Hamburg. Tarifabschluss in Deutschlands wichtigster Industriebranche. Über Abschluss für den Norden wird am Donnerstag in Hamburg verhandelt.

Wieder einmal gibt der Südwesten die Richtung vor, wenn es um die Tarifverträge in der deutschen Metall- und Elektroindustrie geht: Am Dienstag in den frühen Morgenstunden haben sich die Arbeitgeber und die IG Metall im baden-württembergischen Böblingen auf einen Abschluss geeinigt, der bis zum 31. März 2016 Geltung hat. Beginnend mit dem 1. April 2015 gibt es 3,4 Prozent mehr Geld. Für die Monate Januar bis März wurde eine Einmalzahlung von 150 Euro vereinbart, die im März überwiesen wird. Die Gewerkschaft hatte 5,5 Prozent mehr Lohn gefordert, die Arbeitgeberseite hatte eine Anhebung um 2,2 Prozent geboten.

Meinhard Geiken, Leiter des IG- Metall-Bezirks Küste, begrüßte das Ergebnis. Es bedeute ein „deutliches Plus im Portemonnaie der Beschäftigten.“ Nordmetall-Präsident Thomas Lambusch zeigte sich erleichtert darüber, dass ein Arbeitskampf abgewehrt werden konnte, „der nach fast flächendeckenden Warnstreiks immer wahrscheinlicher wurde“. Das Lohnplus von 3,4 Prozent sei aber „eine bittere Pille und nur mit Blick auf die bereits geplante Urabstimmung zu rechtfertigen“, so Lambusch. Man könne nur hoffen, dass die zuletzt wieder besseren Konjunkturprognosen der Bundesregierung und mehrerer Wirtschaftsforscher wirklich eintreten.

Der Abschluss in der Metallindus­trie setze ein deutliches Signal gegen die Diskussion, dass man wegen der niedrigen Inflationsrate auch bei den Gehältern auf die Bremse treten müsste, sagte Reinhard Bispinck, der Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, der Nachrichtenagentur dpa: „Wir rechnen im Jahresdurchschnitt 2015 mit einem Prozent Preissteigerungsrate.“ Am Jahresende werde ein kräftiges reales Plus übrig bleiben.

Laut der jüngsten WSI-Studie haben die Reallöhne in Deutschland gerade erstmals wieder das Niveau des Jahres 2000 erreicht. Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt hätten nach der Jahrtausendwende die Entwicklung der Arbeitseinkommen gebremst. Am Tiefpunkt im Jahr 2009 hätten die realen Bruttolöhne um 4,3 Prozent niedriger gelegen als im Jahr 2000, so Bispinck. Unmittelbare Signalwirkung habe der jetzt gefundene Metallabschluss insbesondere für die bereits laufenden Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie. In ihrem Jahreswirtschaftsbericht erwartet die Bundesregierung mit Verweis auf die gute Arbeitsmarktlage für das laufende Jahr ein Plus der Bruttolöhne von immerhin 3,2 Prozent.

Über einen Metalltarifabschluss für den Norden wird zwar am morgigen Donnerstag im Hamburger Hotel Atlantic noch einmal verhandelt. Es zeichnet sich aber ab, dass die Lohnsteigerung ebenso übernommen wird wie der im Südwesten gefundene Kompromiss zur Altersteilzeit. Für eine dritte Säule des Abschlusses aus Baden-Württemberg, die Bildungsteilzeit, gilt das jedoch nicht; hier wird es für den Norden eine abweichende Regelung geben.

In Böblingen hat man sich auf einen Einstieg in eine bezuschusste Weiterbildungsteilzeit geeinigt. So sieht der Tarifvertrag vor, für An- und Ungelernte Programme für berufsqualifizierende Abschlüsse anzubieten. Schon zuvor gab es aber im Südwesten – anders als im übrigen Bundesgebiet – einvernehmliche Regelungen dazu auf Betriebsebene. Den von der IG Metall gewünschten individuellen Anspruch einzelner Arbeitnehmer auf Bildungsteilzeit konnte die Gewerkschaft jedoch nicht durchsetzen.

Deren Forderungen wären praktisch auf ein „Co-Management in der Personalentwicklung“ hinausgelaufen, hieß es von Nordmetall. Dies habe man abwenden können, so Lambusch: „Die unternehmerische Freiheit bleibt gewahrt. Auch künftig kann Weiterbildung ohne Ansprüche auf Zuschüsse, ohne individuelle Ansprüche auf persönliche Weiterbildung und ohne erweiterte Mitbestimmung des Betriebsrates organisiert werden.“ Während die Beschäftigten in Baden-Württemberg ein Rückkehrrecht von bis zu sieben Jahren Dauer nach einer Qualifizierungsmaßnahme haben, soll die Frist im Norden wie auch im übrigen Bundesgebiet niedriger sein.

Dafür ist es der Arbeitgeberseite nicht gelungen, wie ursprünglich angestrebt, die bisherige Altersteilzeitquote von vier Prozent der Belegschaft zu halbieren. Dies wehrte die IG Metall ab und setzte stattdessen höhere Zuschüsse für Geringverdiener durch. Die Bezieher geringer Einkommen werden künftig rund 90 Prozent ihres bisherigen Nettolohns während der Altersteilzeit erhalten.

Diesen Kompromiss werteten beide Seiten als Erfolg: „Die Altersteilzeit wird trotz fehlender gesetzlicher Regelung gesichert“, sagte Geiken. Auch Lambusch zeigte sich zufrieden mit der in Baden-Württemberg gefundenen Lösung: „Bei der Altersteilzeit gibt es – anders als von der IG Metall gewünscht – keine Ausweitung und damit keine Kostensteigerung.“

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