Michael Neumann: „Wir weichen vor dem Terror nicht zurück“
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Hamburg. Hamburgs Innensenator reagiert auf die Anschläge in Paris: Wir sollten uns ein Beispiel an den Franzosen nehmen.
Nach den Terroranschlägen von Paris ist eine mögliche Aufstockung des Sicherheitsetats für Olympische Spiele in Hamburg für den Senat bislang kein Thema. „Niemand kann heute verlässlich sagen, welche Sicherheitsvorkehrungen im Jahr 2024 nötig sein werden“, sagte Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) im Gespräch mit dem Abendblatt. Das Sicherheitskonzept, das bislang der Bewerbung der Stadt zugrunde liegt, sei ein „Orientierungsrahmen“, der in den kommenden neun Jahren noch mehrfach an die aktuelle Sicherheitslage angepasst werden müsse.
Im Finanzplan der Hamburger Olympiabewerbung ist der Posten „öffentliche Sicherheit“ mit 461 Millionen Euro ausgewiesen. Experten halten die Summe für zu gering. Bei den Sommerspielen 2012 in London gaben die Briten dreimal so viel für den Schutz von Athleten und Besuchern aus. Hamburgs Berechnungen orientierten sich dagegen an den Erfahrungen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Der Senat geht von „grundsätzlich friedlich verlaufenden Spielen 2024“ aus. Ergänzt wird, dass „gleichwohl auch eine latente Bedrohungslage durch terroristische Gewalttäter zu berücksichtigen sein“ wird.
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Mit Blick auf das Referendum, das noch bis zum 29. November in Hamburg läuft, sagte Neumann, solche fürchterlichen Verbrechen hätten grundsätzlich Auswirkungen auf jeden von uns. „Wir sollten uns aber ein Beispiel an den Franzosen nehmen: Die rücken keinen Millimeter von der Ausrichtung der Fußball-EM 2016 ab, und Paris steht mehr denn je hinter der Olympiabewerbung für 2024. Die Spiele stehen ja für das Gegenteil von dem, was die Terroristen in Paris angerichtet haben. Diese olympischen Werte sollten wir gerade jetzt hoch halten.“
München 1972 erlebte den erstenterroristischen Angriff auf Olympia
Die Sicherheitsbehörden der Stadt sind sich auch nach Paris weiter einig: Olympia in Hamburg soll trotz Antiterrormaßnahmen und Katastrophenschutz den „Charakter friedlicher Spiele“ behalten, die Polizei so weit wie möglich im Hintergrund bleiben. Neumann: „Eins ist grundsätzlich klar: Wir bleiben bei unserer Idee von friedlichen und freundlichen Spielen, bei denen die Polizeibeamten mit Schirmmütze und Oberhemd auftreten und nicht mit Helm und Splitterschutzweste.“ Man werde aber selbstverständlich das Schutzbedürfnis aller Beteiligten berücksichtigen: „Wir machen das, was notwendig ist“, sagte Neumann. „Was das ist, werden wir sehen, wenn die Spiele näher rücken.“
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Der Wissenschaftler Dennis Pauschinger promoviert an der Uni Hamburg zum Thema Sicherheit bei globalen Sportveranstaltungen. Er teilt die Einschätzung des Senats, dass heute keine belastbaren Vorhersagen über die Gefährdungslage in neun Jahren getroffen werden können. „Dennoch hätte ich erwartet, dass basierend auf den aktuellen Erkenntnissen ein Sicherheitskonzept entworfen wird. Und dann hätte der Senat sehr schnell erkannt, dass er mit 461 Millionen Euro kaum auskommen wird“, sagt Pauschinger. Es sei zwar eine schöne Idee, der Polizei eine Nebenrolle bei Olympia zuzuweisen, den bürgernahen Beamten zum Olympiastadion zu schicken, der Realität entspreche dies nicht. „In der Vergangenheit haben die Sicherheitskräfte bei Olympia massive Präsenz demonstriert, um mögliche Gefahren abzuwehren.“
Die Anschläge von Paris zeigten, dass es nicht mehr reiche, allein die Sportstätten und die Sportler zu schützen, auch der öffentliche Raum müsse bei Großereignissen strenger überwacht werden. Pauschinger: „Olympiasicherheit befindet sich in diesem Paradox: Man riegelt die Sportstätten ab und vernachlässigt dabei andere Teile der Stadt. Wenn man dies ändert, kommt es zwangsläufig zu höherem Sicherheitsaufwand. Regierungen haben das Problem, dass sie in unsicheren Zeiten die Risiken hypothetischer Gefahren minimieren müssen. Dadurch entkoppelt sich der Sicherheitsaufwand oft von den realen Gefahren.“
So zeigt sich Paris nach dem Terror
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Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften haben eine hohe Symbolkraft und sind deshalb für Terroristen lohnende Anschlagsziele. Das Attentat von München 1972 auf die israelische Olympiamannschaft wurde dabei zum Wendepunkt in der Sicherheitsphilosophie. Die Geschichte der Spiele liest sich seitdem auch wie eine Chronik militärischer Aufrüstung. Als London 2012 das Sportereignis ausrichtete, schützten rund 18.000 Soldaten die 34 Wettkampfstätten und die Feiern im Stadion. Auf der Themse ankerte ein Kriegsschiff. Die Sommerspiele wurden die größte britische Militäroperation seit dem Koreakrieg 1950–53. Mit jedem Terrorakt wie 2001 in New York oder 2005 in London antwortete jedes Gastgeberland mit strikteren Sicherheitskonzepten. Gegen Angriffe aus der Luft postierte das britische Militär Luftabwehrraketen auf Hausdächern. Ähnliches ist in Hamburg nicht vorgesehen. Den militärischen Einsatz der Bundeswehr im Inland verbietet zudem die Verfassung.
Nach München 1972 wurden die wenigen Anschläge bei Olympia und Fußball-Weltmeisterschaften mehrheitlich von Inländern verübt. Tendenziell blieben große Sportveranstaltungen aber bis heute von terroristischen Attacken verschont. „Sicherheitsbedenken wären für mich kein Argument, Olympische Spiele abzulehnen“, sagt Olympiakritiker Pauschinger, „jedoch die massiven Sicherheitsmaßnahmen, die die Spiele begleiten.“ Und ihn stören nach Paris, „diese Jetzt-erst-recht-Parolen. Wir brauchen Olympia nicht, um die Probleme der Welt zu lösen.“
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