Michael Neumann (SPD) ist für Unterbringung und Hamburgs Bewerbung zuständig – eine Quadratur des Kreises.
Wenn sich der Ruderweltverband Fisa am kommenden Montag für das weithin unbekannte Ottensheim nahe Linz in Oberösterreich als Austragungsort der Weltmeisterschaften 2019 aussprechen sollte, dann wird es in Hamburg lange Gesichter geben. Überraschend käme die Entscheidung nicht, denn der 29-köpfige Rat des Weltruderverbandes hatte sich bereits für Ottensheim und gegen Hamburg ausgesprochen. Aber bindend ist der (allerdings einstimmige) Vorschlag des Rates nicht, und deswegen hat Sport- und Innensenator Michael Neumann (SPD) am Freitag seinen Koffer gepackt, um zu einem Kurztrip an den Rand der Alpen nach Frankreich aufzubrechen.
Auf dem Lac d’Aiguebelette, dem drittgrößten französischen See, wird derzeit die Ruder-WM 2015 ausgetragen. Hier will der Fisa-Kongress seine Entscheidung für die WM 2019 treffen. Hobbyruderer Neumann reist an, um im letzten Moment das Steuer in persönlichen Gesprächen mit den Funktionären doch noch zugunsten von Hamburgs Dove-Elbe herumzureißen.
Große Sportereignisse wie Weltmeisterschaften an die Elbe zu holen, ist ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Bewerbung der Stadt um die Sommerspiele 2024. Für Hamburg muss es vor allem darum gehen, sich in der Welt bekannter zu machen. Internationale Wettkämpfe bieten dazu ausgezeichnete Gelegenheit.
Im Grunde liegen dem Sozialdemokraten solche Auftritte. Es war nicht zuletzt Neumanns überzeugender Präsentation der Hamburger Bewerbung zu verdanken, dass sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) im März für Hamburg und gegen Berlin als Kandidatenstadt für Olympia 2024 ausgesprochen hat. „Er hat den Pott nach Hamburg geholt“, hieß es damals anerkennend aus den Reihen der SPD. Und auch in der zurückliegenden Woche gelang dem Sportsenator, um ein kleines Beispiel zu nehmen, bei der Diskussion mit dem Olympia-Gegner Dirk Seifert und 90 Abendblatt-Lesern auf einer Barkasse im Hafen eine authentische, bodenständige und durchaus emotionale Darstellung der zum Teil hochfliegenden Olympiapläne.
Aber der schnell eingelegte Wochenend-Trip weist auch auf ein Problem hin: Neumann hat derzeit zwei große und wichtige politische Themen zu schultern. Als ob der Einsatz für eine erfolgreiche Olympia-Bewerbung nicht allein schon genug für einen Senator wäre (am 29. November entscheiden die Hamburger per Referendum über Ja oder Nein zu Olympia): Neumann ist als Innensenator zudem für das Megathema schlechthin verantwortlich – die Unterbringung der Flüchtlinge.
Zwar teilt sich Neumann mit Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) die Zuständigkeit für Unterkunft und Versorgung der in großer Zahl nach Hamburg kommenden und hier verbleibenden Migranten. Aber gerade bei der Erstunterbringung der Flüchtlinge, für die die Innenbehörde verantwortlich ist, häufen sich immer wieder die Probleme. Das liegt auch daran, dass es nicht schnell genug gelingt, ausreichend Platz für die Zuwanderer in Folgeunterkünften zu schaffen. Dafür ist die Sozialbehörde verantwortlich.
Nach Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) dürfte der Sport- und Innensenator das engste Terminkorsett im rot-grünen Kabinett haben. Es kommt hinzu, dass der Innensenator stets mit Unvorhergesehenem und daher Nicht-planbarem rechnen muss. Bei Großeinsätzen von Polizei und Feuerwehr wie neulich, als Bunker brannten, gehört der Senator vor Ort, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Es kommt hinzu, dass Routinier Scheele den Senat Ende September verlässt, um Chef der Bundesagentur für Arbeit zu werden, und eine Nachfolgerin sich erst einarbeiten muss.
Wer den früheren Berufssoldaten mit dem korrekt-verbindlichen Auftreten persönlich erlebt und gar seinen Schraubstock-Händedruck erleidet, der ahnt nicht, welch ein sensibler und verletztlicher Charakter er ist. Gegenüber Vertrauten macht Neumann bisweilen deutlich, wie belastend er die Doppelaufgabe empfindet und dass sie gelegentlich einer Quadratur des Kreises gleicht. Nachmittags besucht er die Erstaufnahme in den Messehallen und hört sich die Fluchtgeschichten der Menschen etwa aus Syrien an und nimmt ihr Leid wahr. Wenige Stunden später schon geht es im edlen Rahmen vor erlauchtem Publikum um Werbung für das Sportgroßereignis.
Nicht wenige fragen sich, wie lange das so weitergehen kann. Nicht wenige fragen sich allerdings auch, ob Neumann beiden Herausforderungen eigentlich wirklich gerecht werden kann. Vielleicht wären Hamburgs Chancen, den Zuschlag für die Ruder-WM 2019 zu erhalten, größer gewesen, wenn sich der Sportsenator früher und intensiver darum hätte kümmern können. Seine Identifikation mit der Olympia-Bewerbung ist unbestritten.
Neumann selbst hatte Scholz schon vor der Bürgerschaftswahl auf die Problematik hingewiesen. Gerüchteweise gab es Überlegungen, Neumann zu einem reinen Olympia-Senator zu machen. Doch der Bürgermeister blieb bei seiner Festlegung auf die Doppelzuständigkeit Inneres und Sport. Dahinter versteckt sich immerhin große Anerkennung für Neumann: Scholz hält ihn offensichtlich für den einzigen, der diese beiden wichtigen Themen politisch steuern kann.
Schon zweimal – 2011 und im März – hat Scholz seine Senatorenriege aufgestockt
Wenn die Hamburger am 29. November Ja zur Olympia-Bewerbung sagen, dann geht die Kampagne in ihre entscheidende, internationale Phase, bis das IOC im Sommer 2017 entscheidet, wer den Zuschlag für 2024 erhält. Wieder wird sich die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll ist, wenn ein Senatsmitglied sich ausschließlich dieser für die Stadt nun in der Tat epochalen Perspektive widmet.
Viel spricht nicht dafür, dass Scholz von seiner strikten Linie abweicht. Es gibt auch noch ein „kleines“ handwerkliches Problem: Die Bürgerschaft müsste das Senatsgesetz ändern, weil sich die Zahl der Senatoren auf 13 erhöhen würde, wenn die Ressorts Inneres und Sport getrennt werden. Das vorgegebene Kontingent von zwölf Regierungsmitgliedern hat der Sozialdemokrat schon ausgeschöpft. Schon zweimal – 2011 und nach der Wahl im März wieder – hat Scholz seine Senatorenriege aufgestockt. Populär sind solche Ausweitungen ohnehin nicht.
Macht Pflichtmensch Neumann auch unter unveränderten Bedingungen nach dem 29. November weiter? Allen Spekulationen über seine Person trat der politische Vollprofi schon vor der rot-grünen Senatsbildung im März mit einem sehr deutlichen Satz gegenüber: „Nur Idioten philosophieren öffentlich über ihre politische Zukunft.“