Neustadt. Der Alarmruf des Personalrats bezeichnet die hohe Arbeitsbelastung als „Ausbeutung“. Die Justizbehörde schafft zusätzliche Stellen.

Mit dramatischen Worten klagt die Hamburger Staatsanwaltschaft über eine zu hohe Arbeitsbelastung. Der Senat nehme „vorherrschende Arbeitszeitverstöße“ hin, „die nur noch als Ausbeutung im übelsten kapitalistischen Sinn verstanden werden können“, heißt es in einem Schreiben des Personalrates der Behörde an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Justizsenator Till Steffen (Grüne) und Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD), das dem Abendblatt vorliegt. Schon mehrfach hatte die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren auf eine unzureichende Personalausstattung hingewiesen. In einem Bericht war festgestellt worden, dass eine „effiziente und effektive Strafverfolgung“ teilweise nicht mehr geleistet werden könne.

Die Personalvertretung verlangt nun, „endlich Verantwortung zu übernehmen und unverzüglich die dem Senat aus diversen Drucksachen bekannten rechtswidrigen Zustände bei den Hamburger Staatsanwaltschaften zu beenden“, heißt es in dem Schreiben weiter. Eine wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit in Höhe von 45 Stunden sei „eher niedrig bemessen“. Zudem wird auf eine Antwort des Senats auf eine schriftliche Kleine Anfrage hingewiesen, in der der Senat „eingeräumt“ habe, dass die Ermittler „zwischen 46 und 50 Stunden pro Woche und Vollzeitstelle arbeiten, um der Aktenflut Herr zu werden“. Schließlich seien alle Mitarbeiter „weit über die Grenzen eigener Belastbarkeit hinaus bemüht, der Kriminalität Einhalt zu gebieten“.

Straftaten könnten nicht mehr verfolgt werden, weil Personal nicht vorhanden sei

Der Personalrat habe mit „Verwunderung und Befremden zur Kenntnis nehmen müssen, mit welchem Selbstverständnis der Hamburger Senat die hier vorherrschenden Arbeitszeitverstöße hinnimmt“. Dabei sei die dauerhafte Leistung unbezahlter Überstunden „nicht nur ein klarer Verstoß“ gegen die Hamburger Arbeitszeitverordnung, die 40 Stunden festlegt, sondern auch gegen Arbeitszeitrichtlinien der Europäischen Union. „Die permanente massive Überbeanspruchung der physischen, psychischen und gesundheitszuträglichen Belastungen, wie sie (...) ausgerechnet unter dem ehemaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz erfolgt – der es besser wissen müsste! –, ist eine nicht mehr hinzunehmende Ausbeutung von Arbeitskraft.“ Der Senat werde aufgefordert, „sofort rechtmäßige Zustände herzustellen“.

Kommentar: Die Sorgen der Staatsanwälte ...

Es müssten „mindestens 20 Stellen mehr geschaffen werden“, sagte ein Personalratsmitglied dem Abendblatt. Eigentlich seien sogar rund 30 weitere Stellen erforderlich. Dabei sei grundsätzlich die Bereitschaft, viel zu arbeiten, hoch. „Jeder Staatsanwalt ist auch Ermittler. Und um einen Vergewaltiger, Einbrecher oder Mörder zu überführen, steht man zur Not auch mitten in der Nacht auf.“ Aber jetzt sei mit erheblichen Überstunden und Arbeitszeiten am Wochenende eine Grenze erreicht, „bei der wir nicht mehr nur am Ende der Fahnenstange sind, sondern weit darüber. Wir sind seit Langem nicht mehr arbeitsfähig“. Vielfach könnten Straftaten „nicht mehr verfolgt werden, weil das nötige Personal nicht vorhanden ist“. Und immer wieder kämen Mitarbeiter zum Personalrat, „die regelrecht Tränen in den Augen haben, weil sie einfach nicht mehr können. Wir fordern deshalb die Fürsorge unseres Dienstherren ein.“

Justizehörde habe bei Sondefällen bereits Maßnahmen ergriffen

Die Justizbehörde betonte, dass für Entlastung gesorgt werde. „Wir haben direkt zu Beginn der Amtszeit einen Prozess gestartet, der die Problemlagen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften offenlegen soll“, sagte Behördensprecherin Marion Klabunde. „Die dafür eingeforderten Berichte liegen nun vor und werden aktuell ausgewertet. Um bei jetzt erkannten Spitzen für Entlastung zu sorgen, hat die Justizbehörde bereits Maßnahmen ergriffen. Für die Staatsanwaltschaft werden aus dem neu geschaffenen Richterpool zwei Vollkräfte als Staatsanwalt sowie eine Vollkraft für den Service zusätzlich beschäftigt.“ Darüber hinaus bekomme die Staatsanwaltschaft einen Ausgleich für langzeiterkrankte Staatsanwälte, das seien zwei Vollkräfte. „Anlässlich des Briefs des Personalrates hat es ein Gespräch der Staatsrätin mit dem Personalrat gegeben.“ Und Justizsenator Steffen sagte, anhand der neuen Arbeitsberichte werde geprüft, „welche Konsequenzen sich aus den Aussagen ergeben und wie wir die gewonnenen Erkenntnisse verwerten können“. Es gebe damit eine gute Arbeitsgrundlage, „um in die anstehenden Haushaltsberatungen zu gehen“.

Vor zwei Jahren gabe es schon mal einen Brief an die Behörde

Die jetzt in Aussicht gestellten Stellen für die Staatsanwaltschaft seien „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, kommentiert ein Personalratsmitglied gegenüber dem Abendblatt. „Damit wird nicht die hier bestehende Not beseitigt. Jeder hat ein Recht darauf, dass er nicht Opfer von Straftaten wird. Es ist unsere Aufgabe, dafür Sorge zu tragen. Wir müssen wieder in die Lage kommen, Kriminalität wirksam bekämpfen zu können.“ Zurzeit würden in Einzelfällen sogar Körperverletzungsdelikte oder auch Betrugsstraftaten eingestellt, weil „vieles einfach nicht mehr erledigt werden kann“.

Schon vor mehr als zwei Jahren hatte Behördenleiter Ewald Brandt gemeinsam mit dem damaligen Generalstaatsanwalt Lutz von Selle in einem Brief auf hohe Arbeitsbelastung und Engpässe bei der Bearbeitung von Strafverfahren hingewiesen. Über die Arbeitssituation bei der Staatsanwaltschaft hieß es unter anderem, die Strafverfolgungsbehörde sei „nicht mehr in allen Bereichen in der Lage, ihrer Aufgabe nachzukommen, eine effiziente und effektive Strafverfolgung sicherzustellen und dadurch die Gesellschaft vor Kriminalität zu schützen“.