Hamburg. Laut Steuerschätzung wird Hamburg erstmals mehr als zehn Milliarden Euro einnehmen. Der „Konzern“ ist dennoch pleite.

Gerade fünf Jahre ist es her, dass sich die Hamburger Wirtschaft nach der weltweiten Finanzkrise so weit erholt hatte, dass die Steuereinnahmen der Stadt wieder über acht Milliarden Euro lagen. Seitdem ging es stetig bergauf. In diesem Jahr nun wird Hamburg erstmals die Marke von zehn Milliarden Euro Steuereinnahmen knacken. Davon geht jedenfalls die November-Steuerschätzung aus, die Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag vorstellte.

Die Experten sagen der Stadt für 2015 Steuereinnahmen von 10,054 Milliarden Euro voraus – ein Plus von 147 Millionen Euro gegenüber der Mai-Schätzung und sogar um 473 Millionen gegenüber der vorsichtigen Haushaltsplanung (die aus dem Jahr 2014 stammt). Tschentscher zeigte sich daher optimistisch, dass Hamburg zum zweiten Mal nach 2014 komplett ohne Kreditaufnahme auskommen wird.

Vergangenes Jahr hatte die Stadt erstmals einen Überschuss von gut 400 Millionen Euro erzielt und damit Altschulden getilgt. Bis Ende September 2015 lag der Etat mit 180 Millionen Euro im Plus. In diesem Jahr wäre ein positiver Jahresabschluss noch bemerkenswerter, weil die Stadt die Etat­ansätze für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen erneut um rund 300 auf nunmehr 600 Millionen Euro gesteigert hat. „Wenn man sich in anderen Bundesländern umschaut, wo die Finanzminister reihenweise eine höhere Schuldenaufnahme erklären, sind wir in einer sehr komfortablen Situation“, sagte Tschentscher selbst.

Das gilt auch für die nähere Zukunft: Die Steuerschätzung für 2016 fällt mit 10,163 Milliarden zwar nur um fünf Millionen Euro besser aus als bislang, was aber vor allem mit Änderungen im Steuerrecht zusammenhänge, sagte der Senator. Für die Jahre 2017 bis 2019, für die es allerdings nur eine grobe Fortschreibung gibt, wird dann wieder mit stärker steigenden Ein­nahmen gerechnet. Sie sollen um ins­gesamt 346 Millionen höher ausfallen.

Die gute Haushaltslage wird durch ein Milliardenloch in der Bilanz getrübt

„Entscheidende Grundlage für die voraussichtlich guten Steuereinnahmen ist eine stabile konjunkturelle Entwicklung“, sagte Tschentscher. Wie die Wirtschaftsbehörde am Dienstag mitteilte, erwartet sie für 2016 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,9 Prozent. Dennoch hält Tschentscher an seinen „Vorsichtsabschlägen“ fest: Von den prognostizierten Steuereinnahmen zieht er 220 Millionen Euro für 2015 und 350 Millionen für 2016 ab und berücksichtigt sie nicht für die Haushaltsplanung – fließen sie dann doch, ergeben sich Spielräume. Bleiben die Steuern tatsächlich aus, gibt es kein böses Erwachen. Die positive Entwicklung des Haushalts wird allerdings getrübt von der Überschuldung des „Konzerns“ Hamburg.

Ausweislich des Geschäftsberichts 2014, der auch die rund 400 öffentlichen Unternehmen und Beteiligungen der Stadt einbezieht und den Tschentscher ebenfalls am Dienstag vorstellte, ist das „negative Eigenkapital“ der Stadt von 9,9 auf 22,3 Milliarden Euro gestiegen – dieser Verschuldung steht also kein Wert gegenüber. Anders ausgedrückt: Hamburg ist auf dem Papier pleite. Hintergrund ist die neue Transparenz, mit der SPD- wie CDU-geführte Senate schon seit mehreren Jahren auch den Wertverfall des öffentlichen Vermögens und künftige Verpflichtungen in eine Bilanz aufnehmen.

Dickster Brocken im Geschäfts­bericht 2014 sind Rückstellungen über knapp 4,5 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der HSH Nordbank. Wie berichtet, stellen Hamburg und Schleswig-Holstein ihrer Bank Garantien über zehn Milliarden Euro und haben darüber hinaus jüngst mit der EU vereinbart, dass sie der HSH faule Schiffskredite mit einem Buchwert von bis zu 6,2 Milliarden Euro abnehmen.

Wegen der HSH Nordbank stellt der Senat 4,5 Milliarden Euro zurück

Ob die Hamburger Rückstellung über 4,5 Milliarden – bislang ein rein bilanzieller Vorgang – tatsächlich zu einer Zahlung in dieser Größenordnung führen wird, sei zwar noch nicht sicher, sagte Tschentscher. „Aber es gibt doch deutliche Hinweise, dass das droht.“

„Alle Sparbemühungen der vergangenen Jahre wurden durch die zu tragenden Verluste für die HSH Nordbank zunichtegemacht“, kritisierte Norbert Hackbusch (Linkspartei). Er erwarte für 2015 weitere Rückstellungen.

„Die Überschuldung Hamburgs hat unter Finanzsenator Tschentscher dramatisch zugenommen“, sagte Thilo Kleibauer (CDU). „Die aktuelle Haushaltslage mit ihren Überschüssen 2014 und 2015 ist daher nur vordergründig gut.“ Der Senat habe beim „Milliardenrisiko HSH“ viel zu lange nur zugeschaut, während die Lage insgesamt immer bedrohlicher wurde.

„Der Finanzsenator versucht durch eine parallele Veröffentlichung von beruhigenden Daten der Steuerschätzung über die immer schlechtere Vermögenslage der Stadt nach kaufmännischen Gesichtspunkten hinwegzutäuschen“, sagte auch Katja Suding (FDP). „Das gelingt ihm aber nicht.“