Flüchtlingskoordinator: Mehr Menschen privat unterbringen
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Hamburg. Der neue Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel plant eine zentrale Anlaufstelle für Hamburger, die Asylbewerber aufnehmen.
Der 56 Jahre alte Spitzenbeamte Anselm Sprandel wurde am 12. Oktober zum Hamburger Flüchtlingskoordinator berufen. Er soll die Unterbringung der Flüchtlingein geordnete Bahnen lenken.
Die meisten Zelte stehen in der Erstaufnahmeeinrichtung an der Schnackenburgallee. Wie lange werden die Menschen dort noch in Zelten wohnen müssen? Sprandel: Derzeit wird der sogenannte Parkplatz Grün an der Luruper Hauptstraße ertüchtigt. Wie lange Flüchtlinge an der Schnackenburgallee noch in Zelten leben müssen, hängt auch von den Zuzugszahlen der nächsten Wochen ab. Unser Ziel ist es die Zelte auch in der Schnackenburgallee so bald wie möglich ganz abzubauen.
Wir haben jetzt fast Mitte November. Geht die Zahl der Flüchtlingezurück? Sprandel: Das ist im Augenblick nicht zu erkennen. Derzeit kommen im Durchschnitt täglich 350 Flüchtlinge nach Hamburg, die erstversorgt werden müssen. Allerdings schwanken die Zahlen. Am vergangenen Wochenende waren es lediglich 250 Flüchtlinge pro Tag. In der vergangenen Woche hatten wir Tage, da kamen 450 Flüchtlinge.
Können Sie eine Schätzung abgeben, wie die Zahlen sich entwickeln werden? Sprandel: Nein, die Entwicklung der Flüchtlingszahlen ist schwer vorauszusehen, weil wir die Auswirkungen überregionaler Entwicklungen schwer einschätzen können. Als Schweden erklärte, es verschärfe seine Grenzkontrollen, rechneten wir mit einem großen Andrang am Hauptbahnhof. Der blieb allerdings verhalten.
Worin liegt derzeit die größte Herausforderung der Flüchtlingsunterbringung in Hamburg? Sprandel: Wir versuchen, wie die Innenbehörde es ausdrückt, „vor die Lage“ zu kommen. Wir wollen bei der Planung und Vorbereitung von Unterkünften einen Stand erreichen, dass wir ausreichend Vorlauf haben. Wir wollen aus dem Krisenmodus herauskommen, so dass wir keine Flüchtlinge mehr in Notunterkünften wie zum Beispiel Baumarkthallen unterbringen müssen.
So hilft Hamburg den Flüchtlingen
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Wie viele Flüchtlinge leben derzeit in Hamburger Notunterkünften? Sprandel: Derzeit sind knapp 12.000 Menschen in unbefriedigenden Verhältnissen untergebracht. In den letzten sechs Wochen haben wir es aber geschafft, rund 1700 Personen von Zelten in Holzhäuser umzuquartieren.
Die Stadt will bis Ende kommenden Jahres mit dem Bau von 5600 Wohnungen für Flüchtlinge beginnen. Wie wollen Sie eine Ghettoisierung verhindern? Sprandel: Indem wir aus den Erfahrungen der in den 60er und 70er Jahre entstandenen Großwohnsiedlungen lernen. Wir benötigen beispielsweise eine Architektur, die nicht so monolithisch ist. Zudem muss von Anfang die notwendige soziale Infrastruktur vorgehalten werden. Außerdem ist das Vorhaben sinnvoll, möglichst rasch, auch anderen Personengruppen zu ermöglichen, in diese Häuser zu ziehen.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat den Bau von Flüchtlingswohnungen in Groß Borstel gestoppt. Was machen Sie, wenn das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil bestätigt? Sprandel: Ich bin überzeugt davon, dass das Verwaltungsgerichtsurteil keinen Bestand haben wird.
Trotzdem: haben Sie einen Plan B? Sprandel: Wenn wir den Standort in Klein Borstel nicht nutzen können, dann müssen wir die Flüchtlinge an anderen Orten, an denen wir Unterkünfte errichten, unterbringen. Insofern haben wir viele „Pläne B“.
Hegen Sie noch die Hoffnung auf eine außergerichtliche Einigung mit den Anwohnern? Sprandel: Ich sehe derzeit weder ein annehmbares Vergleichsangebot noch die Bereitschaft, sich auf Verhandlungen einzulassen. Wir sehen uns weitgehend im Recht und wollen nicht auf diesem Wege zu einer Kultur des Teppichhandels kommen. Wir dürfen keinen Anreiz schaffen, sich gegen die Unterbringung von Flüchtlingen zu wehren, frei nach dem Motto: „Wenn wir uns mit der Hilfe von Rechtsanwälten an die Gerichte wenden, dann gibt die Behörde schon nach“.
Wie läuft die Unterbringung von Flüchtlinge in privaten Wohnungen? Sprandel: Bislang können Flüchtlinge erst dann in einer Privatwohnung untergebracht werden, wenn sie aus der Zentralen Erstaufnahme ausziehen und einen Aufenthaltsstatus haben. Ich würde gern die Angebote privater Haushalte systematischer nutzen und eine zentrale Anlaufstelle schaffen. Ein Projekt in diesem Bereich ist z.B. die „Wohnbrücke“, die bei Lawetzstiftung angesiedelt ist und die es seit dem 1. November gibt.
Wie wollen Sie verhindern, dass Flüchtlinge in miesen Absteigen landen? Sprandel: Die Vermittlung von Wohnraum für Flüchtlinge soll über eine gemeinnützige Institution erfolgen. Man wird damit also kein Geld verdienen können.
In Hamburg stehen hier und da große Bürogebäude leer. Wieso hört man so wenig von der Unterbringung von Flüchtlingen in derartigen Gebäuden? Sprandel: Wir prüfen bei jedem Gebäude, das uns angeboten wird, die Eignung als Flüchtlingsunterkunft. Allerdings kann nicht jedes Gebäude genutzt werden. Die Gründe dafür sind vielfältig. In dem einen Fall sind diese Gebäude nicht für Wohnzwecke zulässig. Bei einem anderen Gebäude spricht der fehlende Brandschutz gegen die Unterbringung von Flüchtlingen. Und manchmal ist der Umbau oder die Miete schlicht zu teuer.
Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben als Flüchtlingskoordinator? Sprandel: Meine Position ist als Managementaufgabe gedacht. Vor allem geht es darum, alle Flüchtlinge ordnungsgemäß unterzubringen. Dabei ist die Innenbehörde für die Erstaufnahme und die Sozialbehörde für die Folgeunterbringung zuständig. In der jüngeren Vergangenheit gab es bei der Zusammenarbeit dieser Behörden Reibungsverluste. Diese sollen beseitigt werden. Außerdem wollen wir stärker als bisher dafür sorgen, dass ehrenamtliche Initiativen einfacher in den Flüchtlingseinrichtungen aktiv werden können. Bislang wird der Zutritt zu den Flüchtlingsunterkünften aus Sicherheitsgründen sehr restriktiv gehandhabt. Wir werden mit dem zuständigen städtischen Unternehmen „Fördern & Wohnen“ darüber sprechen und die Arbeitsbedingungen für ehrenamtliche Initiativen verbessern.
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Sie sprachen es eben schon an, dass in ihrem Team Beschäftigte aus der Sozial- und der Innenbehörde zusammenarbeiten. Bekommen Sie die Eifersüchteleien in der Griff? Sprandel: In diesem Punkt bin ich ausgesprochen optimistisch. Wir hatten am Dienstag eine große Teamversammlung. Ich hatte mit Vorbehalten gegen die gemeinsame Arbeit gerechnet mit Widerstand, doch diese hielten sich in Grenzen. Im Gegenteil: Ich habe bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Willen, Dinge zu bewegen, gespürt. Daher bin ich mir sicher, wir bekommen das hin.
Angesichts der Dramatik der Flüchtlingskrise wird von Ihnen rasches und entschlossenes Handeln gefordert. Wie sieht das konkret aus? Sprandel: Es war schnell klar, dass unsere Teams nicht mit den Flüchtlingszahlen gewachsen sind. Wir haben daraufhin das Team um rund 20 Mitarbeiter, die aus verschiedenen Behörde gekommen sind, aufgestockt. Die Unterstützung vom Personalamt war sehr gut. Außerdem bekomme ich viele Bewerbungen von Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich früher bereits zusammengearbeitet habe.
Wie viele Mitarbeiter zählt Ihr Team derzeit? Sprandel: Hier arbeiten derzeit 70 Mitarbeiter. Rund 20 werden noch hinzukommen.
In Ihrer Stellbeschreibung steht, dass sie „Durchgriffsrechte“ haben. Wie müssen wir uns das vorstellen? Sprandel: Durchgriffsrechte wie der Chef eines Katastrophenstabes habe ich sicher nicht. Allerdings bin ich für das Schaffen von Unterkünften für Flüchtlinge verantwortlich und an den entsprechenden Abstimmungsprozessen zwischen den verschiedenen Behörde direkt beteiligt. Außerdem werden wir rund um die Uhr einen Notfalldienststab einrichten, damit wir in eigener Zuständigkeit auftretende Probleme umgehend lösen können.
Können sie gegen den Willen der Bezirke Flächen für Flüchtlingsunterkünfte beschlagnahmen? Sprandel: Nein, eine derartige rechtliche Möglichkeit habe ich nicht.
Können Sie Bürgermeister Olaf Scholz direkt anrufen, wenn Sie bei den Behörden nicht weiterkommen? Sprandel: Wenn überhaupt, würde ich zunächst die Staatsräte in der Sozial- und der Innenbehörde anrufen. Sei sind meine direkten Vorgesetzten, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass auf der Leitungsebene die Entscheidungen sehr schnell getroffen werden.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit dem städtischen Betrieb „Fördern & Wohnen“, der ja für die meisten Flüchtlingsunterkünfte zuständig ist? Sprandel: Die Zusammenarbeit gestaltet sich gut, jedoch gibt es dort ähnliche Herausforderungen wie bei uns. „Fördern & Wohnen“ ist ja selbst ein Unternehmen, das mit seinen sprunghaft gestiegenen Aufgaben mitwachsen musste.
Am Hauptbahnhof sind in den vergangenen Wochen vermehrt Flüchtlinge gestrandet, die eigentlich nur auf der Durchreise waren. Bereitet Ihnen diese Situation Sorgen? Sprandel: Mir bereitet Sorgen, wenn am Wochenende eine große Zahl Menschen in Hamburg strandet und man nicht weiß, wo sie unterkommen. Bisher ist die Lage am Hauptbahnhof zwar oft angespannt, wird aber durch die Hilfe der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die hier unglaublich engagiert sind, abgefedert. Die Stadt ist für durchreisende Flüchtlinge formal nicht zuständig.
Was heißt das? Sprandel: Allen Menschen, die Asyl suchen, steht der Weg in die Registrierungsstelle in der Harburger Poststraße offen. Wir haben jetzt am Hauptbahnhof sogar Busse eingesetzt, die die Menschen dorthin fahren. Allerdings bestehen wir darauf, dass die Menschen sich hierzulande melden und nicht ohne Einreisepapiere quer durch das Land fahren. Menschen, die unserer Unterstützung wollen, müssen sich auch ausweisen können.
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