Hamburg. Drei Hamburger Filialen und die Boutique in Bremen wechseln den Besitzer. Noch kein Investor für Geschäft im Hanseviertel.
Eines der traditionsreichsten Hamburger Unternehmen wird filetiert. Tjark Thies, der Insolvenzverwalter der Papier- und Schreibwarenkette Schacht & Westerich, hat drei Hamburger Filialen sowie den Onlineshop des 1826 gegründeten Unternehmens an zwei Hamburger Unternehmer verkauft. Die Namen der beiden wurden noch nicht bekannt gegeben, sie wollen sich erst dann der Öffentlichkeit stellen, wenn sie sich bei Schacht & Westerich eingearbeitet haben. Die drei Filialen im Alstertal Einkaufszentrum, Elbe Einkaufszentrum und Wandsbek Quarree sowie den Onlineshop wollen die Käufer in einem gemeinsamen Unternehmen weiterführen. Zeitgleich wurden eine Filiale und die Montblanc-Boutique in Bremen an die Firma Bremer Schreibkultur veräußert. Über den Preis wurde Stillschweigen vereinbart.
Anders sieht es im Haupthaus in Hamburg im Hanseviertel an den Großen Bleichen aus. Dort gibt es noch keine Interessenten. Zwar läuft das Geschäft bis Weihnachten weiter, was danach kommt, ist aber unsicher. Kunden, die auf Schnäppchen hoffen, haben allerdings keine Chance, eines zu ergattern. Thies will die Waren ausschließlich zum regulären Preis anbieten. „In diesem Handelssegment ist es besonders wichtig, für das Weihnachtsgeschäft solide aufgestellt zu sein, um Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden die nötige Ruhe und Sicherheit zu geben“, sagt der Insolvenzverwalter von der Hamburger Kanzlei Reimer Rechtsanwälte.
Die noch nicht verkaufte 600 Quadratmeter große Filiale im Hanseviertel stehe zudem vor einem Umbau, der eine mehrmonatige Schließung der Verkaufsräume notwendig mache. Dadurch ist ein Verkauf der Fläche durch den Insolvenzverwalter nicht einfach. Thomas Rasehorn, der seit 1995 bei Schacht & Westerich arbeitete und das Unternehmen im Jahr 2004 übernahm, scheint auch nicht mehr davon überzeugt zu sein, dass sich noch ein Investor findet, der auf feines Papier und Schreibgeräte setzt. Der Laden ist wohl zu groß und die Lage für ein Papiergeschäft zu teuer.
Zudem hat sich durch die zunehmende Digitalisierung die Welt für Geschäfte, die mit Papier, Bleistiften oder Füller handeln, verändert. Das hat auch Rasehorn in den vergangenen Jahren spüren müssen. Früher konnte er zum Beispiel Timer verkaufen. Doch auch diese will inzwischen kaum noch jemand haben, weil heutzutage jedes Smartphone über einen Terminkalender verfügt. Kalender wie etwa der Klassiker Filofax wurden ebenfalls von Programmen für das Handy abgelöst. Auch Taschenrechner braucht man aus dem gleichen Grund kaum mehr. Das Smartphone hat viele Produkte überflüssig gemacht.
Hinzu kommt, dass notwendige Anschaffungen wie Stifte und Schreibhefte für Schüler nicht mehr unbedingt bei Fachgeschäften wie Schacht & Westerich erworben werden, weil es sie bei anderen Anbietern meist günstiger gibt. Denn auch Edeka, Discounter oder Baumärkte überschwemmen zum Schulbeginn den Markt, obgleich sie ansonsten ein völlig branchenfremdes Sortiment anbieten. Das führte dazu, dass auch Lieferanten von Vollsortimentern wie Schacht & Westerich vereinzelt aufgeben mussten.
„In Norddeutschland ist vor allem der Drogeriebetreiber Rossmann in das Geschäft eingestiegen,“ sagt Thomas Grothkopp vom Bundesverband Bürowirtschaft. Mit dessen Preisen können hochwertige Vollsortimenter kaum mithalten. Auch Staffeleien und anderer künstlerischer Bedarf, den Schacht & Westerich ständig vorrätig hatte, werden von anderen Wettbewerbern oft günstiger angeboten als von dem Papierhaus. Zudem habe sich das Einkaufsverhalten drastisch verändert. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens ersparen sich zahlreiche Kunden den Weg in die Stadt. Sie bestellen ihren Bedarf an Papier und Co. lieber über das Internet.
Das spürt nicht nur Schacht & Westerich, sondern die gesamte Branche. Auch Rasehorn fehlten wegen dieses Trends Einnahmen, die er brauchte, um schon im Sommer Artikel für das kommende Weihnachtsgeschäft zu ordern. Die Zahlen in den Bilanzen der Firmen belegen den Trend. Der deutsche Gesamtmarkt für Papier, Bürobedarf und Schreibwaren (PBS) sinkt jedes Jahr, wenn auch nur leicht. 2014 wurden in der Branche rund 14,7 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet – ein Minus von 0,8 Prozent.
Der Markt für hochwertige Schreibwaren ist komplizierter geworden. „Solange bei den großen Häusern die Entwicklung der Mieten gegenläufig zur Kundenzahl ist, können sich Vollsortimenter kaum mehr in Innenstädten halten“, sagt Grothkopp. Schon im Jahr 2003 musste das bekannte Traditionsgeschäft Friedrich C. Jensen sein Gebäude an der Spitaler Straße räumen, weil der Vermieter dem Sportartikelhersteller Nike den Vorzug gab, vermutlich auch deshalb, weil der Großkonzern Nike eine höhere Miete bezahlen konnte als das Papierhaus.