Hamburg. Die häufigste Ursache für Unfälle mit Radlern sind Pkw, Lkw- und Busfahrer, die beim Abbiegen nicht aufpassen.

Der Mann hatte keine Chance. Die Ampel zeigte zwar Grün, als der 47 Jahre alte Radfahrer die Stresemannstraße an der Ecke Kieler Straße überquerte, aber der abbiegende Lkw-Fahrer sah ihn dennoch nicht und überrollte ihn mit seinem tonnenschweren Gefährt. Es war der 15. Dezember 2014, und die Zahl der in Hamburg ums Leben gekommenen Fahrradfahrer in dem Jahr damit auf elf gestiegen – ein trauriger Rekord, der heftige Diskussionen über das Radfahren in der Stadt auslöste.

Was damals schon viele vermuteten oder behaupteten, wird nun durch neue Zahlen belegt: Abbiegende oder kreuzende Fahrzeuge – egal ob Auto, Bus oder Lkw – sind für Fahrradfahrer in Hamburg mit Abstand die größte Gefahr. Etwa ein Drittel aller Unfälle mit Radlern sind darauf zurückzuführen. Folgende Zahlen hat der Senat auf eine Kleine Anfrage von Martin Bill, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen in der Bürgerschaft, zusammengetragen: Genau 3274 Verkehrsunfälle mit Radfahrerbeteiligung haben sich 2014 ereignet. Nur 818 davon verliefen glimpflich. Bei den anderen 2456 Unfällen wurden insgesamt elf Personen getötet – ausnahmslos Radfahrer – und 2661 verletzt. Unter diesen Verletzten waren wiederum 2409 Radfahrer, 184 Fußgänger, 37 Pkw-Fahrer, zehn Busfahrer oder Fahrgäste, vier Lkw-Fahrer und 17 „Sonstige“ – das können zum Beispiel Roller-, Inliner- oder Skateboardfahrer sein.

Aufgeteilt nach den Verursachern der Unfälle liegen jeweils die Pkw-Fahrer vorn: Sie haben 1596 aller 3274 Unfälle (49 Prozent) mit Radfahrern verursacht und sogar 53 Prozent der Unfälle, bei denen jemand verletzt wurde (1308 von 2456). Als Unfallverursacher folgen die Radler selbst (1282 Unfälle), Lkw-Fahrer (152), Fußgänger (130), „Sonstige“ (90) und Busfahrer (24).

Gefragt nach den Ursachen des Unfalls liegen ausweislich der Senatsangaben Gründe wie „Abbiegen“, „Vorfahrt“ oder „Einfahren“ (in eine Straße oder ein Grundstück) deutlich vorn: Allein 1134 der 1596 von Pkw verursachten Crashs gingen darauf zurück. Auch in den Fällen, in denen Lastwagenfahrer einen Unfall herbeiführten, fielen 95 von 152 in diese Kategorie.

„Die Zahlen zeigen deutlich: Besonders gefährlich sind die Abbiegesituationen an Kreuzungen und Einmündungen“, sagte Bill dem Abendblatt. „Brenzlig wird es oft dann, wenn die Rad fahrenden auf einem klassischen Radweg auf Niveau des Fußwegs geführt werden und dann für viele Autofahrer unerwartet im Kreuzungsbereich auftauchen.“ Für den Verkehrsexperten der Grünen sind die Daten auch eine Bestätigung des politischen Kurses: „Es ist wichtig, dass die Radfahrer für die Autofahrer gut sichtbar sind. Deshalb wollen wir den Radverkehr auf die Straße verlegen, sei es durch Radfahrstreifen oder Schutzstreifen oder durch die Einrichtung von Fahrradstraßen. Das sind also nicht nur Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs sondern auch Maßnahmen zur Steigerung der Verkehrssicherheit.“

Hamburg gilt unter Radlern bislang als schwieriges Pflaster. In einer Umfrage des Fahrradclubs ADFC in Kooperation mit dem Bundesverkehrsministerium belegte die Stadt 2014 auf der Rangliste der fahrradfreundlichsten Großstädte nur den 35. von 39 Plätzen. Wie berichtet, will der rot-grüne Senat das ändern und Hamburg zur „Fahrradstadt“ machen. Der Anteil das Radverkehrs soll im kommenden Jahrzehnt auf 25 Prozent verdoppelt werden. Dafür sollen neue „Velorouten“ entstehen, bestehende Radwege saniert und in vielen Fällen auf die Straße verlegt werden – weil das unter Experten als sicherste Variante gilt. Das Problem, dass Kraftfahrzeugführer die Radler beim Abbiegen übersehen, würde damit jedenfalls gemindert, betont auch der ADFC seit Langem.

Radfahren auf der Straße gilt als sicher, ist aber umstritten

Allerdings ist dieser Plan selbst unter Radfahrern nicht unumstritten, denn viele fühlen sich auf der Straße unsicher. Als Beispiel für eine solche Debatte gilt der Harvestehuder Weg an der Alster, der aufwendig zur „Fahrradstraße“ umgebaut wurde, von den Radlern aber nicht angenommen wird. Die meisten fahren lieber weiterhin auf dem alten Weg direkt am Wasser, auch und vor allem, weil ihnen dort keine Autos und Touristenbusse ins Gehege kommen.

Dass die Konflikte zwischen Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern proportional zur Steigerung des Radverkehrsanteils zunehmen werden, glaubt Martin Bill nicht. Er vermute vielmehr, dass sich der Anstieg der Unfallzahlen bald von der steigenden Zahl der Radler entkoppele, sagte der Grünen-Politiker. Seine Theorie: „Je mehr Radfahrer unterwegs sind, desto eher werden sie wahrgenommen und desto weniger Unfälle geschehen.“ Tatsächlich beklagen Drahteselbenutzer in der Hansestadt traditionell, dass die anderen Verkehrsteilnehmer sie kaum auf der Rechnung hätten.

Umgekehrt mehren sich Beschwerden über rüpelhafte Radler. Auch dafür liefert Bills Anfrage Belege: 39 Prozent aller Unfälle mit Radfahrern verursache diese schließlich selbst (1282 von 3274). Dabei gibt es mehrere nachrangige Gründe wie Benutzung der falschen Fahrbahn und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot (187 Fälle), Rotlichtverstoß (95) und Vorfahrtfehler (75). Die Masse fällt aber unter „Sonstige Fehler“. Darunter fallen zum Beispiel „Fehlverhalten gegenüber Fußgängern“, zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand, Nebeneinanderfahren, technische Mängel am Rad oder Verkehrsuntüchtigkeit des Fahrers.