Hamburg. Der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts spricht über die Chancen und Risiken der Olympiabewerbung für 2024.
Professor Henning Vöpel, 42, ist seit September alleiniger Geschäftsführer und Direktor des renommierten Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes (HWWI). „Olympia“, sagt der Volkswirt, „würde Hamburg auf ein anderes Niveau heben.“
Hamburger Abendblatt: Herr Professor Vöpel, Sie werden derzeit gern von Olympiagegnern zitiert, die behaupten, Sie hätten gesagt, Olympische und Paralympische brächten der ausrichten Stadt keinen nachhaltigen ökonomischen Nutzen. Ist das so?
Prof Henning Vöpel: Da liegt offenbar ein Missverständnis vor. Ich sehe zwar die Gefahr, dass das derzeitige Konzept die Chancen nicht optimal nutzt, aber meine grundsätzliche Überzeugung ist, dass Städte wie Hamburg von der Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele erheblich profitieren können. Die Stadtentwicklung wird beschleunigt und um zehn bis zwanzig Jahre vorgezogen. Die Modernisierung der Infrastruktur macht die Stadt wettbewerbsfähiger und erhöht die Lebensqualität. Hamburg als Ganzes wird aufgewertet.
Wie sieht der Nutzen konkret aus?
Vöpel : Der wichtigste Effekt wird sein, dass Hamburg sich als Standort weltweit bekannt macht und innovative Unternehmen und kreative Menschen anzieht. Wenn Hamburg die Aufmerksamkeit von mehreren Milliarden Menschen dafür gut nutzt, dann werden Olympische Spiele ökonomische Vorteile bringen und Hamburg international etablieren.
Welche langfristigen Effekte sehen Sie?
Vöpel : Oftmals werden Tourismus und Beschäftigung genannt. Das halte ich aber nicht für das Wichtigste. Eher geht es um einen qualitativen Sprung für die Stadt, um Modernisierung, Nachhaltigkeit und Innovation. Olympische und Paralympische Spiele können zu einer solchen Entwicklung beitragen, wie Barcelona 1992 oder München 1972 in der Vergangenheit gezeigt haben. Olympische Spiele sind interessant für Städte, die zum Zeitpunkt der Austragung ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft haben. Hamburg ist so eine Stadt, London oder Paris hingegen nicht.
Ist Hamburg strukturell gut genug aufgestellt, um diese Chancen zu nutzen?
Vöpel : In Hamburg sind viele Unternehmen ansässig, die in die globale Wirtschaft eingebunden sind, hier leben Menschen, die weltoffen und tolerant sind. Ein Anstieg der internationalen Wahrnehmung der Stadt würde also für Hamburg von besonderem Vorteil sein. Alle Bereiche, auch die Kultur oder die Wissenschaft, können profitieren, indem sie internationale Talente nach Hamburg ziehen, die neue Ideen und Avantgarde in die Stadt bringen.
Welche Forderungen haben Sie an dieser Stelle an die Politik?
Vöpel : Die Politik kann das vielfältige bürgergesellschaftliche Engagement, das nötig ist, um von Olympischen Spielen nachhaltig zu profitieren, nicht ersetzen, aber entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Sie muss in der Planung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Hamburg ökonomisch profitiert, zum Beispiel durch eine intelligente Infrastruktur und ein schlüssiges Stadtentwicklungskonzept.
In welchen Bereichen Sie in Hamburg noch Potenziale?
Vöpel : Die Kreativität, die notwendig ist, um die Chancen, die in einer Olympiabewerbung liegen, auch zu nutzen, könnte in Hamburg größer sein. Bislang wird die Stadt sehr stark von etablierten Netzwerken geprägt. Das ist manchmal eine Welt, die sich allzu sehr um sich selbst kreist. Olympia könnte eine neue Offenheit in die Stadt bringen. Hamburg müsste generell mehr Lust am Fortschritt entwickeln. Die Hamburger berauschen sich gern daran, wie schön diese Stadt ist.
Das ist sie natürlich auch, aber Hamburg muss mehr zu einem spannenden Ort werden. Der Mut zum Neuen und Unkonventionellen ist hier nur mäßig ausgeprägt. Hamburg lebt derzeit zu sehr von altem Wohlstand. Dieser ist aber keine Garantie für Wohlstand in der Zukunft. Die digitale Transformation wird die Welt und vor allem Städte und Standorte radikal verändern. Wer sich jetzt zurücklehnt, wird bald überholt werden.
Was machen andere deutsche Metropolen besser?
Vöpel : Ein Vorbild ist hier Berlin. Vor zehn Jahren zogen junge, hippe Menschen in die Stadt, die etwas ausprobieren wollten. Jetzt fangen diese Leute an, Start-ups zu gründen und damit ihre Ideen in Wachstum umzusetzen. Sie schaffen Arbeitsplätze, entwickeln ihre Geschäfte. Diese Gründerstimmung kann man dort geradezu greifen. Hamburg könnte Ähnliches gebrauchen.
Olympia kostet Milliarden. Ist das Geld wirklich gut angelegt?
Vöpel : Der Senat hat akribisch die Kosten Olympischer Spiele aufgelistet. Das ist gut und wichtig. Die entscheidende Frage, die aber nicht beantwortet wurde, ist jedoch, ob sich die Investitionen am Ende auch lohnen. Wir wissen, was Olympische Spiele kosten. Wir wissen jedoch nicht, was sie bringen. Der Senat muss deutlicher machen, dass viele Investitionen im Falle des Verzichts auf eine Olympiabewerbung nicht kommen werden. Wie gesagt: Die größte Rendite einer Olympia-Ausrichtung besteht darin, dass die Stadtentwicklung sich beschleunigt und die globale Aufmerksamkeit auf die Stadt gelenkt wird. Das gelingt nicht, wenn wir stattdessen nur in Schulen oder Sporthallen investieren. Weltweit zeichnet sich ab, dass Metropolen die Zentren von Fortschritt und Wohlstand sein werden. Dafür muss Hamburg heute die Grundlagen schaffen. Die Politik muss zeigen, dass dies mit Olympia besser geht als ohne.
Bürgermeister Scholz hat wiederholt erklärt, Hamburg könne nicht mehr als 1,2 Milliarden Euro für Olympia ausgeben. Inwieweit gefährdet diese Festlegung das gesamte Projekt?
Vöpel : Das vermag ich nicht einzuschätzen. Scholz’ Strategie zu erklären, Hamburg werde nicht mehr als 1,2 Milliarden Euro für Olympia ausgeben, und zu erwarten, dass der Bund den Rest bezahlt, halte ich für riskant. Ich hätte erwartet, dass er sich vorher mit den Verantwortlichen in Berlin bespricht und eine gemeinsame Linie verkündet. Schließlich betonen alle Seiten, Olympia sei eine nationale Angelegenheit.
Das HWWI und die Universität Hamburg führen im Internet (olympiabefragung.hwwi.org) eine wissenschaftliche Befragung über die Einstellung der Hamburger zu Olympia durch. Sie dauert rund sechs Minuten. Die Ergebnisse werden online veröffentlicht.