen Chancen für Hamburg gesprochen, wenn Olympische Spiele kommen..

Läpple: Ja, die Bewerbung ist ein Ritt auf dem Tiger: Hochriskant – aber zugleich bietet sie auch viel Potenzial.

Hamburger Abendblatt: Wo sehen Sie die Hauptrisiken?

Läpple: Olympische Spiele sind heute ein Mega-Event, das nicht nur die sportlichen Infrastruktur, sondern auch die städtischen Strukturen insgesamt sprengt. Ein tiefgreifender Umbau der Stadt ist dazu erforderlich. Die Gefahr liegt dann vor allem bei der unverrückbaren Deadline, dem festen Termin, zu dem alles fertig sein muss. Die Vorgaben werden vom IOC und Großsponsoren diktiert. Das schafft extreme Sachzwänge. Korrekturen sind bei einem solchen Druck später kaum möglich. Das zeigt auf erschreckende Weise gerade Rio.

Hamburger Abendblatt: Wie lassen sich die Risiken minimieren?

Läpple: Zunächst über eine klare Deckelung der Kosten, die die Stadt zu tragen hat. Und natürlich muss man sich vom bisherigen Gigantismus der Spiele verabschieden. Das wichtigste aber ist das Erbe der Spiele. Es muss von Anfang an eine eigenständige Entwicklungsgesellschaft geben, die sich darüber Gedanken macht, wie das Olympiagelände hinterher für die Stadt genutzt und in eine Zukunftsvision der Stadt integriert werden kann. Es muss klar sein, dass man nicht Milliarden nur für dieses eine Ereignis ausgibt, sondern dass man zuallererst an das Erbe denkt. In London gab es so etwas, die London Legacy Development Corporation. Sie kam nur zu spät, wenige Jahre vor den Spielen. Wir brauchen diese Gesellschaft, die zusammen mit der Bevölkerung Visionen entwickelt und an der Umsetzung arbeitet, sobald die Bewerbung Hamburgs feststeht. Was kommt danach? – das muss von Anfang an die entscheidende Frage sein.

Hamburger Abendblatt: Wo sehen Sie die Chancen?

Läpple: Ich gehöre schon lange zu denjenigen, die dafür plädieren, den Kleinen Grasbrook für die Stadtentwicklung zu nutzen. Wir hatten die Diskussion bereits bei einer möglichen Verlagerung von Teilen der Universität. Doch die Hafenwirtschaft beharrte auf ihren Flächen, das hat die Debatte blockiert. Großprojekte können die Chance bieten, festgefahrene Fronten zu verflüssigen. Für den Kleinen Grasbrook ergeben sich mit Olympischen Spielen ganz neue Möglichkeiten. Das ist ein in Europa einzigartiger Ort, auf dem ein amphibischer Stadtteil entstehen kann. Doch womit verschwenden wir derzeit diesen Platz? Auf diesem Areal mitten in der Stadt werden Autos geparkt und Bananen gereift.

Hamburger Abendblatt: Warum sollte die Hafenwirtschaft ihren Widerstand aufgeben?

Läpple: Weil es auch eine Chance für den Hafen wäre. Der Hafen könnte einen wichtigen Innovationsschub bekommen und lernen, Flächen intensiver zu nutzen. Das moderne Terminal Altenwerder zeigt, wie effizient auf wenig Fläche gearbeitet werden kann. Singapur beispielsweise verkleinert seine Hafenflächen gerade auch und wird doch effizienter.

Hamburger Abendblatt: Warum braucht man Olympische Spiele, um solche Chancen der Stadtentwicklung zu nutzen?

Läpple: Weil man so die Denkstrukturen, die Routine in der Verwaltung und die Widerstände des Hafens verflüssigen kann.

Hamburger Abendblatt: Was halten Sie eigentlich von dem Hamburger Masterplan für das Olympia-Gelände?

Läpple: Das ist ein erster richtiger Schritt, eine Rahmenprogramm. Die Nachnutzung ist aus meiner Sicht aber noch zu sehr auf Wohnen, Büros und Einzelhandel ausgerichtet. Wir brauchen neue urbane Arbeitsformen und lokale Ökonomie.

Hamburger Abendblatt: Also mehr als eine HafenCity 2?

Läpple: Ja. Der Kleine Grasbrook sollte eher ein Gelenk, ein Scharnier zwischen der Innenstadt und den Stadtteilen Veddel, Rothenburgsort und Wilhelmsburg sein, wo seit Jahrzehnten schon eine große Integrationsarbeit geleistet wird. Ich vermisse eine zukunftsorientierte Funktionsmischung. Wir brauchen Produktionsorte, auch für niedrig qualifizierte Arbeitnehmer. Einen Zugang zu Arbeit zu bieten, ist die wesentliche Voraussetzung für eine gelungene Integration. Und dafür böte sich der Kleine Grasbrook an. Er müsste ein „Ankommens-Stadtteil“ werden, eine Art Labor für die Stadt von morgen. Die Spiele bieten auch die Chance, den Süden zu entlasten: Allein der Plan, den Schwerlastverkehr, der sich noch durch Wilhelmsburg, Veddel und Rothenburgsort zwängt, durch einen Tunnel zu führen, wäre ein Segen. Bislang sind diese Stadtteile in ihrer Entwicklung noch sehr blockiert durch die Hafenverkehre. Es ist ein Jammer zu sehen, wie etwa Veddel Nord noch immer von der Elbe abgeschnitten ist.

Hamburger Abendblatt: Gibt es Vorbilder für Hamburg?

Läpple: München und Barcelona werden ja zu Recht immer wieder genannt. In diesen Städten hat man einiges richtig gemacht, beide Metropolen standen am Beginn einer Neuorientierung, sind weltoffener und kosmopolitischer geworden.

Hamburger Abendblatt: Könnten die Olympischen Spiele zum Glücksfall für Hamburg werden?

Läpple: Man kann es auch so sehen: Hamburg könnte ein Glücksfall für eine Erneuerung der olympischen Spiele sein. Es könnte gezeigt werden, dass olympische Spiele auch noch in offenen Gesellschaften funktionieren – nicht nur in despotischen Staaten.