Nuss-Mischungen, Server, Mode, Buchungsportal: Hamburger Firmen sammelten für ihre Ideen Geld per Crowdfunding. Mit Erfolg?
Frisch geröstete Nuss-Mischungen, ein quietsch-orangefarbener Computerserver, ökologisch korrekte Mode oder ein Buchungsportal, bei dem nicht die Hoteliers, sondern die Kunden den Preis bestimmen: Für alle diese Projekte haben Hamburger Firmen in den vergangenen Jahren Geld im Internet gesammelt. Crowdfunding oder Schwarmfinanzierung hat sich in den vergangenen Jahren zu einer ernst zu nehmenden Methode der Geldbeschaffung für junge, aufstrebende Unternehmen entwickelt. Allein die weltgrößte Plattform Kickstarter hat seit ihrer Gründung 2009 nach eigenen Angaben rund zwei Milliarden Dollar von mehr als 93.000 Kleinanlegern eingesammelt. In Deutschland steckten Unterstützer im vergangenen Jahr rund 53 Millionen Euro über Schwarmfinanzierung in junge Firmen. 2013 war es laut einer Studie der Universität Cambridge noch weniger als die Hälfte, 2012 ein Sechstel der Summe.
Die Risiken für Anleger sind allerdings nicht unerheblich. Dies gilt vor allem für das sogenannte Crowdinvesting, bei dem die Firmen mit hohen Renditen für das eingesetzte Kapital von mehreren Hundert Prozent locken. Diese sind stets an das Erreichen von bestimmten Umsatz- und Gewinnzielen geknüpft. Klappt dies nicht oder gehen die Startups gar pleite, sind die eingesetzten Summen verloren. Etwas anders sieht es beim klassischen Crowdfunding aus, bei dem die Unterstützer mit „Dankeschöns“ in Form der Produkte des jeweiligen Unternehmens bezahlt werden. Hier zeigt sich wesentlich früher und konkreter, ob die Pläne der Firmenchefs aufgehen. Das Abendblatt hat die Entwicklung von vier Unternehmen verfolgt und dokumentiert, inwieweit sich ursprüngliche Versprechungen erfüllt haben.
Protonet – Strategiewechsel und frisches Kapital
Ali Jelveh ist so etwas wie der Topstar der Crowdfunding-Szene. Gerade einmal fünf Tage brauchte der Chef der Altonaer Computerfirma Protonet im Frühjahr 2014, um im Netz drei Millionen Euro für den Bau einer knallorangefarbenen Box namens Maya einzuwerben. Geschwindigkeits-Weltrekord. Was die Anleger in Scharen zu dem Unternehmen trieb, war vor allem das Versprechen der Hoheit über die eigenen Daten: Nicht in einer anonymen Datenwolke irgendwo in der USA sollten sensible Dokumente gespeichert und weltweit ausgetauscht werden können, sondern lokal bei Firmen und Privatleuten. In der Hochphase des NSA-Überwachungsskandals und der Enthüllungen von Edward Snowden erschien dies vielen Investoren ein interessantes Geschäftsmodell zu sein.
Am kommenden Freitag wird Jelveh nun zum zweiten Mal ganz real auf viele seiner Investoren treffen – und er wird dem Finanzschwarm erklären müssen, warum der Verkauf der Computerserver doch noch nicht so gut vorangekommen ist, wie ursprünglich geplant. Im vergangenen Jahr fuhr Protonet mit rund einer Million Euro etwa soviel Verlust wie Umsatz ein. Eigentlich waren 1,3 Millionen Euro Umsatz geplant gewesen.
Ob in diesem Jahr das Ziel von 3000 verkauften Geräten erreicht wird, dazu wollte sich Jelveh im Gespräch mit dem Abendblatt noch nicht konkret äußern. Rote Zahlen wird die Firma mit mittlerweile 40 Beschäftigten aber auf jeden Fall noch schreiben. Tatsache ist, dass viele Computernutzer die Idee der persönlichen Cloud oder Datenwolke zwar interessant finden. Vielen von ihnen aber sind die Investition von 2000 bis 5000 Euro für die in Hamburg gefertigten Geräte schlicht zu hoch.
Daher konzentriert sich Jelveh jetzt nicht mehr auf Privatleute, sondern auf kleine Firmen als Kunden. Die Software zum sicheren Austausch der Daten und sonstiger Kommunikation soll auch unabhängig von der teuren Hardware verfügbar gemacht werden, außerdem will sich Protonet für Programmierer von außen öffnen, die weitere Anwendungen etwa für die Buchhaltung in Unternehmen herstellen. Ob das ausreichen wird, um die versprochene Rendite zu erwirtschaften, lässt sich noch nicht sagen. Eine erste Ausschüttung erwartet Jelveh voraussichtlich 2017. Wer mehr als 2000 Euro in die Firma investierte, hat aber zumindest schon mal einen Computerserver „made in Hamburg“ erhalten.
Für die nächste Finanzierungsrunde dieses oder Anfang nächsten Jahres will Jelveh nur noch zum Teil auf Crowdfunding, sondern vor allem auf größere Risikokapitalgeber setzen. Der Grund: Der Finanzierungsbedarf dürfte deutlich höher ausfallen als beim letzten Mal – so hoch, dass er sich mit dem Schwarm allein nicht zusammenbekommen lässt.
KERNenergie – Ein eigenes Werk für Nuss-Snacks, aber keine Läden
Die Expansion eines Unternehmens kann eine harte Nuss sein. Das hat der Chef der Hamburger Snack-Firma KERNenergie, Denis Burghardt, in den vergangenen Monaten feststellen müssen. Im Frühjahr 2014 sammelte er über die Crowdfunding-Plattform Seedmatch rund 400.000 Euro bei Kleinanlegern ein, um das Wachstum mit hochwertigen Nuss-Mischungen voranzutreiben. Eines der Versprechen damals: Das Unternehmen wollte eigene Läden mit integrierter Rösterei aufbauen, in denen Nuss-Fans die Herstellung der Snacks unmittelbar erleben sollten. Doch zu solchen stationären Geschäften ist es bislang nicht gekommen. Als zu kostspielig erwies sich die Idee und auch die Standortsuche gestaltete sich schwierig. Gewachsen ist KERNenergie aber dennoch: Vor zwei Monaten hat die Hamburger Firma in Aschaffenburg eine eigene Produktionsstätte in Betrieb genommen, wo Cashewkerne, Mandelkerne und andere Nüsse besonders schonend geröstet und dann per Hand gemischt und verpackt werden. „Mit diesem Werk sind wir gerüstet, um die zunehmende Nachfrage aus der gehobenen Gastronomie und Hotellerie befriedigen zu können“, sagt Burghardt. Gerade habe man die Hotelkette Kempinski als Kunden gewinnen können.
Einen Umsatz von gut zwei Millionen Euro peilt Burghardt in diesem Jahr an, das wäre ein Sprung von 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Gewinnschwelle soll 2015 erreicht werden. Bis 2019 ist der Chef zuversichtlich, den beim Crowdfunding prognostizierten Umsatz von 8,7 Millionen Euro schaffen zu können. Das ist wichtig, da unter anderem an diese Größe die Rendite der Anleger geknüpft ist. Sie haben sich mit sogenannten partiarischen Nachrangdarlehen an der Firma beteiligt. Diese versprechen bei Erreichen der Ziele zwar eine Rendite von 180 Prozent, es droht aber auch ein Totalverlust, falls KERNenergie in ein paar Jahren nicht mehr existieren sollte.
Jan’n June – Auf dem Wegzum eigenen Modelabel
Als Anna Bronowski, 25, und Juliana Holtzheimer, 24, im Herbst vergangenen Jahres um Geld für ihr eigenes Modelabel Jan’n June baten, da standen sie noch ganz am Anfang: Ihr Atelier hatten sie im Haus von Bronowskis Eltern in Wellingsbüttel eingerichtet, im Wohnzimmer stapelten sich die Stoffballen. Vorzuweisen hatten die beiden Designerinnen kaum mehr als ein paar Entwürfe für ihre schlicht-elegante und zugleich ökologisch-korrekte Kollektion. Dennoch vertrauten ihnen etwa 150 Investoren auf der Hamburger Plattform Nordstarter und steckten 11.419 Euro in die Firma.
Ein Jahr später sind die ersten Stücke längst ausgeliefert, die meist weiblichen Unterstützerinnen haben ihre Blusen, Jacken und Kleider bekommen – teils auch nach ihnen selbst benannt. Gefertigt wurden sie in einem kleinen Familienbetrieb in Polen. Verwendet wurden vor allem nachhaltige Materialien wie Biobaumwolle.
Die Designerinnen sitzen nun an ihrer vierten Kollektion für den Winter 2016. „Das Crowdfunding hat uns nicht nur finanziell sehr geholfen“, sagt Anna Bronowski. „Wir haben auch viele Kundinnen gewonnen, die uns treu geblieben sind.“ Im März ist der Internetshop von Jan’n June online gegangen, die Chefinnen haben ihn mit Hilfe von Freunden selbst programmiert. Zudem gibt es die schlicht-eleganten Kleider in mehreren Modeläden in Berlin und München zu kaufen, sogar eine Kette aus Tokio hat einige Kreationen für das kommende Frühjahr geordert. Der Kontakt kam über eine Messe für nachhaltige Mode zustande. In Hamburg wird das Geschäft Glore an der Marktstraße die Kollektion des Labels im nächsten Jahr anbieten. „Leben können wir von unserem Unternehmen noch nicht, dafür brauchen wir sicher noch ein bis zwei Jahre“, sagt Bronowski. „Aber es geht definitiv aufwärts.“
Betandsleep – Die Pleitemit dem Hotelportal
Die Idee klang verlockend – zumindest aus der Sicht von Urlaubern. Mit dem Portal Betandsleep wollten drei Hamburger Jungunternehmer den Markt für Hotelbuchungen revolutionieren. Nicht die Hoteliers sollten auf ihrer Buchungsseite den Preis für eine Übernachtung festlegen, sondern die Gäste. Innerhalb eines zuvor festgelegten Preiskorridors sollten sie Angebote für passende Zimmer erhalten. Die Idee brachten die Gründer von einer USA-Reise mit, auf der sie ein ähnliches Buchungssystem kennengelernt hatten. Mehr als 160 Kleinanleger auf der Plattform Seedmatch fanden das spannend und steckten zusammen 100.000 Euro in die Firma.
Dumm nur, dass die deutschen Hoteliers bei dem Konzept nicht so recht mitspielen wollten und auch die Zahl der Buchungen und Nutzer weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Als die Gelder aus dem Schwarm aufgebraucht waren, kam keine Anschlussfinanzierung über neue Investoren zustande. Im August 2013 stellte die Firma daher den Geschäftsbetrieb ein. Statt eine Rendite zu erhalten, standen die Geldgeber vor dem Nichts.