Hamburg. Michael Neumann bedauert im Abendblatt-Interview die Informationspanne in Jenfeld. Zahl der Neuankömmlinge auf 300 am Tag gestiegen.

Es sind keine normalen Zeiten, es ist ein dauerhafter Ausnahmezustand. Daran will Innensenator Michael Neumann (SPD) keine Zweifel lassen. „Es standen 300 Flüchtlinge vor unseren Türen“, sagt Neumann zu dem eiligen Aufbau von Notzelten für Flüchtlinge im Jenfelder Moorpark am Donnerstag und Freitag. Die Anwohner wurden überrumpelt, das bedauert Neumann. Aber er trage die politische Verantwortung für die Erstversorgung von Asylbewerbern, die manchmal nicht anders zu bewältigen sei: „Ich müsste und würde wieder so handeln“, sagt Neumann.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen muss der Senat die Kapazitäten für Flüchtlinge in der Erstaufnahme sprunghaft aufstocken. Zuletzt waren innerhalb einer Woche bereits 2300 Plätze für Asylbewerber geschaffen worden – zehnmal so viele Plätze, wie Hamburg 2011 insgesamt hatte. Die Beschaffung weiterer Container und Zelte gestaltet sich für Behörden immer schwieriger. Laut Senator Neumann herrscht „im gesamten Bundesgebiet eine extreme Nachfrage“ und entsprechend hohe Preise.

Bei der Auswahl der Flächen soll indes stärker auf das Gleichgewicht zwischen den Hamburger Bezirken geachtet werden. Vor allem der Bezirk Mitte, der mit der Zentralen Erstaufnahme Dratelnstraße (rund 1500 Plätze) eine große Last trägt, soll vom Bau großer neuer Einrichtungen verschont bleiben. Im dicht bebauten Bezirk Eimsbüttel fehlt es an brauchbaren Flächen, zudem wird an der Schnackenburgallee (1600 Plätze) eine große Erstaufnahme betrieben. Die anderen Bezirke haben bereits kleinere Einrichtungen, könnten aber stärker in die Pflicht genommen werden.

Auch auf der Klausurtagung von SPD-Bürgerschaftsfraktion und dem Hamburger Landesvorstand der Partei am Wochenende in Boltenhagen war die Flüchtlingsunterbringung das zen­trale Thema. Innensenator Neumann und Sozialstaatsrat Jan Pörksen informierten die rund 100 Teilnehmer über die dramatische Lage. Partei und Fraktion sprachen sich dafür aus, die ehrenamtlichen Helfer, die es an fast jeder Flüchtlingsunterkunft gibt, mit rund 1,4 Millionen Euro im Jahr mehr als dreimal so stark zu unterstützen wie bisher. Außerdem sollen unterschiedliche Gruppen in einem noch zu gründenden „Forum Flüchtlingshilfe“ vernetzt werden, um sich gegenseitig beraten zu können, wie man zum Beispiel eine Kleiderkammer, Sprachkurse oder ein Willkommenfest organisiert. „Behörden, Bezirke, Hilfsorganisationen und die vielen, vielen Ehrenamtlichen leisten in diesen Tagen und Wochen Herausragendes, um die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen in Hamburg zu gewährleisten“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel.

Auch die wünschenswerte und von der Wirtschaft sogar geforderte Arbeitsintegration der Flüchtlinge war ein Thema unter den Sozialdemokraten. Dass diese durch die 15-monatige „Vorrangprüfung“ verzögert werde, mit der nachgewiesen werden muss, dass keine deutschen Arbeitnehmer oder etwa EU-Bürger den Job machen könnten, sei nicht hinnehmbar, sagte Dressel: „Deshalb ist es dringend an der Zeit, dass diese unsägliche Vorrangprüfung gestrichen wird, die den Flüchtlingen den Weg in die Arbeit versperrt. Ein Rumsitzen in den Unterkünften ist für niemanden eine Lösung, weder für die Flüchtlinge noch für den Sozialstaat und den Steuerzahler.“ Hamburg werde sich auf Bundesebene für die Abschaffung einsetzen.

FDP-Sozialpolitikerin Jennyfer Dutschke kritisierte den Senat am Sonntag als überfordert: „Rot-Grün agiert derart planlos, dass von heute auf morgen Zeltdörfer in Parks aus dem Boden gestampft werden müssen, ohne ein Mindestmaß an Transparenz und Bürgerbeteiligung.“