Hamburg/Brüssel. EU-Kommissarin Vestager war in ihrer Heimat Dänemark Vorbild für eine TV-Serie. In Brüssel trifft sie sich jetzt mit Scholz und Albig.

Sie ist die Lichtgestalt der Juncker-Kommission. Margrethe Vestager, die Dänin mit der Bubifrisur, steht seit knapp einem Jahr an der Spitze der Abteilung Wettbewerb in der Brüsseler EU-Zentrale. Dort hat sie sich persönlich um das Beihilfeverfahren gekümmert, das die HSH Nordbank mit ihrem Wunsch nach einer Erhöhung der Ländergarantie von sieben auf zehn Milliarden Euro ausgelöst hatte.

Was immer Unerfreuliches über Brüssel gesagt oder geschrieben wird – sie ist nicht gemeint. Diese Kommissarin bekommt nur gute Noten „Sie ist hart, aber herzlich“, meint der SPD-Finanzfachmann Peter Simon, „und beides ist als Kompliment gemeint.“ Das Urteil seines CSU-Kollegen Markus Ferber lautet ähnlich: „Unprätentiös, unbeirrt, unabhängig“.

Scholz und Albig haben einen Termin

Dass sie ihre Entscheidung sachlich trifft, dürfte sich für Hamburg und Schleswig-Holstein eher positiv auswirken. Denn für die beiden Bundesländer geht es am heutigen Montag um eine der wichtigsten Weichenstellungen in ihrer Geschichte. Nach Abendblatt-Informationen haben Bürgermeister Olaf Scholz und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (beide SPD) heute einen Gesprächstermin bei Vestager.

Um die Bank zu retten, an der sie zu 85 Prozent beteiligt sind, sind die Länder bereit, der HSH Schiffskredite im Milliardenumfang abzunehmen – zu welchem Preis und mit welchen Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte, ist noch offen. Dahinter steht die Hoffnung, dass sich die HSH ohne die belastenden Altkredite endlich positiv entwickeln kann. Glaubt man den Signalen aus den Ländern, kann Kommissarin Vestager diese Sichtweise nachvollziehen. Wäre das nicht so, bliebe als Alternative wohl nur die Abwicklung der Bank – mit kaum kontrollierbaren Folgen für Hamburg und Schleswig-Holstein.

Vorbild für dänische TV-Serie

An der fachlichen Beschlagenheit und politischen Erfahrung der früheren dänischen Wirtschafts- und Innenministerin gibt es ohnehin keine Zweifel. 13 Jahre saß Vestager für die sozialliberale Partei Radikal Venstre im Folketing in Kopenhagen und wurde zum Vorbild für eine Hauptfigur der erfolgreichen Politserie „Borgen“. Viel Beifall, gerade von Geschlechtsgenossinnen, gibt es auch für ihren persönlichen Stil: zurückhaltend-elegant im Auftreten, verbindlich, aber nicht anbiedernd in der Kommunikation. Vestager ist Mutter dreier Töchter und greift in langwierigen Sitzungen gern zum Strickzeug. Dennoch gilt sie als „cool“ – ist erkennbar eine Dame, aber mit festem Zugriff auf die Sache.

Den braucht sie auch. Denn ihre Abteilung, die heimlichen Kartellen, Preistreibereien und verbotenen Beihilfen nachspürt, ermittelt gegen Konzernriesen, neben denen sich die HSH Nordbank bescheiden ausnimmt: Google und Gazprom etwa oder Apple, Starbucks, Amazon und Fiat, die als Nutznießer fiskalischer Vorzugsdeals in Irland, den Niederlanden und Luxemburg unter Verdacht stehen. Letzteres ist besonders heikel. Noch immer ist nicht geklärt, wie viel Jean-Claude Juncker, einst Luxemburger Premier, jetzt Vestagers Chef, vom Steuerdumping in seiner Heimat wusste.

Zudem will Vestager anhand der vorliegenden Fälle Leitlinien entwickeln, wo Brüssel künftig die rote Linie zieht. „Das kann das ganz große Rad werden, wenn es richtig gemacht wird“, sagt ein Brüsseler Insider. „Wenn nicht, kann sie übel auf die Nase fallen.“

Hamburger ist Vestager unterstellt

Noch relativ frisch, nämlich erst seit diesem Sommer im Amt, ist Johannes Laitenberger, als Generaldirektor nunmehr oberster Beamter der Brüsseler Wettbewerbsaufsicht und damit Vestager direkt unterstellt

Der 51-jährige gebürtige Hamburger hat eine klassische Karriere im EU-Apparat hinter sich. Sie schließt allerdings nur ein knappes Jahr Erfahrung in der „DG Comp“ ein, der Abteilung, der er jetzt vorsteht. Seinen Aufstieg verdankt Laitenberger seinem Sprachtalent ebenso wie seinen Kenntnissen als Jurist: Er spricht Portugiesisch. In Brüssel diente er Junckers portugiesischem Vorgänger Barroso erst als Sprecher, dann als Kabinettschef. Zusammen mit Junckers allgegenwärtigem Adlatus Martin Selmayr gilt Laitenberger als einflussreichster Deutscher im EU-Apparat. Sonntags spielt der Christdemokrat in Brüssel die Kirchenorgel, und wenn die EU-Hymne, Beethovens ‚Ode an die Freude‘ erklingt, legt er andächtig die Hand auf die Brust – ein Herzenseuropäer. Der 51-Jährige hat die ersten zehn Lebensjahre in Barmbek verbracht. Dann zog die Familie nach Portugal. Laitenbergers Vater, evangelischer Pastor, bekam eine Anstellung in einer Gemeinde in Lissabon. Kein Wunder, dass der Sohn perfekt Portugiesisch spricht.

Vestagers erste Wahl war er allerdings nicht. Die Kommissarin hat wissen lassen, dass sie gern den Niederländer Alexander Italianer behalten hätte, den Juncker und Selmayr zum Generalsekretär der Kommission machten. Dafür konnte sie sich in Sachen HSH auf einen ausgesprochen erfahrenen Mann stützen: Die Beihilfe-Abteilung leitet der stellvertretende Generaldirektor Holländer Gert Jan Koopman, der seit fast einem Vierteljahrhundert im EU-Hauptquartier arbeitet. Seinen gegenwärtigen Posten – Oberaufsicht über gut 1000 einzelne Fälle – bekleidet er bereits seit fünf Jahren.