In unserer Stadt sind verschiedene Zweiradnutzer unterwegs. Eine nicht ganz ernst gemeinte Typisierung durch einen ihrer Mitfahrer.

Hamburg wird zur Radfahrerstadt. Das ist schön. Falls Sie mit dem Gedanken spielen, auf diesen Trend aufzuspringen, sollten Sie das aber nicht unvorbereitet tun. Sonst wird’s unschön. Damit Sie wissen, was auf Sie zukommt, erklärt das Abendblatt, mit was für Typen Sie es auf Hamburgs Radwegen zu tun bekommen werden.

Der Radweg-Rambo

Der auch als Alu-Anarcho, Velo­saurus Rex und Bike-Berserker bekannte Radweg-Rambo fährt minimalistische Hightech-Hipster-Räder, die keine Beleuchtung haben und nicht unter 1000 Euro kosten. Er sieht sich durchaus unchristlich als Krone der Schöpfung und hat vor denjenigen, die irgendwo in der Evolution steckengeblieben sind (also allen anderen Verkehrsteilnehmern) nicht ganz so viel Achtung wie ein Mullah vor einer Striptänzerin. Er ist in seiner Fahrweise durchaus berechenbar, da er stets bemüht ist, mindestens drei Verkehrsregeln gleichzeitig zu ignorieren. Er weiß aber zu differenzieren: Während andere Radfahrer immerhin noch als Schwachköpfe durchgehen, sind Fußgänger für ihn hirnamputierte Idioten, die er aber den Schweinen, also allen Autofahrern, durchaus noch vorzieht. Wenn er nicht mindestens zehn Mitmenschen pro Tag als Arschloch beschimpft hat, ist er zutiefst unglücklich. Im Zweifel liegt er lieber vier Wochen im Krankenhaus als einmal zu bremsen.

Tipp: Fahren Sie rechts ran und warten Sie, bis der Irre außer Sicht ist.

Die Alster-Madame

Dieser Typus kann nur als Gesamtkunstwerk betrachtet und verstanden werden. Denn das Handeln der Alster-Madame ist nicht zweckgerichtet, es ist mehr ein ästhetisches Statement. Sie ist ausschließlich zwischen Mai und September anzutreffen, betrachtet das Radwegenetz als größten Laufsteg der Stadt und ist in ihrer Fahrweise völlig unberechenbar. Ihr Fahrrad ist niemals älter als ein Jahr, schon weil Marke, Sattelform, Lenkergestaltung und Lackierung sonst aus der Mode wären. Sinnfreies Bremsen muss bei Begegnungen ebenso einkalkuliert werden wie plötzliches Ändern der Fahrtrichtung. Dafür kann man sicher sein, dass Sonnenbrille, Kleid, Schuhe, Nagellack und Fahrradrahmen farblich bestens aufeinander abgestimmt sind. Im Zweifel kommt sie lieber eine weitere halbe Stunde zu spät an, als ohnehin schon eingeplant war, bevor wegen erhöhten Pulses Schweißdrüsen ihre Arbeit aufnehmen könnten.

Tipp: Je nach Neigung genießen oder ignorieren – ein Kunstwerk eben

Der Business-Mann

Der Anzug- und Krawattenfahrer trägt immer Helm, fährt ein Mittelklasse-Fahrrad und möchte sein Tun als Statement verstanden wissen, dass er, der moderne Großstadt-Büromensch, bewusst lebt, die Umwelt schont und sich von seiner Vorgängergeneration abhebt, die das Auto als Statussymbol missverstanden hat. Tatsächlich ist er lediglich auf der Karriereleiter kurz vor der Firmenparkplatzstufe stehen geblieben. In diesem Typus feiert die deutsche Mittelmäßigkeit Triumphe – und so fährt er auch. Der Business-Mann fährt durchschnittlich schnell, durchschnittlich sicher und durchschnittlich verkehrsregelgerecht. Er würde niemals als erster bei Rot über die Straße fahren, schließt sich aber gerne an, wenn mindestens drei es vorgemacht haben. Im Zweifel würde er auch eine um Hilfe schreiende, verletzte Frau achtlos ignorieren – wenn die anderen es auch tun.

Tipp: Wenn Sie nicht auffallen wollen – folgen Sie ihm einfach.

Der Sonntagsfahrer

Sein Gefährt ist nicht nagelneu, sieht aber so aus, denn er benutzt es höchstens zum dritten Mal, seit er es 2013 beim Kauf seines SUV nach dem Feilschen um die Extras vom BMW-Händler als Dreingabe erhielt. Das Unmännlichkeitssymbol namens Helm liegt in der Originalverpackung in der Garage. Der Sonntagsfahrer fremdelt mit seinem Gefährt, schon deshalb, weil er nicht wie gewohnt auf den Rest der Verkehrswelt herabblicken kann. Außerdem vermisst er zwei Tonnen Stahl um sich herum. Er trägt sommers Polohemd, knielange Funktionshosen und hat an den Füßen Sneaker und diese extrem kurzen Socken, die die Spießigkeit des Sockentragens verbergen sollen. Üblicherweise ist er in Begleitung seiner Frau zu finden, die ihm blöderweise konditionell so überlegen ist wie ein Pferd einem Felsblock. Im Zweifel würde er aber lieber hier und jetzt den Herztod sterben, als einzuräumen, dass er nicht mehr mithalten kann.

Tipp: Einfach lächelnd überholen.

Die graue Eminenz

Hier handelt es sich um die Abstand coolste Erscheinung auf Hamburgs Radwegen. Er kennt alle Abkürzungen, hätte keinerlei Hemmungen, mit Unschuldsmiene auf der falschen Straßenseite bei Rot über die Kreuzung zu rasen, und wäre durchaus in der Lage, sein Tempo zu verdoppeln – doch all das hat er einfach nicht nötig, denn er ist über 70 und hat Zeit. Außerdem ist er hier schon Fahrrad gefahren, als es noch gar keine Ampeln gab und die Haken noch Kreuze hatten. Die graue Eminenz blickt mit innerer Gelassenheit auf das Treiben und verkneift sich weise den Zuruf an den Rest der Verkehrswelt, dass ihre Hektik völlig sinnlose Verschwendung von Energie ist, denn er weiß, dass er mal genau so war und dass er damals einen entsprechenden Rat eines Opis kaum goutiert hätte. Also ist er lieber die gute Seele des Radverkehrs, lächelt gerne, bedankt sich bei Fußgängern, wenn sie nach seinem Klingeln den Radweg räumen, und erfreut sich an der frischen Luft. Im Zweifel wäre er aber manchmal doch noch gerne 25, nämlich dann, wenn er dem Rad-Rambo begegnet, der nun wirklich eine rechte Gerade verdient hätte.

Tipp: Lächeln und grüßen

Der Schwerlast-Radler

In diesem Beispiel geht es um den stark ansteigenden zweirädrigen Schwerlastverkehr, der zweitgrößten Stau-Ursache auf Hamburgs Velorouten. Es ist nicht die Rede von den Kleinkindanhängern, in denen Eineinhalbjährige die Welt durch eine Plastikfolie erkunden dürfen, sondern von den Vorderladern: Mons­tröse Holz-Stahl-Konstruktionen, die in Relation zur Radwegbreite etwa so viel Platz einnehmen wie es die „Queen Mary“ auf der A 7 tun würde. Bei den Fahrern handelt es sich in der Regel um rastagelockte, vegane CO2-Bilanz-Buchhalter mit dem Humorpotenzial von Pol Pot oder Kim Il Sung. Als fleischfressender Mitbürger stehen Sie auf seiner Beliebtheitsskala etwa gleichauf mit Kindermördern und George W. Bush. Im Zweifel würde der Schwerlast-Radler eher mit 0,3 Stundenkilometern weiterfahren, bevor er einmal kurz Platz macht. Denn das ist sein gutes Recht, während Sie ein Scheißkapitalist sind.

Tipp: Falls Sie sich gern anschreien lassen – einfach nach riskantem Überholmanöver einen McDonald’s-Plastikbecher in seine Kiste werfen.
Falls nicht – Straßenseite wechseln.

Der Vater/die Mutter

Nun kommen wir zum größten Stauhindernis: Eltern in Begleitung ihrer Kinder. Diese behelmte, fleischgewordene Moralkeule blockiert Rad- und Gehweg durch unkontrolliertes Schlangenlinienfahren auf voller Breite. Wenn Sie durch eine reaktionsschnelle Vollbremsung einen Zusammenstoß mit einem der niedlichen, kleinen Anarchisten glücklich vermieden haben, folgt eine elterliche Standpauke. Nicht etwa für Malte-Paul, der ohne Vorwarnung plötzlich nach rechts ausgeschert war, sondern für Sie, den rücksichtslosen Kinderhasser, der selbst bestimmt keine habe, aber ihre fast umgebracht hätte. Nach der dritten, hysterisch-besorgten Nachfrage der Mutter („Hat der Mann dich erschreckt, mein Engel?“) fängt der Kleine dann auch auftragsgemäß an zu weinen. Währenddessen möchte der Vater Ihre Adresse haben – wegen der Rechnung für den Trauma-Therapeuten, zu dem Malte-Paul so lange geschleppt wird, bis er wirklich traumatisiert ist. Im Zweifel würden diese Eltern bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, bevor sie zugeben, dass sie oder ihre Kinder irgendetwas falsch gemacht haben könnten.

Tipp: Vorausschauend fahren: Sobald Sie eine Familie auf zwei Rädern erkennen, Umweg in Kauf nehmen
und Route ändern.