Hamburg. Innensenator Neumann droht Gewalttätern mit Konsequenzen. Die Polizei warnt vor Gefahr bei Einsätzen. Antworten auf wichtige Fragen.
Die Gewaltfälle in Flüchtlingsheimen häufen sich: Nachdem sich Albaner und Afghanen am Dienstag an der Dratelnstraße in Wilhelmsburg mit Eisenstangen attackierten, kam es am Mittwoch in einer Notunterkunft in Bergedorf zu einem weiteren Großeinsatz der Polizei. Dabei drohte die vierte Massenschlägerei in einer Woche. Das Abendblatt klärt die wichtigsten Fragen.
Wie ist die aktuelle Situation in den Flüchtlingsunterkünften?
Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass der Streit in der Dratelnstraße zwischen zwei jungen Männern in einem Toilettencontainer entbrannte – im Anschluss kam es zu Schlägereien mit fünf Verletzten, darunter zwei Wachleute. Dass albanische Bewohner zuvor Geld für die Benutzung der Duschen verlangt haben sollen, wurde nicht bestätigt. Ein 22-jähriger Albaner soll andere mit einer Schusswaffe bedroht haben und wurde vorläufig festgenommen, von der Pistole fehlt jede Spur. Am Mittwoch erschienen Beamte an der Dratelnstraße, um die Situation mit Gesprächen weiter zu befrieden. Laut dem Betreiber „Fördern & Wohnen“ wurden die „Streitverursacher“ in andere Unterkünfte verlegt.
Am Mittwoch entbrannte in der Notunterkunft in einer Baumarkthalle an der Kurt-A.-Körber-Chaussee ein Streit an der Geldausgabe. Aufgebrachte Flüchtlinge griffen dabei auch das Wachpersonal an und randalierten. Die Polizei rückte mit 16 Funkstreifenwagen an und konnte die Situation beruhigen. Ein Bewohner wurde in Gewahrsam genommen. Bereits am vergangenen Wochenende war es in Bergedorf zu Tumulten gekommen. Auch am Hörgensweg, wo am Sonntag eilig eine verschmutzte Baumarkthalle belegt wurde, musste die Polizei einschreiten. An der Schnackenburgallee kam es in der Vergangenheit sehr häufig zu Polizeieinsätzen.
Drohen weitere Zwischenfälle?
„Die weitaus größte Anzahl der Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg ist polizeilich völlig unauffällig“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Wenn es zu Streit komme, seien die Beamten schnell vor Ort. In der Regel beruhigt sich die Situation mit dem Eintreffen der Polizei. „Und wer sich nicht an Recht und Gesetz hält, bei dem treffen wir alle notwendigen Maßnahmen“, sagte Zill. Nach Abendblatt-Informationen ist die Lage in den großen Unterkünften jedoch angespannt. An der Dratelnstraße schwelt ein Konflikt zwischen Syrern und der Mehrheit der Albaner auf dem Zeltplatz, beide Seiten werfen sich Diebstähle und Verleumdung vor.
Hat die Polizei genug Beamte, um eine weitere Eskalation zu verhindern?
Die Strategie des Präsidiums besagt, bei einem Gewaltvorfall sofort verfügbare Streifenwagen in großer Zahl heranzuziehen. Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sieht die Beamten überlastet: „Das Personal reicht für eine dauerhafte Häufung der Einsätze definitiv nicht aus“, sagte Lenders. Für die zuerst eintreffenden Beamten seien die Massenschlägereien hochgefährlich. „Die Beamten stehen einem Mob gegenüber“, sagte Lenders.
Warum kommt es vermehrt zu Gewalt in den Unterkünften?
Psychologen sehen die Gründe in der extremen Enge, dem Frust und der Verweildauer in den Unterkünften. Derzeit leben rund 4200 Menschen in Hamburg länger als die vorgesehenen drei Monate in den Erstunterkünften. Die Streitereien entbrennen oft bei der Essensausgabe und an den Waschräumen. Zum Winter wollen alle Flüchtlinge aus den Zelten unter einem befestigten Dach schlafen. „Das Gefühl, benachteiligt zu werden, kann den sozialen Frieden massiv gefährden“, sagt eine Sprecherin von „Fördern & Wohnen“.
Innensenator Michael Neumann (SPD) sagte bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen der fünf norddeutschen Bundesländer in Kiel, die Menschen seien nach der Flucht „nicht ausgeruht und relaxt“, sondern hätten oftmals dünnere Nerven. Gewalt werde aber nicht akzeptiert: „Wer sich hier nicht an die Regeln hält, der fliegt raus.“ Zudem regte er eine stärkere Einbindung von Flüchtlingen bei der Einrichtung von Erstaufnahmen an. „Wer erstmal 100 Ikea-Betten aufgebaut hat, der ist hinterher wahrscheinlich nicht mehr kraftvoll genug, sich noch zu prügeln.“
Welche Sicherheitsmaßnahmen ergreift der Betreiber der Unterkünfte?
„Fördern & Wohnen“ beschäftigt an den Unterkünften private Sicherheitsfirmen, die Zuteilung der Mitarbeiter geschieht nach Lage vor Ort. An der Dratelnstraße sind pro Schicht etwa 20 Wachleute im Einsatz, zuständig für etwa 1700 Bewohner. Nach den jüngsten Vorfällen sollen die Sicherheitsmaßnahmen zunächst nicht verstärkt werden. „Fördern & Wohnen“ setzt auf eine Durchmischung der Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern in den Camps und auf präventive Gespräche.
Was passiert mit den straffällig gewordenen Flüchtlingen?
„Die Strafverfolgung wird konsequent durchgeführt“, heißt es aus dem Präsidium. Die Ausländerbehörde erhält einen Vermerk, ein Strafverfahren kann zur Ablehnung des Asylantrages beitragen. Statistisch wird die Zahl der Straftaten in Unterkünften nicht erfasst. Beamte erzählen, dass es „jeden Tag mindestens einen Einsatz“ bei Unterkünften in ihren Revieren gebe.
Was sagen die Rettungskräfte zu der Situation in den Unterkünften?
Auch die Feuerwehr hat einen „signifikanten Anstieg“ der Einsätze bei Flüchtlingsunterkünften ausgemacht. Dieser sei angesichts des Zustroms aber nicht überraschend. „Die Zahl der Verletzten ist angesichts der Masse von Bewohnern verschwindend gering“, sagte Sprecher Hendrik Frese. Die Gewalt im Umfeld der Reeperbahn stelle die Feuerwehr vor größere Aufgaben.