Hamburg . Schonend zubereitete Obst- und Gemüse-Säfte aus Hamburg boomen. Das junge Start-up Unternehmen Kale & Me setzt aufs Internet.
Diese Firma ist ein echter Saftladen. Und auch noch stolz darauf: denn Kale & Me produziert kaltgepresste Säfte. Ohne Konservierungsstoffe und unpasteurisiert, dafür aber vorwiegend mit Obst und Gemüse aus der Region. Die Firma ist fast so frisch wie ihre Säfte. Im Mai ist das Hamburger Start-up mit seinem Internet-Shop online gegangen, im November wird ein Pop-Up-Store in der Rindermarkthalle eröffnet. „Aufgrund der großen Nachfrage wollen wir unsere Säfte testweise in einem eigenen Shop anbieten“, sagt Annemarie Heyl, 28, die das Unternehmen gemeinsam mit David Vinnitski, 24, und Konstantin Timm, 25, gegründet hat.
Die Vision von Kale & Me: „In unserer heutigen, schnelllebigen Welt eine gesunde und ausgeglichene Ernährung auch für zeitlich Eingeschränkte und Berufstätige zu ermöglichen“, so Annemarie Heyl. Durch die schonende und kaltgepresste Herstellung seien die Säfte im Vergleich zu herkömmlich hergestellten Säften wesentlich gesünder und nährstoffreicher. Der Grund: Bei der Saftproduktion in einem Haushaltsentsafter, typischerweise rotierend oder zentrifugal, entsteht Wärme, die Nährstoffe tötet. „Unser hydraulisches Kaltpressverfahren sorgt für einen minimalen Luftkontakt mit dem Saft. Dadurch wird Oxidation und somit einem zu schnellen Zerfall der Nährstoffe vorgebeugt“, sagt Annemarie Heyl.
Den Trend zu kaltgepressten Säften haben bereits mehrere Hamburger Unternehmen erkannt und bieten schonend gepresste Obst- und Gemüsesäfte ohne Konservierungsstoffe und Zusätze an. Entweder einzeln für zwischendurch oder als Saftkur zum Entgiften für einige Tage. Detox, die Reinigung von innen, ist für viele Unternehmen zum Erfolgsmodell geworden.
Marktführer Rawganic Revolution verkauft 30.000 Flaschen monatlich
Allein das Hamburger Unternehmen Rawganic Revolution, ehemals Organic Revolution, hat seinen Absatz im Lebensmitteleinzelhandel in den vergangenen sechs Monaten verdreifacht. Während in der ersten Zeit nach Markteinführung rund 10.000 Flaschen monatlich verkauft wurden, sind es jetzt 30.000. Tendenz steigend. Denn seit September hat auch Rewe die Säfte im Sortiment und Rawganic Revolution rechnet künftig mit 100.000 verkauften Säften pro Monat. „Schon jetzt ist kein anderer Anbieter so weit verbreitet wie wir“, sagt Geschäftsführer Amir El-Moawen. Mehr als 1000 Märkte führen die Säfte des Unternehmens mit Sitz in Wandsbek bereits – von Edeka über Kaiser’s Tengelmann bis hin zum KaDeWe. „Damit sind wir der führende Anbieter von kaltgepressten Säften in Deutschland“, so Amir El-Moawen. Um eine noch breitere Zielgruppe anzusprechen, hat Rawganic Revolution seine Flaschengröße von 500 Milliliter auf 330 Milliliter reduziert. Der Preis sank zugleich pro Flasche von 3,99 auf 2,99 Euro.
„Nicht alle Menschen können vier Euro für einen Saft ausgeben“, sagt El-Moawen. Obwohl das Unternehmen inzwischen auch einen Onlineshop hat, spiele der Verkauf über das Internet nur eine geringe Rolle. „Unser Geschäftserfolg basiert auf dem Verkauf über den Einzelhandel“, sagt Amir El-Moawen und prognostiziert einen Boom von kaltgepressten Säften. „Die Zeit ist reif dafür. Die Menschen sind gesundheitsbewusster und wollen nicht länger diese süßen pasteurisierten Säfte oder Smoothies.“ Produziert wird in der Nähe von Rotterdam.
Im Gegensatz zu Rawganic Revolution setzt Kale & Me ganz auf Regionalität. Die Zutaten stammen vorwiegend aus dem Hamburger Umland, der Saft selbst wird in einer kleinen Mosterei in der Lüneburger Heide produziert – vieles davon in Handarbeit. Die Früchte werden von Hand geschält und zerteilt, Zutaten wie Spinat von Hand gepresst. Sechs bis acht Leute sind pro Produktionstag für Kale & Me im Einsatz, meistens packen die drei Gründer sogar selbst mit an. Beginn: 6.00 Uhr morgens. Ende: nachts – wenn alle Flaschen abgefüllt und etikettiert sind – ebenfalls in Handarbeit. „Unser Ziel ist es, die Arbeitsabläufe so schnell wie möglich zu professionalisieren“, sagt Annemarie Heyl. Alle ein bis zwei Wochen steht sie mit ihrem Team in der Mosterei und verarbeitet unter anderem 500 Kilo Äpfel, 115 Kilo Gurken, 230 Kilo Möhren, 100 Kilo Rote Bete, 1000 Zitronen und 330 Ananas. Das Resultat: rund 3300 Flaschen Saft in sechs Sorten.
„Wir haben uns bewusst gegen die Auslagerung ins günstigere Ausland entschieden“, sagt Konstantin Timm. Auf diesem Weg wolle man Arbeitsplätze in einer Branche und einer Region sichern, die durch die industrielle Massenproduktion in den vergangenen Jahrzehnten gelitten habe. „Wir sind der Meinung, dass auch in Deutschland noch konkurrenzfähig Lebensmittel hergestellt werden können“, sind sich die drei Jungunternehmer sicher. Eine Flasche mit 320 Milliliter kostet rund 4,50 Euro online plus Versandkosten. Im stationären Handel findet man die Drinks von Kale & Me nicht. Noch nicht. Denn obwohl es bereits eine Anfrage von Edeka gibt, scheuen die Jungunternehmer vor diesem Schritt zurück. „Der Handel verlangt Margen, die sich mit unseren Qualitätsansprüchen und unserer Preispolitik nicht vereinbaren lassen“, sagt Annemarie Heyl.
Das heißt: Wenn man zusätzlich zu den hohen Produktionskosten auch noch die Handelsmarge hätte, würde ein Saft weit über fünf oder sechs Euro kosten. „Außerdem soll Kale & Me kein Mainstream-Produkt werden. Die Menschen haben das Gespür dafür verloren, was Lebensmittel eigentlich kosten müssten, die in Deutschland nachhaltig produziert werden. Der Handel hat eben genau zu dem Preisverfall der Lebensmittel beigetragen – und da wollen wir nicht mitspielen. Was nicht heißt, dass wir uns nicht vorstellen können, in kleinen ausgewählten Geschäften unsere Säfte anzubieten, die die Qualität und Herkunft der Produkte wertschätzen“, so Annemarie Heyl.
Obwohl ihr Unternehmen bereits Gewinn macht, wollen sich die drei Gründer noch kein großes Gehalt auszahlen. Sie stecken alles in neue Investitionen, um schneller wachsen zu können. Aus diesem Grund jobben die Jungunternehmer nebenbei. Außerdem leben Annemarie Heyl und Konstantin Timm zusammen mit einer Freundin in einer Wohngemeinschaft. Und weil es dort morgens natürlich selbstgepressten Saft gibt, ist das irgendwie auch eine Art von Saftladen.