Hamburg. Als Reaktion auf den Tod von Yagmur und Chantal gibt es jetzt 75 zusätzliche Stellen für den Allgemeinen Sozialen Dienst.

Die drei Jahre alte Yagmur wurde von ihrer eigenen Mutter so oft und schwer misshandelt, dass sie am 18. Dezember 2013 an den Verletzungen starb. Die elf Jahre alte Chantal starb am 16. Januar 2012 in der Wohnung ihrer drogenabhängigen Pflegeeltern an einer Überdosis Methadon. Die kleine Lara-Mia war erst neun Monate alt, als sie am 11. März 2009 in der Wohnung ihrer Mutter verhungerte. Jessica war sieben Jahre alt und wog nur noch 9,6 Kilogramm, als sie am 1. März 2005, eingesperrt und verwahrlost, in der Wohnung ihrer Eltern an ihrem eigenen Erbrochenen erstickte.

Das sind nur die unfassbarsten Fälle von Kindesmisshandlung, die Hamburg im vergangenen Jahrzehnt geschockt haben. Und jedes Mal wurde danach auch die Rolle der Behörden hinterfragt. Was wussten sie? Was haben sie unternommen? Was unterlassen? Was falsch eingeschätzt? Speziell im Blickpunkt war dabei der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) der Bezirksämter, dessen Aufgabe es ist, „Kinder vor Gefährdungen zu bewahren und Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu beraten und zu unterstützen“, so die offizielle Beschreibung. Immer wieder hatten Gewerkschaften und die jeweiligen Oppositionsparteien auf die Überlastung der ASD-Mitarbeiter verwiesen und mehr Personal gefordert.

Am Dienstag nun, nach mehrjährigem Vorlauf, gab der Senat bekannt, dass der ASD 20 Prozent mehr Personal bekommt: Die Zahl der Stellen in den Bezirken wird von 371 um 75 auf 446 erhöht. Die Mehrkosten von rund 3,75 Millionen Euro pro Jahr trägt die Sozialbehörde. Welcher Bezirk wie viele Stellen erhält, hängt unter anderem davon ab, wie viele Kinder und Jugendliche dort leben und wie viele von ihnen staatliche Leistungen beziehen.

„Ich habe nach dem Tod von Chantal gesagt, die Forderung nach mehr Personal mag berechtigt sein. Aber wir mussten erstmal herausbekommen, wie viele Stellen nötig sind“, sagte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) bei seinem letzten Auftritt in der Landespressekonferenz – er wechselt im Oktober in den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Daher seien vor einem Jahr knapp 75 zusätzliche Stellen nur vorläufig bewilligt worden und danach eine „Personalbedarfsanalyse“ durchgeführt worden. Da deren Ergebnis fast eins zu eins der schnellen Schätzung entspricht, werden die 75 Stellen nun dauerhaft bewilligt. Rund 50 von ihnen wurden seit Ende 2014 bereits besetzt, für die restlichen 25 wird nun intensiv nach Personal gesucht – was gar nicht so einfach wird, denn Sozialarbeiter sind angesichts der Flüchtlingsströme derzeit äußerst gefragt.

„In meiner Amtszeit war es eines meiner wichtigsten Ziele, den ASD zu stabilisieren“, sagte Scheele. Nun seien „alle Grundlagen dafür geschaffen“. Mit dem neuen Personalbemessungssystem dürfte es „eigentlich keinen Streit mehr geben“, so Scheele. Wandsbeks Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff (SPD) und Holger Stuhlmann, Sozialdezernent im Bezirk Harburg, die das System federführend erarbeitet haben, unterstützten diese Sichtweise. Trotz aller Zufriedenheit machte Scheele mit Blick auf die Fälle von Kindesmisshandlungen eine Einschränkung: „Man kann nicht versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.“

Rot-Grün lobte die neuen ASD-Stellen: Das sei „ein wirklich großer Schritt nach vorn“, sagte Melanie Leonhard (SPD). Anna Galina (Grüne) verwies auf die Flüchtlingslage: Diese erfordere, die Personalbemessung „dynamisch zu führen und an neue Entwicklungen anzupassen“.

Die Opposition sah hingegen Anlass für Kritik: Spätestens seit Chantals Tod Ende 2012 habe Scheele von der chronischen Überlastung der ASD-Mitarbeiter gewusst, ohne eine neue Stelle zu schaffen, sagte Philipp Heißner (CDU): „Es musste mit der kleinen Yagmur erst ein weiteres Kind sterben, bis Senator Scheele die Umsetzung des Personalbemessungssystems mit dem notwendigen Nachdruck betrieb.“ Daniel Oetzel (FDP) schlug in die gleiche Kerbe: „Es ist gut, dass diese dramatischen Personallücken nun geschlossen werden sollen. Aber es ist grotesk, dass sozialdemokratisch geführte Behörden derart lange brauchen, um einen offenkundig so dramatischen Missstand auch nur zu beziffern.“

„Zu spät und zu wenig“, lautete das Fazit von Sabine Boeddinghaus (Linkspartei): Die Arbeitsbedingungen in den Jugendämtern seien immer noch pro­blematisch, die Fluktuation hoch. Ihre Forderung: „Die Mitarbeiter müssen besser bezahlt werden.“ Sieglinde Frieß von der Gewerkschaft Ver.di begrüßte die dauerhafte Einrichtung der Stellen: „Ob die 75 zusätzlichen Stellen ausreichen, wird sich aber erst bei der Evaluation 2018 zeigen.“