Das Kurt Körber-Gymnasium in Billstedt startete 2011 eine der ersten 1:1-Initiativen in Deutschland. Jeder Schüler der Oberstufe erhielt damals ein iPad. Hat es sich gelohnt? Ein Interview mit Schulleiter Christian Lenz.
Hamburg. Es war ein Experiment, das für viel Aufsehen sorgte: Als erste Schule in Hamburg und als eine der ersten bundesweit integrierte das Kurt Körber-Gymnasium in Billstedt 2011 systematisch Tablets in den Unterricht. Das Pilotprojekt namens „Paducation“ startete als sogenannte 1:1-Initiative: Jeder Schüler der Oberstufe, also der Klassen 11 und 12, erhielt ein eigenes iPad. Bezahlen mussten die Eltern nur die Versicherung der Computer. Die 70 Geräte wurden jeweils zur Hälfte finanziert von der Körber-Stiftung und der Hamburger Behörde für Schul- und Berufsbildung.
Inzwischen verfolgt das Gymnasium den Ansatz, dass die Schüler auch selbsterworbene Tablets von anderen Marken im Unterricht nutzen können. „Bring Your Own Device“ (BYOD) heißt dieses Konzept im Ausland. Wie verändern sich der Unterricht und das Lernen, wenn das Internet ständig verfügbar ist und die Schüler mit mobilen Geräten arbeiten können? Über die Herausforderungen und den Nutzen der digitalen Technik sprach das Abendblatt mit Schulleiter Christian Lenz.
Hamburger Abendblatt: Warum haben Sie sich dafür eingesetzt, dass ihre Schüler mit Tablets arbeiten?
Christian Lenz: Ich finde, dass wir eine Verantwortung haben, Schüler fit zu machen für eine zunehmend digitale Gesellschaft, in der die Nutzung des Internets selbstverständlich ist – aber auch eine besondere Herausforderung. Wie recherchiere ich erfolgreich, wie bekomme ich schnell heraus, welche Informationen wertvoll sind und welche ich vernachlässigen kann? Wie stehe ich zu den Informationen, die ich finde? Wie gehe ich mit der ständigen Erreichbarkeit um, mit der Ablenkung durch E-Mails und SMS? Solche Fragen sollten Lehrer im Blick haben und mit den Schülern thematisieren. Wir müssen unsere Schüler in die Lage versetzen, die digitale Gesellschaft zu durchschauen und mitzugestalten. Tablets waren schon 2011 vergleichsweise günstig geworden. Sie sind handlich, die Schüler können sie auch zu Hause nutzen.
Inzwischen blicken Sie auf drei Jahre mit den Geräten zurück. Haben die Tablets sich als nützlich erwiesen?
Christian Lenz: Ja, eindeutig. Es ist für die Schüler leichter geworden, eine schnelle Recherche zu machen, also Informationen zusammenzutragen und sie dann zu bewerten und zu präsentieren. Diese drei Schritte gelingen den Schülern mit Tablets erheblich zügiger als früher. Es ist allerdings ein langer Weg, die Schüler an diesen Punkt zu bringen und so kompetent zu machen, sie also davon wegzubekommen, einfach nur zu googlen.
Schnellere Recherche – heißt das, die Schüler können in weniger Zeit mehr lernen?
Christian Lenz: Nein, jedenfalls nicht zwangsläufig. Denn das Lernen kann prinzipiell nur besser werden mit der Einstellung, der Grundhaltung des Lernenden. Als Lehrer kann ich bestimmte Rahmenbedingungen schaffen, die es ermöglichen, dass der Schüler besser lernt. Auch digitale Technik gehört dazu. Aber diese Rahmenbedingungen sind kein Garant dafür, dass das Lernen automatisch besser wird. Der Schüler muss neugierig sein. Wenn er keine Fragen hat, und bestimmte Dinge nur macht, weil seine Eltern das wollen oder weil der Lehrer das von ihm will, dann lernt er nicht viel. Da nützt auch der beste Tablet-PC nichts.
Haben die Tablets den Lehrern etwas gebracht?
Christian Lenz: Allerdings. Auch uns helfen die Geräte dabei, Zeit zu sparen, wenn die Startschwierigkeiten überwunden sind und sich bestimmte Abläufe etabliert haben. Wir müssen weniger organisieren und jonglieren. Ist der Computerraum gerade frei, kennen die Schüler sich im Computerraum aus? Haben die Schüler zuhause alle einen eigenen Computer, haben Sie zuhause einen Internetanschluss? Diese Fragen sind alle geklärt. Die Schüler müssen für eine Internetrecherche nicht mehr in den Computerraum gehen. Sie habe in fast jedem Klassenraum einen Internetzugang und auch zuhause können sie mit ihren Tablets ins Netz gehen.
Dürfen die Schüler ihre Tablets völlig frei nutzen?
Christian Lenz: Es gibt einige Einschränkungen. Wir nutzen einen Filter, der den Aufruf von Internetseiten verhindert, die zum Beispiel extremistische oder pornographische Inhalte haben. Dieser Filter wird regelmäßig aktualisiert, damit unsere Schüler vor problematischen Inhalten geschützt sind. Ansonsten haben die Schüler sehr viele Freiheiten. Sie können etwa Spiele installieren, Fotos machen und Videos drehen.
Spiele auf den Tablets – besteht da nicht die Gefahr, dass die Schüler im Unterricht abgelenkt sind?
Christian Lenz: Es kann vorkommen, dass Schüler während des Unterrichts im Internet surfen oder Angry Birds zocken. Als das Pilotprojekt eine Weile lief, sagten einige Schüler damals, sie hätten das Gefühl, ihre Leistungen seien durch die Tablets schlechter geworden. Aber das hat sich zum Glück schnell gegeben; inzwischen ist Ablenkung nur noch für wenige Schüler ein Problem. Für die Arbeit mit den Tablets musste sich der Unterricht weiterentwickeln. Die Lehrer mussten lernen, darauf zu achten, die Frontalsituation möglichst oft auflösen und zum Beispiel auf Gruppenarbeit zu setzen. Die Freiheit, die die Schüler mit ihren Tablets haben, wollen wir aber beibehalten. Denn sie ist eine Grundvoraussetzung, um Eigenverantwortlichkeit zu kultivieren und Kreativität fördern. Das gilt übrigens auch für die Lehrer.
Inwiefern?
Christian Lenz: Als wir mit dem Pilotprojekt starteten, war es mir wichtig, dass auch alle Lehrer ein eigenes Tablet bekommen, das sie frei nutzen können. Ich sagte zu den Kollegen: Nehmt das Gerät mit in die Ferien, lest ein Buch darauf, macht Fotos, tut damit, was auch immer ihr wollt, wozu ihr Lust habt. In dem Moment, wo auch für die Lehrer ein persönliches Werkzeug zur Verfügung steht, dass sie auch zuhause nutzen können und nicht nur in der Schule, ist auch eine Bereitschaft da, sich darauf einzulassen. Die Kollegen haben das dann auch getan. Inzwischen gibt es einige Lehrer, die Tablets schon so intensiv nutzen, dass sie fast ohne Papier durch den Unterricht kommen.
In welchen Fächern werden die Tablets eingesetzt?
Christian Lenz: Prinzipiell in allen Fächern. Aber jeder Lehrer hat die Freiheit zu entscheiden, ob und an welcher Stelle er die Geräte einsetzen möchte. Im Idealfall trifft der Lehrer zu Beginn des Schuljahres mit den Schülern eine Vereinbarung, wie Texte bereitgestellt werden, wie Hausaufgaben abgegeben werden, wie der Lernerfolg kontrolliert wird, wie ein Referat entstehen kann, eine Gruppenarbeit. Denn an all diese Dinge kann man ja sehr unterschiedlich herangehen. De facto läuft es in jeder Klasse und bei jedem Lehrer etwas anders. Das ist eine Stärke des Projekts, weil es der Kreativität dient, aber es ist auch ein Schwachpunkt, weil es für Unübersichtlichkeit sorgt. Da wir in einer Zeit des Umbruchs sind, möchte ich es noch eine Weile so belassen. Langfristig ist aber wohl eine stärkere Standardisierung nötig.
Wie funktioniert die Arbeit mit den Tablets und mit dem Internet konkret?
Christian Lenz: Wenn ich als Lehrer früher eine Gruppenarbeit einleiten wollte, lief das etwa so: Ich legte ein Thema fest, beantwortete Fragen, verteilte Aufgaben und ließ Texte schreiben, die ich einige Tage später einsammelte. Heute nutzen wir eine Kommunikationsplattform im Internet. Dort gibt es einen geschützten Raum für unsere Schule. Für die Lehrer ist der Raum mit einem Kennwort zugänglich. Innerhalb dieses Raums kann ich beliebig viele weitere Räume einlegen, virtuelle Klassenzimmer. Die Schüler bitten per E-Mail um Teilnahme, die ich als Lehrer erteile. In dem Raum kann ich Aufgaben stellen, Material zum Download bereitstellen, Termine festlegen, Blogs erstellen. Die Schüler wiederum können hier gemeinsam an einer Präsentation arbeiten, über die wir dann im Unterricht diskutieren.
Auf Dauer können Sie es nicht finanzieren, dass jeder Schüler kostenlos ein Tablet bekommt. Deshalb haben Sie im dritten Oberstufenjahrgang ein Experiment gestartet.
Christian Lenz: Wir haben nicht mehr nur iPads zugelassen, sondern auch Tablets von anderen Marken, die mit anderen Betriebsystemen laufen. Wir haben die Eltern gefragt, ob vielleicht schon ein Gerät vorhanden ist oder ob sie bereit sind, eines anzuschaffen. Das Ergebnis: Ein Drittel der benötigten Geräte war schon vorhanden, ein weiteres Drittel ist von Eltern beschafft worden. Das restliche Drittel konnten wir von den Mitteln bezahlen, die uns regulär für die Anschaffung von Technik zur Verfügung stehen. So konnten wir das Paducation-Projekt weiterführen. Die spannende Frage war dann, ob es gelingen würde, die persönlichen Geräte in die bestehende Infrastruktur einzubringen. Da wir Mindestanforderungen für alle Geräte festgelegt haben und außerdem bestimmte Regeln – etwa, dass die Schüler für Adapter sorgen müssen, die auf die Beamer passen –, funktioniert es bisher recht gut. Aber es gibt auch immer wieder bei Probleme, bei der Bedienung ebenso wie bei der Kompatibilität.
Gibt es Probleme auch bei der Internetanbindung?
Christian Lenz:Nein, zum Glück nicht. Die Versorgung ist in Hamburg grundsätzlich vergleichsweise gut. Durch ein Sonderinvestitionsprogramm der Stadt, das 2010 startete, haben alle 450 allgemeinbildenden Hamburger Schulen einen Internetanschluss in jedem Klassenraum. Für unser Projekt wurde diese Infrastruktur um ein WLAN erweitert, damit die Schüler möglichst ortsungebunden arbeiten können.