Hamburg. Neue Veranstaltung in Hamburg: Manager erzählen nicht von ihren Erfolgen, sondern wie sie mit ersten Projekten viel Geld verloren.

An die 200 Männer und Frauen stehen vor Mercedes me am Ballindamm, die meisten um die 30. „Das übliche Hipster-Volk eben“, sagt Claudius Holler, der eingeladen hat. Aber die Besucher sollen an diesem Abend nicht machen, was sie sonst zu tun pflegen, nämlich laut Holler, „sich selbst zu beweihräuchern“. Der 37-Jährige hat mit seinem Bruder Daniel Plötz die „Fuckup Nights“ (Versagens- Nächte) nach Hamburg geholt. Hier geht es um Tiefschläge, Verzweiflung, Aufgeben. Davon berichten die sieben Redner, die sich mit dem Unternehmensgründen und vor allem mit dem Scheitern auskennen. Ein Mitarbeiter von Mercedes me spricht zur Begrüßung über das Konzept des Ladens. Claudius Holler übernimmt das Mikro und kommt zur Sache: „Das Thema Fuckup ist Mercedes ja nicht unbekannt. Siehe Elchtest und Daimler Chrysler.“

Die Idee der Fuckup Nights ist 2012 in Mexiko entstanden. Jeder „Speaker“ spricht sieben Minuten lang, Ziel ist, aus den Misserfolgen anderer zu lernen. Und mit dem Scheitern offen umzugehen. Dass man auf dem Weg vom Tellerwäscher zum Millionär meist mehrmals zurück in die Küche kehrt, bis man reich ist, ist in den USA schon selbstverständlich. Sollte es in Deutschland eigentlich auch sein, das wird aber gern noch verheimlicht.

„75 Prozent aller neu gegründeten Unternehmen in Deutschland schaffen es nicht über das zweite Jahr hinaus“, sagt Ilma Wagner, Studentin an der Leuphana Universität Lüneburg, die ihre Masterarbeit zum Thema „Highway to Hell: Ein Prozessmodell unternehmerischen Scheiterns“ schreibt. „Seit drei Jahren werden mehr Unternehmen abgemeldet als angemeldet.“ Das ist der Hintergrund, den das Publikum der Fuckup Night auch erfahren soll, aber eigentlich geht es hier um Geschichten. Dafür drängen sich die Besucher in den Raum, sitzen auf dem Fußboden und trinken Mate 1337, das Produkt von Holler und Plötz. Den beiden ist das Thema Versagen auch nicht unbekannt. „Falls mal ein Redner ausfällt, könnten wir einspringen“, sagt Holler. Aber zurzeit sieht es so aus, als ob es genug Misserfolge gäbe, die erzählt werden wollen.

Andreas Fischer-Appelt ist Gründer und Vorstand der PR-Agentur fischerAppelt und erster Redner. Ein bisschen Beweihräucherung: „Wir haben bei Pitches (Verkaufsgespräche) nur zehn Prozent Fuckups“, dann kommt Fischer-Appelt zu seiner frühen Karriere, die er mit seinem Bruder bei einer Schülerzeitung startete: „Wir trauten uns alles zu, aber jeder Zweite traute uns nichts zu.“ Später bauten sie ihr Unternehmen auf, es kamen Aufträge, „aber die haben alle Haken“. Wie der Grüne Punkt, auf den sich die Agentur spezialisiert hatte. Als es Pro­bleme mit dem System gab, verloren die Brüder 70 Prozent der Aufträge an einem einzigen Tag. Das Publikum ist aufmerksam, aber nicht begeistert. Man hatte wohl auf mehr Drama gehofft. Mit seinem Schlusswort versucht Fischer-Appelt, den Dreh zu bekommen: „Gerade habe ich einen Pitch verloren. 50.000 Euro weg, und das ist noch günstig.“

Das ist vor allem günstig im Vergleich zu der Geschichte, die Knust-Betreiber Karsten Schölermann erzählt. Die klingt vom ersten Satz an so, als sei die Idee zum Scheitern verurteilt gewesen. Was sie auch war. Schölermanns „Fuckup“ beginnt mit einem Zirkusplakat, auf dem eine Airbrush-Schlange zu sehen ist. „Das war der erste Fehler: Es gibt keine Schlangen im Zirkus“, sagt Schölermann, und fängt an: 1989 wollten er und der Trommler Zabba Lindner aus dem Traditions-Zirkus Sarrasani einen „Zirkus der dritten Art machen“. Heißt: Eine Lichtanlage für 30.000 D-Mark, ein Raubtierbändiger, der aussehen sollte wie Crocodile Dundee und Rock’n’Roll.

Die erste Vorstellung in Frankenthal begann – und die Gäste flüchteten, der Lichttechniker kündigte mit den Worten „Dafür habe ich mich nicht ausbilden lassen“, und allen Beteiligten dröhnten die Ohren vom drogenmotivierten Getrommel der Schlagzeuger. „Nach drei Monaten war ich am Ende meiner Kräfte und hatte kein Geld mehr.“ Mit 200.000 D-Mark Schulden fuhr Schölermann nach Hause, die Freundin war verschwunden, auf dem Tisch ein Zettel: „Ich habe mich verliebt.“ Schölermann nimmt es heute gelassen: „Ich bin 55 und habe in meinem Leben schon drei, vier Millionen versenkt. Aber auch wieder verdient.“

Max Schenks und Fanny Eidmanns Plan klingt weniger abgehoben: Ein Skatepark für die Kleinstadt Boizenburg, am Rande von Hamburg. Der Ursprung der Idee ist so simpel wie einleuchtend: „Boizenburg ist ultralangweilig, todeslangweilig, richtig langweilig“, sagt Max, der gerade Abitur gemacht hat. Also die Idee von dem Skatepark. Stadtvertreter überzeugen, einen Standort finden, Geld auftreiben. Das dauerte zweieinhalb Jahre. Die Gruppe war zwischenzeitlich immer kleiner geworden. Inzwischen ist der Park im Aufbau. „Trotz des ganzen Mists verbuchen wir Erfolge.“

Mist zum Anfassen. Applaus für Max und Fanny. Die brauchen noch Geld für ihr Projekt, denn natürlich ist alles teurer als gedacht. Es könnte klappen, denn das Publikum zeigt sich solidarisch: „Ich komme aus Lauenburg. Das ist noch toter. Viel Glück“, sagt eine Zuschauerin. Max ist es auch, der den Grundgedanken der „Fuckup Nights“ an diesem Abend versehentlich nahezu perfektioniert. Er mache jetzt erst mal ein Freiwilliges Soziales Jahr, sagt er und gibt einen Fuckup zu, der wohl als größter Fauxpas unter hochmotivierten Gründern gelten dürfte: „Mangels Ideen.“