Hamburg. Amüsant und oft noch aktuell: So beschrieb der französische Journalist Jules Huret die Stadt und ihre Menschen im Jahr 1906.

In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts unternahm der französische Journalist Jules Huret (1863 bis 1915) ausgedehnte Reisen durch ganz Europa. Seine Eindrücke veröffentlichte er in Form von Reportagen in der Zeitung „Le Figaro“. Der bekannte Reporter wurde – nur wenige Jahrzehnte nach dem deutsch-französischen Krieg – 1906 in Deutschland von sehr vielen namhaften Gesprächspartnern empfangen, darunter Reichskanzler von Bülow, den Unternehmern Krupp und Thyssen und Bürgermeistern der großen Städte. Seine Beobachtungen und Erlebnisse erschienen schließlich als Buch (in drei Bänden) 1907/8 auch auf Deutsch und wurden ein großer Erfolg. Huret schrieb insgesamt objektiv, aber immer mit spitzer Feder, mal süffisant, mal maliziös.

Noch heute lesen sich seine Beschreibungen deutscher Eigenarten und Verhaltensweisen sehr amüsant. Während Städte wie Berlin, Hannover und Schwerin dabei recht ambivalent dargestellt sind, lässt Huret seine Sympathie für Hamburg mehr als deutlich erkennen, dem er im zweiten Band rund 130 Seiten widmet.

Jules Huret (1863–1915), französischer Journalist, schrieb mit spitzer Feder
Jules Huret (1863–1915), französischer Journalist, schrieb mit spitzer Feder © Wikipedia | Wikipedia

„Hamburg ist eine der hübschesten Städte von Deutschland“, schreibt er einleitend. „Es zeichnet sich auch vor allen anderen dadurch aus, dass es keinen spezifisch deutschen Charakter hat, sondern in vieler Hinsicht den Eindruck einer internationalen Stadt erweckt.“ Und weiter: „Die Hamburger rühmen sich mit Recht, daß ihre Stadt ein weltstädtischeres Gepräge hat als Berlin. Man darf wenigstens behaupten, daß es in Hamburg lustiger zugeht, daß das Leben mannigfaltiger und sorgenfreier ist, und daß es mehr Zerstreuungen gibt. ,In Berlin trinkt man bei den Rennen unseren minderwertigen deutschen Sekt‘, sagte ein Sportsmann zu mir, ,bei uns dagegen wirklichen französischen Champagner (...).‘“

Eine Zeitreise mit Auszügen aus seinem Buch

Huret über Hamburgs Erscheinungsbild: „Einen besonderen Reiz (...) bildet die Verschiedenheit der einzelnen Stadtteile. Je nach Laune oder Phantasie kann man sich einbilden, bald in den belebten Straßen von London, bald in Luzern am Seeufer, bald auf den Kais von Liverpool, in einer von Kanälen durchzogenen flämischen oder auch in einer ganz neu aufgebauten modernen deutschen Stadt zu sein. Ich liebe Hamburg um dieser Vielseitigkeit willen.“

Über die Gegend zwischen Elbe und Alster: „Man glaubt, mitten in der Unruhe und dem Rauch der Londoner City zu sein, und steht im nächsten Augenblick am Ufer eines lachenden Sees, des Alsterbassins.“

„Ihre Eleganz ist reeller und alltäglicher als in ergendeiner anderen deutschen Stadt.“ Der Blick vom
„Ihre Eleganz ist reeller und alltäglicher als in ergendeiner anderen deutschen Stadt.“ Der Blick vom © ullstein bild | ullstein bild

Über die Atmosphäre am Jungfernstieg: „(hier) bewegt sich eine elegante Menschenmenge, die sich sehr wesentlich von derjenigen der Rheinlande und Westfalens unterscheidet. Die Beweglichkeit dieser tadellos gekleideten Menge, die kecken, fröhlichen Augen der Frauen, ihr leichter, schwungvoller Gang und eine allgemein belebte Atmosphäre, die ohne Zweifel von den vielen Fremden herrührt. Es ist ein geschäftlicher Mittelpunkt von so heiterem und gedeihlichem Aussehen, wie man in Europa nicht leicht wiederfindet.“

Über die Hamburger: „Die Männer sind mit einer Korrektheit gekleidet, die lebhaft an London erinnert. Die Frauen, die schlanker und geschmeidiger von Wuchs sind (...), legen einen sehr feinen Geschmack im Schnitt ihrer Kleider, in der Wahl der Stoffe und der Harmonie der Farben an den Tag. Ihre Eleganz ist reeller und alltäglicher als in irgendeiner anderen deutschen Stadt, Berlin nicht ausgeschlossen. (...) Seht euch nur einmal die Hamburgerinnen an! (...) da sieht man keine kurzen, dicken Taillen, keine karikierten Reformkleider, sondern graziöse Silhouetten in schicken Schneiderkostümen. Die Hamburger sind reich und verstehen zu leben.“

Doch Huret spart auch bei der Beschreibung seiner Lieblingsstadt nicht mit süffisanten und auch kritischen Ausführungen. So bemerkt er über ein Essen im Ratsweinkeller (heute: Parlament): „Wenn man eine ordentliche Summe aufwendet, bekommt man auch einen guten Wein. Aber unter fünf bis sechs Mark ist der Bordeaux ungenießbar und zieht einem den Mund zusammen. Wo mag man ihn nur gepfeffert haben?“ Und das Rathaus beschreibt er so: „(...) mit seinen zahlreichen Statuen und seinem Turm von 112 m Höhe wirkt es wohl, wie alles, was die Deutschen machen, etwas schwerfällig und überladen, aber doch harmonisch.“

Nach einer Bootsfahrt auf der Alster notiert Huret: „Was mich betrifft, so möchte ich lieber mitten auf der Alster umherfahren; aber man muss sehen – und gesehen werden! Es gilt für schick, sich zu zweien am Steuer niederzulassen, sodass der Schnabel des Fahrzeugs hoch in die Luft ragt, und das Hinterteil bis an den Rand im Wasser versinkt.“

Über die Bahnfahrt von Bremen nach Hamburg: „Auf den Stationen sieht man ärmliche Gestalten mit unfrohen Gesichtern. Man fragt sich unwillkürlich, wovon diese abgeschiedene Bevölkerung auf diesem elenden Boden wohl lebt; es ist die Lüneburger Heide, die den größten Teil der Provinz Hannover ausmacht. Und einen Vergleich zwischen Hamburg und Bremen leitet er mit den Worten ein: Das Schauspiel der Konkurrenz zwischen Bremen und Hamburg ist ein geradezu episches.“

Bürgermeister Heinrich Burchard, der den Journalisten in seiner Villa an der heutigen Warburgstraße empfangen hatte und der mit „Euer Magnifizenz“ angesprochen werden wollte, beschreibt Huret so: „Er ist kalt, besitzt eine gewisse schlichte Vornehmheit und hat die Rede sehr in einer Gewalt. Und nachdem er in Burchards Salon Ahnenbilder registriert hat, hält Huret süffisant fest: „(...) ich begriff sofort (...), daß diese freien Bürger mit ebensolchem Stolz zu den mit Perücken und Halskrausen geschmückten Köpfen ihrer Vorfahren aufsehen, wie ein Aristokrat zu seinen geharnischten Ahnen.“ Was Huret über die Essgewohnheiten der Deutschen schreibt, traf und trifft wohl auch auf die Hamburger zu: „Ein merkwürdiger Widerspruch im Leben dieses ordnungsliebenden, pedantischen und disziplinierten Volkes ist die Anarchie in den Essensstunden. Man kann keinen Besuch machen, ohne Gefahr zu laufen, die Menschen gerade bei Tisch anzutreffen.“