Immer länger warten Fluggäste an der Gepäckausgabe. Das hat viele Gründe, unter anderem eklatanten Personalmangel. Ein Ortstermin.

Das Warten beginnt mit 50 Minuten Verspätung und einem kräftigen Wumpbrrr. Es ist 17.35 Uhr, und die Reifen des Airbus 320 aus Palma de Mallorca setzen auf dem Rollfeld des Hamburg Airport auf. Der Pilot lenkt die Air-Berlin-Maschine auf das Flughafen-Vorfeld und parkt an einer Fluggastbrücke am Terminal 2.

Es ist 17.45 Uhr, und die Passagiere beginnen zu warten. Sie warten, dass sich die Türen des Flugzeugs öffnen. Sie erwartet weiteres Warten. Denn immer mehr Zeit vergeht am Flughafen, bis Koffer und Taschen auf den Laufbändern der Gepäckausgabe ankommen. So wird laut Katja Bromm, Sprecherin des Hamburg Airport, zwar das Gepäck nach durchschnittlich 30 Minuten ausgeliefert, längere Wartezeiten von bis zu 90 Minuten häufen sich aber – Tendenz steigend.

Ein echtes Problem ist das, findet auch Christian Noack. Der Hamburger ist kein Passagier des Fluges AB 7757. Noack ist Direktor des Ground Handling am Flughafen und qua Amt verantwortlich für jegliche Warterei am Gepäckband. Und er hält dieses Problem für unlösbar. Für Noack und seine rund 700 Mitarbeiter ist jedes Flugzeug ein Kampf gegen das Warten – mit vielen Hürden. Besonders in den Spitzenzeiten, wenn die Flugzeuge im Minutentakt landen, wird es für die Flugzeugabfertiger stressig. Bromm nennt die kritischen Zeiten: „Das sind der Montagmorgen sowie die Abende an Freitagen und Sonntagen.“ Auch in der Urlaubszeit, wie in den am Montag beginnenden Herbstferien, erhöht sich das Passagieraufkommen.

13,5 Millionen Gepäckstücke werden am Airport jährlich aus- und eingeladen

Und verspätete Flugzeuge wie die Maschine aus Spanien sind ein Grund dafür, dass der Zeitplan der Entladeteams gehörig durcheinandergerät, sagt Noack. Denn eigentlich sind vorab jedem Flugzeug vier Männer zugeteilt; kommen die Flugzeuge nicht nach Plan, muss umdisponiert werden. Wie oft sich die Flugzeuge verspäten? Immer öfter, sagt Noack.

Noacks just umdisponierte Flugzeugabfertiger legen am Air-Berlin-Flieger an Tempo zu: Klappe auf, Förderband davor, ein Mann klettert in den Bauch des Flugzeugs, drei bringen sich am Förderband in Position. Auf den Knien zieht, schiebt und hebt der Mitarbeiter im Flugzeug die Koffer auf das Förderband, das sie hinab zu den Fahrzeugen transportiert. Etwa 190 Gepäckstücke sind es. Sie sind dem 1,20 Meter hohen Laderaum des Airbus eng gestapelt – nach einem detaillierten Pack-Plan. Das Flugzeug muss nämlich im Gleichgewicht bleiben, damit es nicht auf sein Heck kippt. Das sogenannte Tail-tipping ist das Horrorszenario eines jeden Flugzeugabfertigers.

Unten am Förderband steht Fatih Çetin, ein drahtiger junger Mann. Er stapelt die ankommenden Koffer und Rucksäcke auf einen Anhänger. „Das ist wie Tetris für Männer“, ruft er über den Lärm der startenden und landenden Flugzeuge hinweg und freut sich, dass sich alles gut ineinander fügt. Bis zu 1000 Koffer bewegt jeder Ground-Handling-Angestellte pro Schicht.

Vom Förderband rutscht das Gepäck in eine Auffangwanne und wird verladen
Vom Förderband rutscht das Gepäck in eine Auffangwanne und wird verladen © Andreas Laible | Andreas Laible

Mitarbeiter wie Fatih Çetin sind schwer zu bekommen. Angestellte im Ground Handling müssen kräftig sein. Sie müssen auch bereit sein, im Schichtdienst zu arbeiten, auch am Wochenende und Spätabends – für einen Brutto-Einstiegslohn von durchschnittlich 10,40 Euro pro Stunde. Zudem müssen sie für die Arbeit im Sicherheitsbereich geeignet sein. Frauen darf Noack nicht einstellen: „Das verbietet der Arbeitsschutz.“ Der Personalmangel ist laut Noack ein gewichtiger Grund für die zunehmende Warterei. 50 Stellen sind derzeit unbesetzt.

Ein anderer Grund ist die Technik. „In jedem Bereich wird an Innovationen getüftelt, nur beim Be- und Entladen von Flugzeugen arbeiten wir fast unter denselben Umständen wie vor 15 Jahren“, sagt Noack und beeilt sich, über die Straße ins Terminal zu gehen.

Auf der anderen Seite erschwert das Internet die Arbeit. „Früher waren die Passagiere zwei Stunden vor Abflug am Flughafen, heute kommen sie dank Online-Check-In oft erst eine Stunde früher, und unser Zeitfenster schmilzt“, sagt Noack.

Der Wagen des Entladeteams biegt mit dem Gepäck der Spanien-Urlauber ins Gebäude. Über ein Laufband und durch ein Loch in der Wand gelangen die Koffer zu ihren Besitzern. Fünf Kilometer lang ist dieses Förderbandsystem und zieht in den Terminals Kreise.

13,5 Millionen Gepäckstücke werden im Jahr am Hamburger Flughafen aus- und eingeladen. Dass ein Koffer verloren geht, kommt laut Noack selten vor. „Die Quote liegt im Promillebereich“, sagt er. Dass Gepäckstücke wieder ausgeladen werden müssen, weil der Besitzer nicht rechtzeitig am Gate ist, kommt allerdings öfter vor: durchschnittlich zwölfmal am Tag. Das kann jedes Mal bis zu 30 Minuten dauern.

Auf dem Weg von der Abgabe zum Flugzeug wird das Gepäck kontrolliert

Mit einem dumpfen Geräusch kündigt sich hinter dem Ground-Handling-Chef ein Koffer an. Er rutscht vom Förderband eine Rutsche hinab und landet in einer Art Auffangwanne. „Das ist ein automatisierter Vorgang“, sagt der Logistik-Experte. Dass der Vorgang funktioniert, dafür sorgen die Aufkleber, die bei der Kofferabgabe am Check-In an das Gepäck geklebt werden. Genauer gesagt: der Barcode, der mehrfach gescannt wird. Noack: „Wir wissen immer, wo ein Koffer ist.“ Für den Besitzer sichtbar verschwindet sein Gepäck unmittelbar nach dem Bekleben. Noack nennt es das „schwarze Loch“.

Dahinter bewegt sich das Gepäck auf dem Förderband nicht nur in Richtung seiner Rutsche, es durchläuft auch ein mehrstufiges Kontrollsystem. Noack: „Der Koffer wird geröntgt, stimmt etwas nicht, wird er nochmals mit hochauflösenderer Technik durchleuchtet.“ Gibt es auch nach der dritten Aufnahme noch Zweifel, wird der Koffer geöffnet, gegebenenfalls der Besitzer ausgerufen. Noack: „In den meisten Fällen nehmen wir das verbotene Gefahrgut wie Gaskartuschen aus dem Gepäck und legen eine Benachrichtigung für den Besitzer hinein.“ Das passiert 1400 Mal im Monat – und kostet wieder Zeit. Denn insgesamt darf der sogenannte Flugzeug-Turnaround, also das Ent- und Beladen, nur 35 Minuten dauern. Eine echte Herausforderung angesichts der vielen Störfaktoren, findet der Ground-Handling-Chef.

Trotz der verspäteten Landung ist es den Männern beim Air-Berlin-Airbus geglückt, im Zeitplan zu bleiben. Es ist 18 Uhr, das Flugzeug, das gerade noch ausgeladen wurde, wird beladen – mit Gepäck von Fluggästen, die nach Österreich wollen. Eine halbe Stunde später wird der Airbus auf der Startbahn schneller und schneller. Das Flugzeug verschwindet am Himmel – in etwa 90 Minuten wird es in Wien landen und das Bodenpersonal die Bauchklappe öffnen.