Hamburg. Nach den jüngsten Justizpannen hat Senator Steffen Anfang der Woche neue Richterstellen angekündigt. Viel zu spät, meint die Opposition.

Die Opposition aus CDU, FDP und AfD hat Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) angesichts der Überlastung der Justiz Versagen vorgeworfen. Er „ist ein Wiederholungstäter durch Unterlassen: Schon in seiner ersten Amtszeit bis 2010 hat er dem personellen Ausbluten der Hamburger Justiz weitgehend tatenlos zugesehen“, sagte die FDP-Justizexpertin Anna von Treuenfels am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde der Hamburgischen Bürgerschaft. Der Gescholtene selbst wies die Vorwürfe zurück, verwies auf die gerade erst auf den Weg gebrachte Aufstockung der Richterstelle.

Auslöser der Debatte war der Fall zweier Totschläger, die wegen Überlastung der Gerichte aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren. Die beiden Cousins hatten 2012 vor einer Kneipe unweit der Reeperbahn einen 22-Jährigen angeschossen, der daraufhin verblutete. Beide wurden deshalb zu zehneinhalb beziehungsweise sieben Jahren Haft verurteilt. Noch vor einer Entscheidung über die von beiden eingelegte Revision hatte das Oberlandesgericht im Mai 2015 jedoch entschieden, dass sie „infolge mehrfacher vermeidbarer (...) Verfahrensverzögerungen“ aus der Untersuchungshaft zu entlassen sind.

Die Befürchtung, die Männer könnten untertauchen, bewahrheitete sich nicht: Beide inzwischen rechtskräftig verurteile Männer haben ihre Haft freiwillig angetreten. Gleichwohl sprach die CDU-Opposition von einem „handfesten“ Justizskandal. „Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer und der Angehörigen (...) und letztlich erschüttert es das Vertrauen der Menschen in die Zuverlässigkeit der Justiz“, sagte der CDU-Justizexperte Richard Seelmäcker. Dass Steffen inzwischen acht zusätzliche Richterstellen und weitere Servicekräfte angekündigt hat, kommt aus Sicht der CDU zu spät. Das zeige, dass der Senator nicht aus Überzeugung, sondern nur auf den Druck aus Opposition und Presse reagiere, sagte Seelmäcker.

Steffen hatte am Montag angekündigt, dass voraussichtlich bis Ende des Jahres an den Sozialgerichten drei zusätzliche Richter anfangen sollen, fünf weitere sollen als Springer überall dort aushelfen, wo die Not am größten ist. Die Kosten bezifferte Steffen inklusive der dazugehörigen Servicekräfte auf rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr. In der Bürgerschaft wies er darauf hin, dass SPD und Grüne bereits im Koalitionsvertrag vereinbart hätten, dass nicht mehr nur die Fallzahl und die Verfahrensdauer, sondern auch die Komplexität der Fälle für die Bemessung des Personalbedarfs herangezogen werden.

„Die Hamburger Justiz funktioniert insgesamt auf hohem Niveau und ist zuverlässig, aber in Teilbereichen hat sie die Grenze der Belastbarkeit erreicht“, räumte Steffen ein. Aus diesem Grund seien - inklusive der bereits in der jüngsten Vergangenheit beschlossenen Richterstellen und Servicekräfte - 29 zusätzliche Posten geschaffen worden. „Ich muss ganz ehrlich sagen, (...) der Gesamtumfang muss sich überhaupt nicht verstecken im Vergleich zu dem, was Sie in ihre Anträge schreiben“, sagte Steffen in Richtung Opposition.

Der FDP-Politikerin Treuenfels reichte dies jedoch nicht. So verwies sie darauf, dass in Hamburg nicht nur lediglich 21 Prozent der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren tatsächlich zu einer Anklage führten, sondern dass danach dann auch noch zwei Drittel davon im Gericht eingestellt würden. In Bayern seien es 30 beziehungsweise 50 Prozent. „Strafe wird so in Hamburg zur Ausnahme“, sagte Treuenfels.

KoZe Thema einer Aktuellen Stunde in der Bürgerschaft

Der drohende Abriss des linksalternativen „Kollektiven Zentrums“ (KoZe) auf dem Gelände der Gehörlosenschule in Hamburg steht am Donnerstag im Zentrum einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft. Nach Ansicht der Linken sollte die Stadt mit den Betreibern reden statt das Ende des Zentrums zu betreiben. Die Stadt hat das 8500 Quadratmeter große Areal an den Investor HBK verkauft, der dort 400 Wohnungen bauen will. Am Mittwoch begannen Bauarbeiter unter Polizeischutz Teile der Gehörlosenschule abzureißen, um dort für den Winter Obdachlose in Containern unterbringen zu können. Die ehemalige Kita, in der das Zentrum residiert, blieb unangetastet. Gegen einen möglichen Abriss demonstrierten am Abend nach Angaben der Polizei etwa 500 Sympathisanten.