Neuwerk . Mit „Lauffeuer 2024“ wird für die Spiele in allen 104 Stadtteilen geworben. Insel Neuwerk war das Ziel von 30 Hamburger Läufern.
Als die MS „Flipper“ am Sonnabend um kurz nach 15 Uhr den Anleger Neuwerk erreichte, hatten sich zwei Erkenntnisse ergeben. Zum einen, dass die meisten Mitglieder der Hamburger Reisegruppe nie zuvor so weit gefahren waren, um ein paar Kilometer zu joggen. Zum anderen, dass es vier Stunden dauern kann, um in Hamburg von einem Stadtteil zum anderen zu gelangen. Tatsächlich war Neuwerk, diese 3,3 Quadratkilometer große Insel im südwestlichsten Teil der Elbmündung, die politisch zum Bezirk Mitte gehört, Neuland für eine Reihe derer, die aufgebrochen waren, auch in Hamburgs Außenposten Feuer und Flamme für Olympische Sommerspiele 2024 zu entfachen.
Seit dem 1. September laufen die beiden Hamburger Ausdauerathleten Cecilia Farias Marchant, 44, und Nils Goerke, 41, unter dem Motto „Lauffeuer 2024“ durch Hamburg, um die Bewerbung der Stadt um die Ausrichtung der Spiele 2024 zu unterstützen. In 39 Teilstücken wollen sie alle 104 Stadtteile streifen, ehe der Lauf am 28. November, dem Tag vor dem Referendum, auf dem geplanten Olympiagelände am Kleinen Grasbrook endet. Der Rückhalt in der Szene ist kontinuierlich gewachsen, teilweise begleiteten bis zu 60 Hamburger die Lauffreunde, die in Volksdorf gestartet waren und sich bis in den Hafen vorarbeiten wollen. Dreimal wöchentlich wird gestartet, die genaue Streckenführung sowie Videos und Fotos vorangegangener Etappen sind auf facebook.com/lauffeuer2024 einzusehen.
Am Sonnabend war nun also Neuwerk an der Reihe, und weil die Organisatoren passend zum Datum den „Tag der Hamburger Einheit“ ausgerufen hatten, war das Interesse an der Aktion riesig. Die Freiplätze, die die Reedereien FRS Helgoline und Cassen Eils für die Überfahrten zur Verfügung gestellt hatten, waren schnell vergriffen, sodass am Sonnabendmorgen 30 bestens gelaunte Olympiabotschafter an den Landungsbrücken den Halunder-Jet für die 150 Minuten lange Elbtour Richtung Cuxhaven bestiegen. Von dort ging es mit der MS „Flipper“ innerhalb von 90 Minuten weiter nach Neuwerk.
Nils Goerke, in Elmshorn geboren und in Barmstedt aufgewachsen, hatte vor seinem Einsatz beim „Lauffeuer“ von Neuwerk noch nie gehört. Dafür gab es prompt einen Rüffel von Werner Fock. Der Inhaber des Restaurants „Das alte Fischerhaus“ hat sein gesamtes Leben – abzüglich einer gastronomischen Ausbildung auf dem Festland – auf Neuwerk verbracht und war glücklich, den ignoranten Städtern die Eigenheiten seiner Heimat näherbringen zu können. Gemeinsam mit seinem Team servierte Fock der Läufergruppe ein Nudelbüfett, nachdem diese den 4,2 Kilometer langen Rundweg auf dem Deich absolviert hatte.
So erfuhren die Jogger, dass es auf Neuwerk eine Inselschule gibt, in der eine pensionierte Lehrerin den derzeit zwei Kindern eine exklusive Vorschulbildung ermöglicht, und dass die älteren Schüler allesamt zum Lernen ins Internat nach Bad Bederkesa geschickt werden. Dass es auf Neuwerk eine Feuerwehr gibt, aber keinen Arzt. Wenn jemand erkrankt oder ein Kind zur Welt gebracht werden soll, kommt der Hubschrauber und holt den Patienten ab.
Im Sommer leben rund 40 Menschen dauerhaft auf Neuwerk, im Winter sind es maximal 20. Einer davon ist Steffan Griebel, der mit seiner Familie das „Hus achtern Diek“ führt, wo sich die Läufer umziehen durften und Flüssignahrung erhielten. In der fünften Generation existiert der Hotelbetrieb, der mit 26 Pferden auch die Kutschfahrten durchs Watt organisiert. „Wir fühlen uns hier das ganze Jahr lang wohl“, sagte Griebel, dessen Vater Volker Ortswart auf Neuwerk ist. Wollen sie in die Stadt, geht es mit dem Traktor nach Cuxhaven und von dort per Zug nach Hamburg. Das ist Neuwerker Ehrensache, auch wenn Bremen wesentlich näher läge.
Wo sie ihr Kreuz machen, wenn bis zum 29. November über die Olympiabewerbung abgestimmt wird, wissen die Neuwerker schon. „Ich finde Olympia gut“, sagte Werner Fock, „das bringt die Stadt voran“. Um die Insulaner zu überzeugen, hätte es den Mottolauf also nicht gebraucht, großen Spaß gemacht hat er dennoch. Und nachdem die Hochbahn mit der extra eingeführten Linie 2024 den Rücktransport von Cuxhaven nach Hamburg per Bus ermöglicht hatte, gab es bei der Ankunft am Omnibusbahnhof um 22.15 Uhr vier Erkenntnisse: Laufen befreit, Neuwerk ist eine Reise wert, Hamburg ist groß – und das Lauffeuer brennt.