Hamburg. Der Chef der IG Metall Küste über Werkverträge, Forderungen für die maritime Wirtschaft – und Gewerkschaftsarbeit per Bilderbuch.

Meinhard Geiken musste sich entscheiden: Gewerkschaftstag oder Nationale Maritime Konferenz? Der Vorsitzende des IG Metall Bezirks Küste wird in dieser Woche nicht in Bremerhaven, sondern in Frankfurt sein. Dort wählt die IG Metall am Dienstag eine neue Bundesspitze. Im Gespräch mit dem Abendblatt sagt Geiken, wem er seine Stimme gibt und was die fast 180.000 Mitglieder seines Bezirks von der Bundesregierung erwarten. Geiken sorgt sich zudem um eine Firma, bei der er einst als Maschinenschlosser lernte: VW.

Hamburger Abendblatt: Warum fährt die IG Metall derzeit eine Kampagne gegen Werkverträge? Dass ein Unternehmen einen Auftrag an ein anderes Unternehmen vergibt, ist doch ein sehr normaler Vorgang.

Meinhard Geiken: Nachdem Regelungen gegen Auswüchse der Leiharbeit getroffen wurde und diese zurückgeht, versuchen Firmen verstärkt, Kosten durch die Vergabe von Werkverträgen zu senken. Unsere aktuelle Umfrage bei Betriebsräten zeigt, dass mittlerweile drei Viertel aller Firmen dieses Mittel nutzen und dass in fast 20 Prozent der Betriebe die Zahl solcher Verträge in den vergangenen drei Jahren gestiegen ist. In jedem fünften Unternehmen wurden Stammarbeitsplätze durch Werkverträge ersetzt, und zwar auch in den Kernbereichen der Produktion und in der Entwicklung. Wenn Arbeit und Wissen nach außen gegeben werden, sehen wir darin große Gefahren. Vor allem aber ist es notwendig, dass die Werkvertragsunternehmen auch tarifgebunden sind, was sehr oft nicht der Fall ist. Die Kolleginnen und Kollegen sollen zu vernünftigen Bedingungen arbeiten können. Mit dem Lohndumping muss Schluss sein.

Der Arbeitgeberverband Nordmetall sagt, die Stammbelegschaften wüchsen.

Geiken : Ja, das ist richtig. Interessant ist aber, dass Nordmetall vor Kurzem eine Umfrage bei den Unternehmen veröffentlicht hat, die unsere Umfrage bestätigt. Danach sagen 17 Prozent der Firmen, dass sie zusätzlich Werkverträge nutzen wollen, und sogar knapp 30 Prozent sagen, dass sie das tun, um ihre Lohnkosten zu senken.

Die Große Koalition hat Maßnahmen gegen einen Missbrauch von Werkverträgen im Grundsatz vereinbart, der Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles liegt aber immer noch nicht vor. Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Geiken : Die Koalition hat mehr Transparenz und Informationspflichten der Firmen gegenüber dem Betriebsrat im Zusammenhang mit Werkverträgen verabredet. Das ist deutlich weniger als das, was wir wollen. Der IG Metall geht es um Mitbestimmung. Der Betriebsrat soll eine Mitsprache haben, welche Aufträge nach außen gegeben werden und welche Standards bei Werkverträgen gelten. Wir werden über die Absprachen in der Koalition aber nur hinauskommen, wenn wir als Gewerkschaft weiter Druck machen.

Sie wollen tiefe Einschnitte in die unternehmerische Freiheit.

Geiken : Viele Firmen überlegen nicht, welche Gefahren für sie darin liegen, wenn sie durch Werkverträge Fachkräfte verlieren und Know-how auslagern. In den Betriebsräten sitzen die Kollegen, die wissen, wie es geht. Es ist auch im Interesse des Unternehmens, wenn sie mitbestimmen.

Nun hat mit Werftchef Bernhard Meyer gerade ein Unternehmer ein ganzes Unternehmen der Mitbestimmung entzogen.

Geiken : Ich habe mich schon sehr über die Begründung gewundert, er wolle sich nicht durch einen Aufsichtsrat in seinem unternehmerischen Handeln einschränken lassen. Er sitzt nämlich selbst in drei Aufsichtsräten. Ich kenne keinen Aufsichtsrat, der durch Eingriffe ins operative Geschäft einen Vertragsabschluss verhindert. Ich glaube, Herr Meyer will sich nicht in die Karten schauen lassen und für sich entscheiden. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass eine Geschäftsleitung weiß, was die Belegschaft denkt. Das ist ein wichtiges Korrektiv, um Entscheidungen zu diskutieren und zu überprüfen.

Die Eckpunkte der IG Metall Küste zur Nationalen Maritimen Konferenz in dieser Woche sind fast deckungsgleich mit denen der CDU. Woher kommt diese Allianz?

Geiken : Vielleicht hat sich die CDU ja unseren Positionen angeschlossen (lacht). Aber wichtiger ist doch, dass es Anlass gibt, sich um die Zukunft der maritimen Wirtschaft in Deutschland Sorgen zu machen. In den Zukunfts­feldern muss mehr gemacht werden, bei Forschung und Entwicklung muss der Staat mehr Geld in die Hand nehmen.

Bevor man nach dem Staat ruft, sollte man die Unternehmen in die Pflicht nehmen.

Geiken : Was die Forschung angeht, könnte die maritime Wirtschaft sicherlich mehr tun. Aber man muss auch sehen, dass viele kleinere und mittlere Unternehmen gar nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten für grundlegende Neuentwicklungen haben. Klar ist, dass zusätzliche Mittel des Staates für Forschung und Entwicklung benötigt werden.

Sie selbst haben bei VW in Emden
Maschinenschlosser gelernt, bevor Ihre Gewerkschaftskarriere begann. Haben Sie die Befürchtung, dass der Abgasskandal auch zulasten der Beschäftigten geht?

Geiken : Er darf jedenfalls nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden. Welche Auswirkungen der Skandal hat, ist noch offen. Wir werden jedenfalls darauf achten, dass Arbeitsplätze nicht abgebaut werden. Viele Kolleginnen und Kollegen bei VW sind derzeit sehr angespannt.

Beim Gewerkschaftstag in dieser Woche wählt die IG Metall einen neuen Vorsitzenden aus Baden-Württemberg und eine Vizevorsitzende aus Hessen. Wann sieht man mal ein Mitglied von der Küste an der Spitze?

Geiken : Das ist natürlich nicht auszuschließen, auch wenn die Küstenleute an sich ja eher ruhig und bescheiden sind. Aber natürlich geht es bei solchen Entscheidungen nicht um Fragen der regionalen Herkunft, sondern darum, wer den Job am besten macht. Und ich denke, da ist der Kollege Jörg Hofmann die richtige Wahl.

Der Bezirk Küste bringt zum Gewerkschaftstag ein Pixi-Buch heraus, in dem es um Streiks für bessere Arbeitsbedingungen geht. Beginnt die Mitgliederwerbung jetzt schon im Vorschulalter?

Geiken : Man kann Kinder jedenfalls nie früh genug an die Themen Gewerkschaft und Solidarität heranführen. Es ist schon komisch, wenn uns jetzt Indoktrination unterstellt wird. Es sind ja schließlich Erwachsene, die entscheiden, was sie Kindern vorlesen. Und was die Mitgliederzahl angeht: Die IG Metall und der Bezirk Küste werden auch in diesem Jahr weiter wachsen.