Hamburg . Zahl der Koranverteilungen ist stark gestiegen. Islamist klagt gegen Entzug seines Passes, Verfassungsschutz ist besorgt.
Immer häufiger verteilen islamistische Salafistengruppen in Hamburg den Koran oder Material zu ihrer Sicht des Islam an Infoständen, vor allem in der Innenstadt. Bis Ende August hat das Landesamt für Verfassungsschutz bereits 94 Anmeldungen für solche Veranstaltungen erfasst, allein sechs Verteilaktionen sind für Ende August geplant. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels hervor.
Die Zahlen zeigen einen deutlichen Anstieg in den vergangenen Jahren. So wurden 2012 laut Verfassungsschutz insgesamt lediglich 19 derartige Veranstaltungen angemeldet. Seither haben die salafistischen Gruppen ihre Aktivitäten von Jahr zu Jahr gesteigert. Der Verfassungsschutz betrachtet die Entwicklung mit Sorge.
„An den Ständen finden keine harmlosen Koranverteilungen statt“, sagte der Sprecher des Landesamtes, Marco Haase. „Es sind extremistische Salafisten, also Islamisten, die hinter den Ständen aktiv sind.“
Es interessiere den Verfassungsschutz weniger, was an diesen Ständen verteilt werde. „Ob dort Koranausgaben, Bibeln, Grundgesetze oder Kochbücher verschenkt werden, ist egal“, so Haase. „Uns interessiert, wer dort aktiv ist“. Daher beobachteten die Beamten den „extremistischen und jihadistischen Salafismus“. Dieser sei „Arbeitsschwerpunkt“ des Landesamtes.
Die Verteilungsstände gelten als Rekrutierungspunkt für junge Muslime. Besonders aktiv bei den Aktionen sind demnach die salafistischen Gruppen „Deutschsprachiger Islamkreis im Norden“, „Siegel des Propheten“ und „Hamburg Dawah Movement“. Zusätzlich gebe es zahlreiche „Street Dawahs“, das sind Verteilaktionen, bei denen Infomaterial aus dem Rucksack heraus verteilt wird. Dafür ist in der Regel keine Genehmigung notwendig.
Insbesondere der Bezirk Mitte scheiterte bei dem Versuch, eine rechtliche Grundlage für ein Verbot der Koranstände zu finden. Der Verfassungsschutz sieht deshalb Prävention als wichtigste Maßnahme. „Aufklärung und Information sind ein sehr guter Schutz gegen extremistische Bestrebungen“, sagte Sprecher Haase.
Islamisten von den Koranständen wurde mehrfach der Pass entzogen
In der wachsenden Szene der Islamisten steigt derweil der Anteil junger Erwachsener. Von 460 Salafisten in Hamburg, die der Verfassungsschutz Ende Juni registrierte, waren 83 unter 21 Jahren. Seit Beginn des Jahres zogen mindestens 15 Jugendliche und junge Erwachsene in den Dschihad. Mehrere von ihnen gerieten über die Koranverteilungen in die Szene. Sind die Muslime erst radikalisiert, sind sie mit repressiven Mitteln schwer aufzuhalten. Zwar nahm der Verfassungsschutz mindestens 16 Salafisten die Ausweisdokumente ab, mindestens vier junge Männer verließen dennoch das Land in Richtung Syrien und Irak.
Nach Abendblatt-Informationen hat ein weiterer mutmaßlicher Islamist Klage dagegen eingereicht, dass ihm ein ausländischer Pass entzogen wurde. Weitere Betroffene haben Widerspruch eingelegt. Wie eine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Karin Prien (CDU) ergab, wurden seit Jahresbeginn drei junge Islamisten an der Ausreise gehindert.
Die FDP-Justizpolitikerin Anna von Treuenfels wirft dem rot-grünen Senat vor, nicht mit offenen Karten zu spielen. „Das Problem des Salafismus in Hamburg wird immer schlimmer“, so von Treuenfels. „Nun erfahren wir, dass die Zahl der Infostände weitaus höher ist, als kürzlich vom Senat angegeben: Zuletzt war die Rede von 78 Infoständen, aktuell sind es bereits 94.“ Dabei sei vor allem bei der Vereinigung „Siegel der Propheten Team Hamburg“ ein sprunghafter Anstieg der Aktivitäten seit Juli zu beobachten.
Offenbar würden die Informationen nur „tröpfchenweise“ veröffentlicht. Es dränge sich der Verdacht auf, dass der Senat „verschleiern“ wolle, „dass er das auf FDP-Initiative im Mai 2014 beschlossene Aktionsprogramm immer noch nicht vollständig umgesetzt hat“. Salafismus sei zwar auch ein integrationspolitisches Problem, aber vor allem eine Gefahr für die Demokratie. „Ich fordere, dass die Sozialbehörde die Federführung in der Bekämpfung des Salafismus an die Innenbehörde abgibt“, sagte von Treuenfels.
Derzeit gibt es eine Aufteilung der Verantwortung. Während Innenbehörde und Verfassungsschutz für Überwachung und Strafverfolgung zuständig sind, hat die Sozialbehörde ein Präventionsprogramm aufgelegt, mit dem verhindert werden soll, dass junge Menschen in den islamistischen Extremismus abgleiten. Dieses hat laut Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer im Oktober 2014 die Arbeit aufgenommen. Dabei gehe es vor allem um die Vernetzung der einzelnen Stellen. Am 1. Juli habe überdies die Beratungsstelle „legato“ die neue Arbeit begonnen, in der „systemische Ausstiegsberatung“ angeboten werde.
Mittlerweile reagierten auch die muslimischen Gemeinden in Hamburg hoch sensibel auf die Versuche, Jugendliche zu radikalisieren, und bemühten sich, durch eigenes Engagement gegenzusteuern, sagte Petra Lotzkat, Leiterin des Amtes für Arbeit und Integration dem Abendblatt. Gerade Jugendliche seien oft anfällig für Radikalisierungsversuche. Die Salafisten gäben manchen von ihnen das Gefühl, in einer unübersichtlichen Welt ganz sicher auf der richtigen Seite zu stehen.