Hamburgs ehemaliger Wissenschaftssenator Jörg Dräger wirbt für eine neue Rolle für Lehrer – vom Vermittler zum Lernbegleiter.
Hamburger Abendblatt: Macht die digitale Bildungsrevolution Schulen und Unis im herkömmlichen Sinne bald überflüssig?
Dr. Jörg Dräger: Nein, aber sie werden sich grundlegend ändern. Für die Digitalisierung gibt es auch in der Bildung keinen Stoppknopf. Es geht aber nicht darum, die digitale Bildung gegen die analoge auszuspielen, sondern darum, beide Welten sinnvoll miteinander zu verbinden.
Über ein Tablet von einem elektronischen Lehrer lernen – statt von einem Menschen, der vor einem steht – ist das nicht auch eine Horrorvorstellung?
Dräger:Der Mix macht es. Die Digitalisierung wird Lehrer und Professoren nicht ersetzen, aber sie bekommen eine neue Rolle, werden vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter. Digitale Hilfsmittel schaffen mehr Zeit für das Wesentliche; dank Lernvideos und Computerprogrammen können Lehrer Kinder statt Standardwissen unterrichten.
Investiert unsere Politik derzeit genug, um die digitalen Chancen in Schulen zu nutzen?
Dräger: Deutschland hängt hier im internationalen Vergleich deutlich zurück. Es geht aber nicht darum, alle Schüler mit einem Laptop auszustatten. Wir brauchen vielmehr eine digitale Qualifizierungsoffensive für Pädagogen. Und wir brauchen flächendeckend zuverlässiges WLAN an unseren Schulen. Dann kann digitales Lernen positive Wirkung zeigen, für mehr und persönlicher zugeschnittene Bildung.
Verändert sich auf längere Sicht auch unsere Gesellschaft durch maßgeschneiderte Lernprogramme?
Dräger: Durchaus. Die Digitalisierung versöhnt zwei bislang scheinbar unvereinbare Ziele: Bildung für alle und personalisiertes Lernen für jeden. Dadurch geraten bisherige Eliten unter Druck: Was lange ein Privileg der sozial Bessergestellten war, wird in Zukunft auch der breiten, bisher benachteiligten Masse zugänglich sein.
Kann die digitale Revolution in den Bildungseinrichtungen auch bei der Integration der vielen Flüchtlinge helfen, die gerade zu uns kommen?
Dräger: Helfen ja, aber das reicht nicht alleine. Ohne einen substantiellen Ausbau der Lehrkapazitäten an unseren Schulen und Hochschulen werden wir diese Herausforderung nicht meistern. Ein digitales Angebot würde vielen Flüchtlingen aber insbesondere beim Deutschlernen und beim Nachholen von Grundlagenwissen sehr nützen können. Und ohne entsprechende Online-Kurse werden wir die bis zu 200.000 zusätzlichen Studierwilligen unter den Asylsuchenden kaum versorgen können.