Hamburg . Weil viele Wacken-Besucher hier Proviant kaufen, spielt eine Filiale am Hauptbahnhof den ganzen Tag laute Heavy-Metal-Musik.
Zwischen gestapelten Bierdosen und der Gemüseabteilung schleudert sie ihre langen, braunen Haare umher. Headbanging ist, wenn sich Metalfans wie Sandra Eisenhardt mit dem Oberkörper weit hinunter beugen und ihre Köpfe schnell im Takt der Musik hin- und herschleudern und die langen Haare (das ist ein Muss) umherfliegen.
Man kennt das von Heavy-Metalfestivals. Man sieht diese ausgelassene Tanzbewegung nicht so häufig zwischen Supermarktregalen. Aber momentan ist alles etwas anders und Hamburg im Wacken-Rausch: Der Supermarkt nahe dem Hauptbahnhof hat am Donnerstag einen Tag lang Heavy-Metal-Musik gespielt beim vermutlich ersten Heavy-Metal-Shopping Deutschlands, und der Hamburger Flughafen in Fuhlsbüttel nennt sich jetzt „Wacken Airport.“
Zum Wacken Open Air, das vier Tage lang in Schleswig-Holstein steigt, haben Sandra Eisenhardt, 15, und Jessica Hörmann, 15, es zwar nicht geschafft. Es passte zeitlich nicht. Deshalb dachten sich die beiden, dass sie mal im Supermarkt an der Mönckebergstraße vorbeigucken, ein bisschen „bangen“.
Aus den vier Lautsprechern dröhnen Motörhead, Iron Maiden und Co. Sandra und Jessica finden das super, hören aber dennoch wieder auf zu „bangen“, sonst gibt es Nackenschmerzen – den Metal-Nacken, wie sie sagen.
Die Musik ist ziemlich laut und viel krawalliger als irgendein Hintergrundgedudel. Einer bleibt dabei völlig tiefenentspannt: Rüdiger Segebrecht räumt gerade Chips und Flips ins Supermarktregal ein. Heavy Metal? Das hat der 52-Jährige noch gar nicht wahrgenommen: „Ich bin so in meine Arbeit vertieft, ich höre die Musik gar nicht“, sagt der Logistiker. Das liegt wohl auch an der Titelauswahl mit wenig „Screams“ – dieser Metal-typischen Schreierei. Obwohl Screams auch beruhigend wirken können, sagt Sandra. Sie höre Heavy Metal gern zum Einschlafen. „Das ist Musik zum Abschalten.“
Sollte Heavy Metal tatsächlich beruhigend wirken und womöglich das Einkaufsverhalten der Kunden fördern? Während die Metal-Hits die Stimmung bei Sandra und Jessica heben, sind sie für Kundin Christina Effenberger, 25, eher abtörnend. „Das ist nicht meine Musikrichtung, dieses Aggressive. Es trägt nicht zum Wohlbefinden bei“, sagt sie. Sie hört lieber Schlager. Und Jean Pierre, 25, will nur schnell seine Pfandflaschen im Automaten loswerden. Die Musik, sagt er, sei ihm völlig egal. Den beiden eleganten, älteren Damen, die wie auf der Flucht zügigen Schrittes aus dem Markt hetzen, sicherlich nicht. Sie wirken ein wenig verstört. Eingekauft haben sie nichts.
Die Abneigung gegen Heavy Metal muss aber keinesfalls am hohen Alter liegen. Das beweisen Christa Dietrich und Kurt Peters. Sie, 71 Jahre, er, 81 Jahre alt. Das Paar schaut Sandra und Jessica beim Headbanging zu. „Herrlich“, sagt Frau Dietrich. Das Paar ist extra aus Norderstedt gekommen, um beim Metal-Shopping dabei zu sein. Sie sehen das pragmatisch: „Das ist doch super, und wir müssen nicht im Matsch stehen“, sagt Frau Dietrich und lacht. Sie mag die Metalfans: „Das ist eine ganz friedliche Meute.“
Die besten Fotos vom Matsch und Metal in Wacken
Auf dem Wacken Open Air waren sie aber noch nie. „Wir kennen Wacken nur von Wanderungen“, sagt Herr Peters. Was da gesungen wird, ist selbst für Metalheads wie Sandra und Jessica nicht zu verstehen. Dabei sollen die Texte tiefgründig sein. Das sagt jedenfalls Jan Richter, 24, Metalfan aus Wandsbek. „Die Texte sind aussagekräftiger als in der Popmusik. Da fühle ich mich zu Haus.“ Hier im Supermarkt auch. Es dröhnt weiter aus den Boxen. Bis zum Ladenschluss wird das so weitergehen. Die Verkäuferin an der Imbisstheke sieht es selbstlos: „Dafür, dass ich diese Musik nicht mag, geht es. Wichtig ist nur, dass es den Kunden gefällt.“
Hintergrundmusik läuft in diesem Supermarkt sonst gar nicht. Eigentlich läuft die Rockmusik für die Bahnkunden auf dem Weg nach Wacken, die sich hier noch kurz mit dem Nötigsten eindecken. Stefan Ohlrich wollte ja gern nach Wacken. Aber es war ihm zu teuer. Also ab in den Supermarkt – zum Musikhören. „Wer nicht in Wacken ist, muss hier sein“, sagt der Slayer-Fan. Metal sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Damit hat er wohl recht.
Am Flughafen gibt es einen eigenen Empfangsbereich für Wacken-Besucher
Selbst der Flughafen bietet den Wacken-Besuchern wieder einen besonderen Empfang mit einem eigenen Bereich samt Wacken-Strandkorb, vergünstigten Speisen und Getränken sowie Festivalhelfern wie Aspirin und Ohrstöpseln. In der Café-Bar Scoom laufen Videos von früheren Wacken-Festivals. Bis zu 5000 Fans und Bands nutzen das Flugzeug, um über Hamburg nach Wacken zu reisen. „Die Wacken-Fans sorgen Jahr für Jahr für eine ganz besondere Stimmung“, sagt Katja Bromm vom Hamburg Airport.
Einer australischen Studie zufolge seien Menschen, die Heavy Metal hören, stressresistenter. Die Versuchspersonen, alles Metalfans, wurden wütend gemacht. Zur Beruhigung gab es dann harte Klänge. Das Ergebnis: Die Musik half ihnen, mit ihren Gefühlen umzugehen und sich zu beruhigen. Einkaufen bedeutet für viele auch regelmäßig Stress. Dennoch soll die Heavy-Metal-Beschallung eine Ausnahme bleiben.