Hamburg . Weil viele Wacken-Besucher hier Proviant kaufen, spielt eine Filiale am Hauptbahnhof den ganzen Tag laute Heavy-Metal-Musik.

Zwischen gestapelten Bierdosen und der Gemüseabteilung schleudert sie ihre langen, braunen Haare umher. Headbanging ist, wenn sich Metalfans wie Sandra Eisenhardt mit dem Oberkörper weit hinunter beugen und ihre Köpfe schnell im Takt der Musik hin- und herschleudern und die langen Haare (das ist ein Muss) umherfliegen.

Man kennt das von Heavy-Metalfestivals. Man sieht diese ausgelassene Tanzbewegung nicht so häufig zwischen Supermarktregalen. Aber momentan ist alles etwas anders und Hamburg im Wacken-Rausch: Der Supermarkt nahe dem Hauptbahnhof hat am Donnerstag einen Tag lang Heavy-Metal-Musik gespielt beim vermutlich ersten Heavy-Metal-Shopping Deutschlands, und der Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel nennt sich jetzt „Wacken Airport.“

Zum Wacken Open Air, das vier Tage lang in Schleswig-Holstein steigt, haben Sandra Eisenhardt, 15, und Jessica Hörmann, 15, es zwar nicht geschafft. Es passte zeitlich nicht. Deshalb dachten sich die beiden, dass sie mal im Supermarkt an der Mönckebergstraße vorbeigucken, ein bisschen „bangen“.

Aus den vier Lautsprechern dröhnen Motörhead, Iron Maiden und Co. Sandra und Jessica finden das super, hören aber dennoch wieder auf zu „bangen“, sonst gibt es Nackenschmerzen – den Metal-Nacken, wie sie sagen.

Christa Dietrich und Kurt Peters sind froh, nicht im Matsch zu stehen
Christa Dietrich und Kurt Peters sind froh, nicht im Matsch zu stehen © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Die Musik ist ziemlich laut und viel krawalliger als irgendein Hintergrundgedudel. Einer bleibt dabei völlig tiefenentspannt: Rüdiger Segebrecht räumt gerade Chips und Flips ins Supermarktregal ein. Heavy Metal? Das hat der 52-Jährige noch gar nicht wahrgenommen: „Ich bin so in meine Arbeit vertieft, ich höre die Musik gar nicht“, sagt der Logistiker. Das liegt wohl auch an der Titelauswahl mit wenig „Screams“ – dieser Metal-typischen Schreierei. Obwohl Screams auch beruhigend wirken können, sagt Sandra. Sie höre Heavy Metal gern zum Einschlafen. „Das ist Musik zum Abschalten.“

Sollte Heavy Metal tatsächlich beruhigend wirken und womöglich das Einkaufsverhalten der Kunden fördern? Während die Metal-Hits die Stimmung bei Sandra und Jessica heben, sind sie für Kundin Christina Effenberger, 25, eher abtörnend. „Das ist nicht meine Musikrichtung, dieses Aggressive. Es trägt nicht zum Wohlbefinden bei“, sagt sie. Sie hört lieber Schlager. Und Jean Pierre, 25, will nur schnell seine Pfandflaschen im Automaten loswerden. Die Musik, sagt er, sei ihm völlig egal. Den beiden eleganten, älteren Damen, die wie auf der Flucht zügigen Schrittes aus dem Markt hetzen, sicherlich nicht. Sie wirken ein wenig verstört. Eingekauft haben sie nichts.

Die Abneigung gegen Heavy Metal muss aber keinesfalls am hohen Alter liegen. Das beweisen Christa Dietrich und Kurt Peters. Sie, 71 Jahre, er, 81 Jahre alt. Das Paar schaut Sandra und Jessica beim Headbanging zu. „Herrlich“, sagt Frau Dietrich. Das Paar ist extra aus Norderstedt gekommen, um beim Metal-Shopping dabei zu sein. Sie sehen das pragmatisch: „Das ist doch super, und wir müssen nicht im Matsch stehen“, sagt Frau Dietrich und lacht. Sie mag die Metalfans: „Das ist eine ganz friedliche Meute.“

Die besten Fotos vom Matsch und Metal in Wacken

Beim Projekt „Rock meets Classic“ wurde es feurig
Beim Projekt „Rock meets Classic“ wurde es feurig © dpa
Zwergenaufstand in Wacken
Zwergenaufstand in Wacken © dpa
Out of the Dark, into the Light: In der Nacht zu Sonntag reisten die ersten von 75.000 Festival-Gästen ab
Out of the Dark, into the Light: In der Nacht zu Sonntag reisten die ersten von 75.000 Festival-Gästen ab © dpa
Glückwunsch: Laura und Juan aus Spanien hatten sich auf dem letztjährigen Wacken-Festival kennengelernt, daraufhin geheiratet und feierten den letzten Tag der Flitterwochen auf dem diesjährigen Festival
Glückwunsch: Laura und Juan aus Spanien hatten sich auf dem letztjährigen Wacken-Festival kennengelernt, daraufhin geheiratet und feierten den letzten Tag der Flitterwochen auf dem diesjährigen Festival © dpa
Eine Wacken-Besucherin versucht sich am Zaun festzuhalten
Eine Wacken-Besucherin versucht sich am Zaun festzuhalten © dpa | Axel Heimken
Klamotten werden überbewertet
Klamotten werden überbewertet © dpa | Axel Heimken
Seit Tagen ist der Festival-Platz mit Schlamm und Matsch bedeckt
Seit Tagen ist der Festival-Platz mit Schlamm und Matsch bedeckt © dpa | Axel Heimken
Am zweiten Tag des Heavy-Metal Festivals werden wieder dutzende Bands auf insgesamt acht Bühnen erwartet
Am zweiten Tag des Heavy-Metal Festivals werden wieder dutzende Bands auf insgesamt acht Bühnen erwartet © dpa | Axel Heimken
Die Laune der Besucher wird durch das Wetetr und den schlammigen Boden bisher nicht getrübt
Die Laune der Besucher wird durch das Wetetr und den schlammigen Boden bisher nicht getrübt © dpa | Axel Heimken
Die Zeltflächen versinken am Freitag im Matsch
Die Zeltflächen versinken am Freitag im Matsch © dpa | Axel Heimken
Die Wacken-Besucher bahnen sich ihren Weg durch den Matsch
Die Wacken-Besucher bahnen sich ihren Weg durch den Matsch © dpa | Axel Heimken
Eine Kombo zeigt, wer auf das Festival-Gelände gelangen will, sollte zumindest nicht zu sehr an seinen Schuhen hängen
Eine Kombo zeigt, wer auf das Festival-Gelände gelangen will, sollte zumindest nicht zu sehr an seinen Schuhen hängen © dpa | Axel Heimken
Wer seine Schuhe liebt, der...lässt sich in einem Anhänger ziehen
Wer seine Schuhe liebt, der...lässt sich in einem Anhänger ziehen © dpa | Axel Heimken
Festival 2.0? Ein Besucher des W.O.A. (Wacken Open Air) an seinem Handy
Festival 2.0? Ein Besucher des W.O.A. (Wacken Open Air) an seinem Handy © dpa | Axel Heimken
Zelte und Matsch, die typischen Bilder eines Festivals
Zelte und Matsch, die typischen Bilder eines Festivals © dpa | Axel Heimken
Besucher auf dem Wacken Open Air im Matsch
Besucher auf dem Wacken Open Air im Matsch © dpa | Axel Heimken
Ankunft mit dem „Metal-Train“ am Bahnhof in Itzehoe
Ankunft mit dem „Metal-Train“ am Bahnhof in Itzehoe © dpa | Axel Heimken
Die Metal-Train Crew weist die Besucher am Bahnhof ein
Die Metal-Train Crew weist die Besucher am Bahnhof ein © dpa | Axel Heimken
Auch das gibt es: Mit Sperrgebiet am Bahnhof
Auch das gibt es: Mit Sperrgebiet am Bahnhof © dpa | Axel Heimken
Etwa 800 Besucher sind mit dem
Etwa 800 Besucher sind mit dem "Metaltrain", einem Zug, der von Stuttgart aus Heavy-Metal Fans zum Wacken Festival transportiert, angereist © dpa | Axel Heimken
Mit Bussen geht es zum Festival-Gelände
Mit Bussen geht es zum Festival-Gelände © dpa | Axel Heimken
Festival-Besucher am Bahnhof warten auf die Busse
Festival-Besucher am Bahnhof warten auf die Busse © dpa | Axel Heimken
Andrang am Bahnhof in Itzehoe
Andrang am Bahnhof in Itzehoe © dpa | Axel Heimken
Durch den Matsch geht es zu den Zelten
Durch den Matsch geht es zu den Zelten © dpa | Axel Heimken
„Wer schwankt, hat mehr vom Weg“ passt auch zum Wacken-ABC (http://www.abendblatt.de/kultur-live/article205516023)
„Wer schwankt, hat mehr vom Weg“ passt auch zum Wacken-ABC (http://www.abendblatt.de/kultur-live/article205516023) © dpa | Axel Heimken
Arbeiter bauen im strömenden Regen die Bühnen auf
Arbeiter bauen im strömenden Regen die Bühnen auf © dpa | Axel Heimken
Einige Besucher waren bereits am Dienstag auf dem Festival-Gelände angekommen
Einige Besucher waren bereits am Dienstag auf dem Festival-Gelände angekommen © dpa | Axel Heimken
Festivalbesucher decken sich in Wacken im lokalen Supermarkt mit den Grundnahrungsmitteln Ravioli und Bier ein
Festivalbesucher decken sich in Wacken im lokalen Supermarkt mit den Grundnahrungsmitteln Ravioli und Bier ein © dpa | Axel Heimken
Festivalbesucher auf der Hauptstraße des Ortes
Festivalbesucher auf der Hauptstraße des Ortes © dpa | Axel Heimken
Nicht alle Besucher tragen schwarz
Nicht alle Besucher tragen schwarz © dpa | Axel Heimken
Improvisation ist alles - wie heißt es so schön: ...für alles andere gibt es Gaffer Tape
Improvisation ist alles - wie heißt es so schön: ...für alles andere gibt es Gaffer Tape © dpa | Axel Heimken
Fans reisen zum wohl bekanntesten Heavy-Metal Festival der Welt nach Wacken
Fans reisen zum wohl bekanntesten Heavy-Metal Festival der Welt nach Wacken © dpa | Axel Heimken
Das Festival findet in Wacken in Schleswig-Holstein statt
Das Festival findet in Wacken in Schleswig-Holstein statt © dpa | Axel Heimken
Festivalbesucher im Matsch
Festivalbesucher im Matsch © dpa | Axel Heimken
Eine Mülltonne mit dem Logo des W.O.A. weist auf Müllrecycling auf dem Festivalgelände hin
Eine Mülltonne mit dem Logo des W.O.A. weist auf Müllrecycling auf dem Festivalgelände hin © dpa | Axel Heimken
Thomas Jensen ist Gründer und Organisator des W.O.A. (Wacken Open Air)
Thomas Jensen ist Gründer und Organisator des W.O.A. (Wacken Open Air) © dpa | Axel Heimken
Besucher vor einer Übersichtskarte des Festival-Geländes
Besucher vor einer Übersichtskarte des Festival-Geländes © dpa | Axel Heimken
Besucher mit einem Bollerwagen auf dem Weg zum Festivalgelände
Besucher mit einem Bollerwagen auf dem Weg zum Festivalgelände © dpa | Axel Heimken
Ein PKW mit Anhänger fährt in Wacken an der Ortseinfahrt an einer Plastikkuh mit dem Logo des W.O.A. (Wacken Open Air) vorbei
Ein PKW mit Anhänger fährt in Wacken an der Ortseinfahrt an einer Plastikkuh mit dem Logo des W.O.A. (Wacken Open Air) vorbei © dpa | Axel Heimken
Wolken ziehen in Wacken an der Ortseinfahrt über das Logo des W.O.A. (Wacken Open Air)
Wolken ziehen in Wacken an der Ortseinfahrt über das Logo des W.O.A. (Wacken Open Air) © dpa | Axel Heimken
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Auf dem Wacken Open Air waren sie aber noch nie. „Wir kennen Wacken nur von Wanderungen“, sagt Herr Peters. Was da gesungen wird, ist selbst für Metalheads wie Sandra und Jessica nicht zu verstehen. Dabei sollen die Texte tiefgründig sein. Das sagt jedenfalls Jan Richter, 24, Metalfan aus Wandsbek. „Die Texte sind aussagekräftiger als in der Popmusik. Da fühle ich mich zu Haus.“ Hier im Supermarkt auch. Es dröhnt weiter aus den Boxen. Bis zum Ladenschluss wird das so weitergehen. Die Verkäuferin an der Imbisstheke sieht es selbstlos: „Dafür, dass ich diese Musik nicht mag, geht es. Wichtig ist nur, dass es den Kunden gefällt.“

Hintergrundmusik läuft in diesem Supermarkt sonst gar nicht. Eigentlich läuft die Rockmusik für die Bahnkunden auf dem Weg nach Wacken, die sich hier noch kurz mit dem Nötigsten eindecken. Stefan Ohlrich wollte ja gern nach Wacken. Aber es war ihm zu teuer. Also ab in den Supermarkt – zum Musikhören. „Wer nicht in Wacken ist, muss hier sein“, sagt der Slayer-Fan. Metal sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Damit hat er wohl recht.

Am Flughafen gibt es einen eigenen Empfangsbereich für Wacken-Besucher

Selbst der Flughafen bietet den Wacken-Besuchern wieder einen besonderen Empfang mit einem eigenen Bereich samt Wacken-Strandkorb, vergünstigten Speisen und Getränken sowie Festivalhelfern wie Aspirin und Ohrstöpseln. In der Café-Bar Scoom laufen Videos von früheren Wacken-Festivals. Bis zu 5000 Fans und Bands nutzen das Flugzeug, um über Hamburg nach Wacken zu reisen. „Die Wacken-Fans sorgen Jahr für Jahr für eine ganz besondere Stimmung“, sagt Katja Bromm vom Hamburg Airport.

Einer australischen Studie zufolge seien Menschen, die Heavy Metal hören, stressresistenter. Die Versuchspersonen, alles Metalfans, wurden wütend gemacht. Zur Beruhigung gab es dann harte Klänge. Das Ergebnis: Die Musik half ihnen, mit ihren Gefühlen umzugehen und sich zu beruhigen. Einkaufen bedeutet für viele auch regelmäßig Stress. Dennoch soll die Heavy-Metal-Beschallung eine Ausnahme bleiben.

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