Hamburg. Spezielle Kurse an Hamburger Berufsschulen sollen Flüchtlinge auf eine Ausbildung vorbereiten. Lehrer dringend gesucht.
Die Schüler sitzen in einer Reihe nebeneinander, ganz brav. Sie sollen Sätze bilden. Es geht darum, wofür man was braucht. Ohren, Mund und Hände waren schon dran. Besonders viel fällt ihnen zum Thema Handy ein: Telefonieren, Uhrzeit, Internetsuche, Fotos gucken – das ist in ihren Heimatländern nicht anders als in Deutschland. „Ich benutze ein Handy, um Musik zu hören“, sagt Ahmed aus Somalia. Deutschlehrerin Annika Grobbel nickt zustimmend. Satz für Satz arbeiten sich die Jugendlichen weiter in ihre neue Welt vor. An der Wand hängt ein Plakat. „Wie wollt ihr in Zukunft leben?“, steht darauf.
Mehr als 2000 Flüchtlingezwischen 16 und 18 Jahren werden derzeit an 26 berufsbildenden Schulen in Hamburg unterrichtet. Im vergangenen Jahr startete zudem das Pilotprojekt „Ausbildungsvorbereitung für Migranten und Migrantinnen“ (Av-M) mit inzwischen 360 Schülern an acht Schulen, das eine Mischung aus Unterricht (drei Tage) und Berufspraktika (zwei Tage) vorsieht. Das läuft so erfolgreich, dass es vom 1. Februar 2016 flächendeckend ausgebaut werden soll.
Ahmed, Khodadad und Abdulrahman haben Plätze in einer von drei Ausbildungsvorbereitungsklassen an der Beruflichen Schule Eidelstedt ergattert. Viele der Schüler – die meisten sind männlich – sind vor Krieg und Perspektivlosigkeit aus ihrer Heimat geflohen, haben sich allein bis nach Hamburg durchgeschlagen und sind hier als minderjährige unbegleitete Flüchtlinge registriert.
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„Wir machen gute Erfahrungen mit dem Projekt“, sagt Schulleiter Elmar Wind. „Die Schüler sind sehr motiviert, haben klare Ziele und wollen sich qualifizieren.“ Es sei wichtig, dass die jungen Leute auch außerhalb der Schule Deutsch lernten und die Arbeitswelt kennenlernten, um sich für eine Berufswahl zu orientieren. „Aber es geht auch um Strukturen und Hierarchien“, so der Pädagoge. „Und um praktische Fragen, etwa ob man seinen Vorgesetzten siezen oder duzen sollte.“
„Als ich zum ersten Mal in die Schule gekommen bin, war ich ganz unsicher“, sagt Khodadad, der aus Afghanistan stammt und im Iran aufgewachsen ist. Ein paar Jahre hat er dort eine Schule besucht, bevor er auf den Bau zum Arbeiten geschickt wurde. „Wir wurden oft geschlagen, wenn wir etwas falsch gemacht haben“, erinnert er sich. Inzwischen geht er gern in die Schule, möchte am liebsten nach dem Hauptschulabschluss im Sommer bis zum Mittleren Schulabschluss weitermachen. „Hier sind die Lehrer da, wenn man eine Frage hat. Sie helfen uns.“
Lehrerin Marina Pasquay kennt das Gefühl, neu anfangen zu müssen. Die 42-Jährige hat in Russland studiert und in Hamburg eine Anpassungsqualifizierung als Weltlehrerin absolviert. Seit zwei Jahren arbeitet sie an der Eidelstedter Berufsschule. Der Unterricht sei zwar manchmal anstrengend, „weil diese Schüler mehr Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Zuwendung brauchen“, sagt Pasquay. Aber: „Es macht mich immer wieder froh zu sehen, wie die Schüler sich entwickeln.“
So wie Abdulrahman. „Vor vier Jahren war mein Leben noch ganz normal“, sagt der junge Syrer. Dann kam der Krieg. Mit Mutter und Bruder floh er aus seiner Heimatstadt Damaskus. Über den Libanon kam die Familie nach Deutschland. Inzwischen spricht er gut Deutsch, liest im Bus deutsche Bücher wie „Tschick“. „Ich bin Seite 43“, sagt der 19-Jährige. Und: „Ich habe jetzt einen kleinen Plan gemacht.“ Nach einem Praktikum in einem Zahnlabor möchte er seinen Realschulabschluss machen und eine Zahntechnikerausbildung. „Vielleicht kann ich danach Zahnmedizin studieren.“
Derzeit sind etwa zehn Prozent der etwa 800 Schüler an der Eidelstedter Schule Flüchtlinge. Anfang November startete die nächste Flüchtlingsklasse. Auch im Dezember rechnet Schulleiter Wind mit einer weiteren Klasse. Noch sei das mit dem bestehenden Team und den zusätzlich eingestellten Lehrern zu schaffen, sagt er. Aber wie lange noch?
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Inzwischen herrscht ein bundesweiter Konkurrenzkampf um Lehrer, die die notwendigen Qualifikationen haben und Interesse daran, mit Flüchtlingen zu arbeiten. In Hamburg wurden bereits mehr als 400 neue Lehrkräfte eingestellt, im Bereich der Berufsschulen waren es 42. Vor allem für die berufsbildenden Schulen werden dringend Lehrkräfte in Voll- und Teilzeit gesucht, wie in einer Stellenausschreibung des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HIBB) heißt. „Je neu eingerichteter Klasse benötigen wir eine Lehrerstelle“, sagt HIBB-Geschäftsführer Rainer Schulz. „Wir suchen weiterhin mit Hochdruck nach Lehrerinnen und Lehrern, die sich engagiert der Integration der Flüchtlinge, deren Spracherwerb und Beschulung widmen.“ Allen Lehrern würden Fortbildungsprogramme angeboten.
„Ich möchte meinen Arbeitsplatz nicht tauschen“, sagt Benjamin Bartsch. Der 32-Jährige war früher Koch, hat Berufsschullehramt studiert und unterrichtet seit mehr als zwei Jahren an der Berufsschule in Eidelstedt. „Die Schüler sind herzlich und offen“, sagt er. „Unser gemeinsames Ziel ist, eine berufliche Perspektive zu entwickeln.“
So wie bei Khodadad, dem jungen Mann aus Afghanistan. Nachdem er im ersten Jahr in der Ausbildungsvorbereitungsklasse ein Praktikum als Anlagenmechaniker gemacht hatte, wünschte er sich im zweiten Jahr etwas ganz anderes: eine Arbeit mit Pferden. „Das kennt er aus seiner Heimat“, erzählt Lehrerin Pasquay. Die Schule fand einen Praktikumsplatz für Khodadad auf einem Pferdehof – der auch noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist.
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