Hamburg. Zahl der Neu-Unternehmer in Hamburg ist seit 2011 um 20 Prozent gesunken. Viele Betriebe finden keine Nachfolger .

Auf der Filmmesse in München hatten sie im vergangenen Herbst ihren ersten großen Auftritt. Mit dem, was die beiden entwickelt haben, werden wiederum künftig viele Auftritte gefilmt: vom Musikvideo bis zur Vorabendserie. Die Hamburger Andrea und Lars Andersen haben zusammen die Firma Hanse-Inno-Tech (HIT) gegründet, die Zubehör für Filmausrüster entwickelt und verkauft.

Ihre neueste Entwicklung sind vier Objektive mit unterschiedlicher Brennweite für professionelle Filmkameras. „Jedes Objektiv wiegt nur ein Kilogramm und garantiert eine einfache Handhabung“, sagt Lars Andersen. „Durch die identischen Gewichte bleibt die Kamera nach einem Objektivwechsel ausbalanciert.“ Das spart am Set Zeit und Geld. Noch in diesem Jahr wollen die beiden einige Hundert Objektive verkaufen. „Das Interesse ist groß“, sagt Andrea Andersen. Denn die beiden glauben, nicht nur technisch, sondern auch preislich gegenüber der Konkurrenz zu punkten. Zwar gibt es große Hersteller für Kamerazubehör, doch die sind auf Standardprodukte ausgerichtet. Filmemacher haben aber viele individuelle Vorstellungen. „Jede zweite Woche wird mir eine neue Idee präsentiert“, sagt Andersen.

Während sich Andersens nichts anderes vorstellen können als selbstständig zu sein, erlahmt Hamburgs Gründergeist. Seit 2011 ging die Zahl der Gründungen in der Hansestadt um 20 Prozent zurück, allein im vergangenen Jahr gab es knapp zehn Prozent weniger Existenzgründungen als 2013, wie aus dem Gründungsbarometer der Handelskammer hervorgeht. „Gegen den Trend konnten wir die Zahl der Gründerfinanzierungen konstant halten“, sagt Stefanie Huppmann, Leiterin der Abteilung Start-up bei der Hamburger Sparkasse (Haspa). „Jedes Jahr kommen 1000 Gründer mit ihren Konzepten zu uns, von denen wir rund ein Drittel finanzieren.“ Der Durchschnittskredit beträgt 200.000 Euro.

Mit den rückläufigen Gründungen liegt Hamburg im Bundestrend. Einen Zuwachs gibt es nur bei sogenannten Nebenerwerbsgründungen: quasi Selbstständigkeit mit Airbag. Die Gründer arbeiten tagsüber im Angestelltenverhältnis, abends und am Wochenende bauen sie die eigene Firma auf. Das bietet Sicherheit, falls die Selbstständigkeit scheitern sollte.

Noch ist Hamburg die zweitgrößte Gründerstadt nach Berlin. „Das Interesse an der Selbstständigkeit ist unverändert groß“, sagt Bernd Reichhardt von der Handelskammer. „Das merken wird an der steigenden Nutzung unserer Informationsangebote.“ Allein in der Gründungswerkstatt registrierten sich im vergangenen Jahr 1352 Hamburger, ein Zuwachs von 20 Prozent gegenüber 2013. Doch manche verabschieden sich wohl danach schnell wieder von ihrer Geschäftsidee. „Das gehört mit dazu, bevor unkalkulierbare Risiken eingegangen werden“, sagt Reichhardt.

Der Gründertag am Sonnabend in der Handwerkskammer soll weitere Interessenten für die Gründerszene anlocken. „Der Vorteil ist, dass potenzielle Gründer schnell mit dem gesamten Hamburger Gründernetzwerk Kontakt aufnehmen können“, wirbt Reichhardt für den Informationstag, zu dem rund 700 Besucher erwartet werden.

Doch der Antrieb zur Selbstständigkeit kommt mitunter erst spät. So wie bei Silke Germann, die aus einem jahrzehntelangen Angestelltenverhältnis kommt. Die 52-Jährige ist Heilpraktikerin und Sozialpädagogin und bereitet gerade ihre Selbstständigkeit vor. „Man muss sehr viele Dinge beachten, auch im rechtlichen und steuerlichen Bereich, aber die Unterstützung durch die Hamburger Existenzgründerinitiative (HEI) ist gut“, sagt Germann. Sie will systemische Familientherapie anbieten. Danach liegt der Schlüssel zur Veränderung von Problemen weniger in der behandelten Person, sondern im familiären Zusammenhang, in dem das Problem auftritt.

„Es geht darum, die vorhandenen Fähigkeiten zur Problemlösung zu nutzen und nicht so sehr den Probanden darzulegen, was in ihrem Leben alles falsch läuft“, sagt Germann. Bisher musste sie vor allem mit Menschen arbeiten, die gar nicht bereit oder in der Lage waren, etwas in ihrem Leben zu verändern. „Dieser Umstand war das Hauptmotiv für die Selbstständigkeit“, sagt Germann. Wer die Therapie selbst bezahlen muss, bringt sich auch anders ein, hofft Germann. In einigen Monaten will sie mit ihrer Beratungstätigkeit starten. „Das ist ein stark wachsender Markt“, sagt sie „Viele Gründer sind älter und kommen aus einem langjährigen Angestelltendasein“, hat Reichhardt beobachtet.

Der Rückgang an Gründern ist nach Einschätzung der Experten vor allem der guten Konjunktur geschuldet. „Wenn junge Leute zwischen der Karriere in einem großen Unternehmen und der Selbstständigkeit wählen können, entscheiden sie sich meist für die erste Möglichkeit“, sagt Reichhardt. Dabei gibt es Möglichkeiten, das Risiko zu begrenzen, etwa durch eine Betriebsübernahme. „Nach wie vor suchen Tausende kleine uns mittlere Firmen in Hamburg Nachfolger“, sagt Hjalmar Stemmann, Vizepräsident der Handwerkskammer. „Die junge Generation ist sehr sicherheitsorientiert und vielleicht fehlt ihr auch manchmal ein Gründer als Vorbild“, sagt Huppmann. Auch Angst vor dem Scheitern sei ein großes Hemmnis, weil das in Deutschland – anders als noch in den USA – noch immer als Makel gesehen werde.

Die Krise hatte auch ihr Gutes

Für Lars Andersen ist das kein Problem. Denn die neue Firma HIT ist schon seine zweite Gründung. Der Feinmechanikermeister und Betriebswirt betrieb eine Lohnfertigung für mechanische Teile mit bis zu sieben Mitarbeitern. Doch in der Finanzkrise 2008 blieben die Aufträge aus, den Betrieb musste er aufgeben.

Doch die Krise hatte auch ihr Gutes. Denn seine alte Firma war auf dem Gelände eines Filmgeräteverheihers. So bin ich langsam in die Branche hineingewachsen. Inzwischen hat er rund 30 Produkte für die professionellen Filmgeräteverleiher wie FGV Schmiedle oder AVT Plus entwickelt. Eines sieht aus wie ein großes Nagelbrett, heißt aber Car Mount: Eine Aluminiumplatte mit vielen verstellbaren Bolzen. Sie kommt bei Filmaufnahmen auf die Motorhaube und richtet die Kamera immer exakt und schnell aus. Oder der neue Kameraschlitten, der schon bei Fernsehserien der ARD wie „Notruf Hafenkante“ oder „Morden im Norden“ eingesetzt wurde.

Mit der neuen Firma haben Andrea und Lars Andersen auch die Schwerpunkte anders gesetzt. „Wir konzen­trieren uns auf die Entwicklung und Vermarktung“, sagt Andrea Andersen. So kommen die Linsen für die Objektive aus Asien, die Fertigung der Teile erfolgt in Hamburg in einer Lohnfertigung, und nur den Zusammenbau übernimmt HIT selbst. Denn die Andersens wissen aus eigener Erfahrung: An der Lohnfertigung verdient man am wenigsten. HIT will sich stärker auf die Entwicklung konzentrieren. So ist ein neuer Satz mit acht Objektiven in der Brennweite zwischen 18 und 135 Millimetern geplant.

Damit sich Lars Andersen ganz auf die Entwicklung und den Ausbau des Geschäfts konzentrieren kann, übernimmt seine Frau die Buchhaltung. Sie selbst arbeitet noch freiberuflich als IT-Projektleiterin. „Das gibt uns auch Sicherheit und wir können die Firma in Ruhe entwickeln“, sagt Andrea Andersen. Während sie sich um Steuern und Buchhaltung kümmert, trifft er sich zu Stammtischen von Kameramännern oder besucht Messen.

Hamburg bietet gute Voraussetzungen für Gründer. „Es gibt sehr gute Förderbedingungen, eine hohe Kaufkraft und eine breite Dienstleistungsstruktur, die Gründern entgegenkommt“, sagt Unternehmensberaterin Claudia Kirsch, die schon 5000 Gründer unterstützt hat. Nur zu wenige beißen sich durch so wie die Andersens.