London. Die Sommerspiele 2012 waren für Großbritannien ein Erfolg. In Londons Osten wurden 10.000 neue Jobs geschaffen.

Keine Stadt wird in der Diskussion um Olympische Spiele 2024 in Hamburg so oft zum Vergleich herangezogen wie London. Die Sommerspiele von 2012 sind ein Dauerbrenner, seit die Idee der Olympiabewerbung im vergangenen Jahr an der Elbe wieder aufflammte. Bei der Vergabeentscheidung im Jahr 2005 überholten die Briten das favorisierte Paris auf der Ziel­linie. Eine neue Idee war geboren: Regeneration Games, Stadterneuerungs-spiele. Labour-Bürgermeister Ken Livingstone wollte der Welt zeigen, dass Olympische Spiele Armut bekämpfen können.

Der anscheinend unaufhaltsamen ökonomischen und sozialen Spaltung seiner Heimatstadt setzte er die Idee von Aufschwungsspielen im Osten entgegen, in einem seit dem Niedergang von Eisenbahn- und Schiffbau in den 1970er-Jahren immer weiter abgehängten, multiethnischen Stadtgebiet mit den höchsten Armuts- und Arbeitslosenquoten Großbritanniens. Diesen Menschen mit einem kräftigen Investitionsschub auf die Sprünge zu helfen, sie teilhaben zu lassen am Wohlstand der Finanzmetropole – welch eine kühne Idee in Zeiten, als Tony Blair und Gerhard Schröder von den Betroffenen „mehr Eigenverantwortung“ forderten.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, kann einem dazu aus aktuellem Anlass einfallen. Die Vision wurde Wirklichkeit. In Sichtweite von Canary Wharf, dem Wahrzeichen der Finanzwelt an der Themse, entstand auf 250 Hektar Industriebrache der größte moderne Park Europas, mit viel Grün, Hügeln, Spielplätzen und Wasserläufen, darin eingebettet Olympiastadion, Schwimmstadion, Multifunktionshalle, Velodrom und Hockeystadion. Dazu das Athletendorf, diverse neue Bahnverbindungen, Bahnhöfe, Brücken und Straßen. 23 Milliarden Euro kostete alles, fast 90 Prozent davon für bleibende Infrastruktur, vor allem zum Nutzen der 1,5 Millionen Menschen in den umliegenden Bezirken. In Europas größtes Einkaufscenter Westfield am neuen Verkehrsknotenpunkt Stratford wurden 2,3 Milliarden Euro Privatmittel investiert, was der Gegend 10.000 neue Jobs bescherte. Alles wurde rechtzeitig fertig, mit intensiver Beteiligung von Anwohnern und Interessengruppen.

Proteste blieben zwar nicht aus, die Zustimmung überwog nach Umfragen aber bei Weitem. Die Spiele selbst waren, allen Unkenrufen gerade auch im eigenen Land zum Trotz, schlichtweg fantastisch. Alle Sportstätten werden dauerhaft genutzt, der Queen Elizabeth Olympic Park erfreut sich bei freiem Eintritt regen Zuspruchs.

Seit den Spielen wachsen rundherum weitere Wohn- und Businessparks mit Zigtausenden neuen Jobs. „Alles bewegt sich nach Osten“, sagen die Macher in Politik und Wirtschaft, auch mit Blick auf die Pläne, in der Themsemündung einen der größten Flughäfen der Welt zu schaffen. Niemals zuvor wurden an einem Ort in Großbritannien in kürzester Zeit so viel Verkehrsinfrastruktur, Wohnungen und Jobs geschaffen wie hier.

Die Wertschöpfung durch Investitionen und Tourismuswachstum aus dem Ausland wird die Kosten bei Weitem übersteigen. Zugegeben, seit die Konservativen Ende des letzten Jahrzehnts die politische Führung in London und Großbritannien übernahmen, gerieten die sozialen Ziele etwas ins Hintertreffen, trotz Gegenhaltens der von Labour dominierten Bezirke. Vor allem wurde versäumt, den Preissteigerungen am Wohnungsmarkt von jährlich bis zu 20 Prozent entschlossen entgegenzutreten, wodurch nicht nur Einkommensschwache aus der Gegend verdrängt werden, auch viele Mittelstandsfamilien mussten sich neue Bleiben suchen. Trotzdem haben sich die Lebenschancen für die Menschen verbessert. Wer behauptet, Olympia könnte Weltstädte nicht verändern, wird von London eines Besseren belehrt.

Hamburg ist keine Hauptstadt und viel kleiner als London. An der Elbe soll, ganz hanseatisch, alles eine Nummer bescheidener werden. Aber auch hier gibt es eine neue Idee von Stadtentwicklung: ein Olympiapark mitten im Hafen, ganz nah am Zentrum, mit spektakulärem Blick auf die Skyline mit Michel, Fernsehturm und Elbphilharmonie. So was hat’s noch nie gegeben, obwohl die Spiele schon oft in Hafenstädten zu Gast waren. Die HafenCity springt über die Elbe und wird zur OlympiaCity. Nicht nur schick und teuer, sondern nach dem Willen der rot-grünen Landesregierung auch sozial und ökologisch. Bis zum Jahr 2040 sollen auf dem Kleinen Grasbrook neben dem Olympiastadion, dem Schwimmstadion und einem Kreuzfahrtterminal bis zu 8000 neue Wohnungen für 18.000 Menschen Platz finden, ein Drittel davon öffentlich ge­fördert, dazu bis zu 7000 neue Arbeitsplätze, unter anderem in Läden, Restaurants und Kitas.

Allerdings könnte es etwas eng werden, weil nur weniger als der Hälfte der Fläche des Londoner Geländes zur Verfügung steht. Dafür würde die verbleibende Parkfläche größtenteils direkt an der Elbe liegen, teilweise sogar mit Sandstrand – eine neue urbane Qualität in der mit Grün und Wasser ohnehin verwöhnten Großstadt.

Besser als London will Hamburg in puncto Kostenkontrolle sein. 11,2 Milliarden Euro Gesamtkosten sind ver­anschlagt, alles auf Basis einer früh­zeitigen und detaillierten Planung, Unvorhergesehenes und Inflation mit eingerechnet. Die Londoner Spiele waren am Ende zweieinhalbmal so teuer wie vorgesehen – „nur“ und ganz normal in der Geschichte Olympias, sagen Ökonomen aus Oxford. In Hamburg sitzt der Schock der Elbphilharmonie, die mit fast 800 Millionen Euro zehnmal so teuer wurde wie geplant, noch tief. Hamburgs neues Wahrzeichen wacht mahnend am anderen Ufer.

Die Hanseaten haben sich mit Klaus Grewe nicht nur den erfolgreichen Bauleiter der Spiele von London als Berater geholt, sondern eine ganze Reihe weiterer renommierter Planer, die über Erfahrungen mit Großbauvorhaben und Stadien auf der ganzen Welt verfügen. Eine große Herausforderung bestünde hier darin, die bestehenden Hafenbetriebe mit etwa 1000 Beschäftigten nach der Vergabeentscheidung im September 2017 rechtzeitig auf neue Standorte zu verlagern und den Kleinen Grasbrook für die Neubebauung hochwassersicher vorzubereiten. „Die größten Probleme stecken oft in der Erde“, sagt Grewe. Beim Bau der HafenCity hat man viel gelernt. Dennoch, die Errichtung eines neuen Stadtteils auf einer von der Tide umspülten Flussinsel bleibt nicht ohne zeitliche und finanzielle Risiken.

Bürgerbeteiligung kann Stadtplanung verbessern und Kosten sparen. Hamburg hat diesen Weg früher eingeschlagen als London und die Menschen auf diversen Diskussionsveranstaltungen seit Herbst vergangenen Jahres mit einbezogen. Die Hochschulen äußern sich überwiegend skeptisch. Besonders verwundert dies im Falle der HafenCity-Universität, zumal dort eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Plänen bisher kaum erkennbar ist. Auch Stadtteilaktivisten auf den Elbinseln gehören zu den Gegnern, wobei fraglich erscheint, inwieweit sie repräsentativ für die Bevölkerung sprechen. Die Angst vor Gentrifizierung ist auch hier ein Thema, auf das die Stadt noch keine befriedigenden Antworten gefunden hat.

Erstmals in der Geschichte der Spiele haben die Bürger beim Referendum bis zum 29. November das Sagen. Noch zögert die Bundesregierung, den angefragten Kostenanteil zu übernehmen, während Hamburg mit 16 Prozent der Gesamtkosten etwas mehr schultern würde als das weit größere London. Der langfristige gesamtwirtschaftliche Nutzen, auch für Deutschland, dürfte außer Frage stehen. Mit nachhaltigen Integrationsspielen würde sich Hamburg ein gutes Stück verändern, weltweit bekannt werden und für Olympia neue Maßstäbe setzen.

Autor Mathias Kuhlmann, 52, ist in Hamburg geboren und befasst sich als Sozialwissenschaftler und Journalist langjährig mit Fragen der Stadtentwicklung im internationalen Vergleich.