Hamburg . Innenbehörde spricht von Notmaßnahme und schickt Staatsrat. 300 neue Flüchtlinge in einer Nacht. Empörung auch in Altona und Duvenstedt.
Die Lage um die Flüchtlingsunterkünfte spitzt sich dramatisch zu: Allein in der Nacht zum Freitag kamen 298 neue Flüchtlinge nach Hamburg. So viele wie noch nie. Im Schnitt des Monats Juli waren es täglich an die 200. Im gesamten Monat Mai waren es 800 gewesen – also nicht einmal 30 pro Tag. Schon 820 Neuankömmlinge leben zurzeit in Zelten. Die Behörden kommen mit dem Aufbau der Unterkünfte einfach nicht mehr hinterher, geschweige denn mit der Information der Anwohner und der Kommunalpolitik. Was den Unmut in der Bevölkerung wachsen lässt.
Es war schon fast Abend, als die Wagen des Deutschen Roten Kreuzes am Donnerstag am Jenfelder Moorpark vorfuhren. Zunächst reagierten die Nachbarn neugierig, dann fassungslos. Denn die Helfer begannen, große Zelte für eine neue Flüchtlingsunterkunft abzuladen. Etwa 40 Jenfelder postierten sich daraufhin im Eingangsbereich der Grünfläche und blockierten die Zufahrt. Es kam zu lautstarken Diskussionen. Die aufgebrachten Anwohner beklagten, dass sie nicht über die Pläne informiert worden waren. Die Polizei wurde gerufen. Gegen 21 Uhr entschloss sich das DRK, die Errichtung der Zeltstadt vorerst abzubrechen.
Der wachsende Zustrom von Flüchtlingen zwingt die Stadt Hamburg zu Notmaßnahmen. Die Kapazitäten der Erstaufnahme-Stellen sind nach Angaben der Innenbehörde vom Freitag komplett erschöpft. Allein in der Nacht zum Freitag seien 298 neue Flüchtlinge in der Hansestadt angekommen, sagte Behördensprecher Frank Reschreiter. „Das ist ein neuer Tagesrekord.“ Bislang lag die Zahl der ankommenden Flüchtlinge bei etwa 150-200 am Tag. Alle Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen seien belegt, auch die Puffer aufgebraucht. „Wir müssen jede mögliche Anlage zu schnell wie möglich in Betrieb nehmen “, so Reschreiter. Noch am Sonnabend sollen 25 weitere Zelte auf dem Gelände der Erstunterbringung an der Schnackenburgsallee in Bahrenfeld aufgestellt werden.
Jenfelder waren nicht informiert worden
Erst am Donnerstagvormittag habe nach Angaben des Sprechers eine abschließende Besichtigung des Geländes am Jenfelder Moorpark stattgefunden. Nachdem das Gelände als geeignet erklärt worden war, entschlossen sich die Verantwortlichen sofort zu handeln und 50 Zelte für 800 Flüchtlinge aufzubauen. Außerdem sollen 30 Sanitär-Container, 20 Verwaltungscontainer und vier weitere für Wachpersonal, Waschmaschinen und Kühlung aufgestellt werden. „In solchen Fällen können wir nur noch parallel informieren“, sagte Behördensprecher Reschreiter. Laut einer Sprecherin des Bezirksamts Wandsbek ist eine Informationsveranstaltung für nächste Woche geplant. Voraussichtlicher Termin ist der 16. Juli.
Noch am Freitag startete ein zweiter Versuch, die Zelte auf der Grünfläche zwischen den Einfamilienhäusern aufzubauen. Nach Angaben der Innenbehörde war Staatsrat Bernd Krösser nach Jenfeld gefahren, um mit den empörten Anwohner zu sprechen. Angedacht ist zudem, Handzettel mit Informationen über die Notunterbringung zu verteilen. "Im Moment ist die Stimmung ruhig. Wir machen unsere Arbeit", sagte DRK-Sprecher Rainer Barthel. Etwa 100 ehrenamtliche Helfer sind im Einsatz, bis zum Abend sollte die neue Zeltstadt stehen.
Politik wirbt um Verständnis
Die beiden Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (GRÜNE) erklären zum Aufbau der Unterkunft Jenfelder Moorpark: "Wir bitten für die sehr kurzfristige Einrichtung dieser Unterkunft um Verständnis. Die stark gestiegenen Zugangszahlen von aktuell teilweise deutlich über 200 Flüchtlingen täglich führen zwingend in diesen Tagen leider auch zu zahlreichen Notmaßnahmen, um eine ansonsten drohende Obdachlosigkeit der Flüchtlinge zu vermeiden. Es bleibt dabei: Wenn sich die Lage nicht entspannt, wovon wir leider nicht ausgehen können, wird es in den nächsten Monaten und Jahren noch zahlreiche zusätzliche Unterkünfte geben müssen, überall in der Stadt, in allen Stadtteilen."
Derzeit leben 820 Asylbewerber in Zelten
Im ersten Halbjahr 2015 musste die Hansestadt 5725 Flüchtlinge unterbringen, mehr als im gesamten Jahr 2014. 38 neue Unterkünfte sind in Planung, noch fehlen der Hansestadt jedoch 3000 Plätze für die Unterbringung. Am Dienstag vergangener Woche hätten bereits 820 Asylbewerber an vier Standorten unter Zeltplanen gelebt, hieß es auch der Innenbehörde. Offenbar läuft die Weiterverteilung von Hamburg in andere Bundesländer zudem sehr schleppend. Die Stadt Hamburg hat 180 Zelte beim DRK bestellt, um 2000 weitere Flüchtlingen unterzubringen. Verschiedene Flächen sind bereits in der Planung, darunter auch der Parkplatz des ehemaligen Informatik-Geländes an der Voigt-Kölln-Straße nahe des Niendorfer Geheges. "Dort kann es sofort losgehen", sagte Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke (SPD) dem Abendblatt. Ob vorher eine Anwohner-Information stattfinden könne, hänge von der Dringlichkeit der Maßnahme ab.
Auf dem Gelände der Stadtteilschule Langenhorn am Grellkamp, deren Betrieb mit dem Schuljahrsende am kommenden Mittwoch ausläuft, sollen 550 Flüchtlinge untergebracht werden, darunter 400 in dem leeren Schulbau. Auch hierbei handelt es sich um eine Erstunterbringung.
Duvenstedter kritisieren Unterbringung am Tangstedter Weg
In Duvenstedt ist ebenfalls ein weiteres Flüchtlingsheim geplant, das bislang nicht in den öffentlichen Verzeichnissen auftaucht. Am Tangstedter Weg 57 soll nach den Vorstellungen der Sozialbehörde und „Fördern und Wohnen“ eine Folgeunterbringung für 200 Menschen entstehen, In der Nachbarschaft regt sich Widerstand. „Wir sind überfahren worden“, sagt Anwohner Jörg van Senden. Aus seiner Sicht ist die Fläche ungeeignet. Er kritisiert auch, die Größe der Einrichtung im Vergleich zu 230 Familien im direkten Umfeld. Nach Angaben von Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff (SPD) ist die Fläche ausreichend geprüft worden, auch eine öffentliche Info-Veranstaltung habe stattgefunden.
In der Notkestraße sollen 660 weitere Plätze entstehen
Im Bezirk Altona führt die Eile der Behörde jetzt ebenfalls zu Verstimmung. So soll in der Notkestraße in Bahrenfeld auf einem alten Parkplatz des Technischen Hilfswerks eine Unterkunft für 660 Flüchtlinge aufgebaut werden. In einem Stadtteil, in dem es jetzt schon mit der Zentralen Erstaufnahme in der Schnackenburgsallee und anderen Standorten fast 2000 Plätze gibt.
Üblicherweise gibt die Bezirksversammlung zu solchen neuen Unterkünften erst dann ihr Votum ab, wenn zuvor eine öffentliche Informationsveranstaltung für Anwohner stattgefunden hat. „Da kommen immer noch gute Ideen und Anregungen“, sagt der CDU-Sozialpolitiker Andreas Grutzeck. Wegen der Sommerferien wäre eine solche Veranstaltung aber erst Ende August möglich. Doch einen Antrag der Bezirkspolitik auf eine Aufschub um sechs Wochen lehnt die Sozialbehörde jetzt ab – was CDU-Politiker Grutzeck verärgert. Bisher sei trotz der großen Zahlen das Bürger-Engagement für Flüchtlinge in Bahrenfeld „vorbildlich“. Grutzeck: „Leichtsinnig diese gute Stimmung nun für sechs Wochen Zeitgewinn aufs Spiel zusetzen.“ Zumal die Sozialbehörde für andere, längst bekannte und geeignete Areale in Altona bis zu zwei Jahre benötigte, um sie zu realisieren.
Blankeneser drohen mit Klage – wollen aber auch helfen
Anwohner einer in Blankenese geplanten öffentlichen Unterkunft drohen jetzt mit einer Klage. Man werde das Vorgehen des Bauherren nicht akzeptieren, heißt es in einem Schreiben eines Anwaltsbüros an den Bezirk Altona. Allerdings zielt das Schreiben nicht direkt auf die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern, vielmehr verweist der beauftragte Jurist darauf, dass die geplante Unterkunft am Björnsonweg im Außenbereich liege. Und dort sei nur eine Einrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber zulässig, nicht aber für Wohnungslose, die dort ebenfalls untergebracht werden könnten.
Hintergrund ist ein Streit um die Größe der künftigen Unterkunft. In einer ersten Information des Bezirks war von etwa 90 Plätzen die Rede, die in der kleinen Sackgasse am Waldrand unterkommen könnten. Jetzt geht der Plan von knapp 200 Menschen aus.
Rund 100 Anwohner dort sind in einer Initiative zusammengeschlossen, die dem Bezirk ein detailliertes Angebot zur Unterstützung der Flüchtlinge vorgelegt hatte – verbunden aber mit der Forderung, dass die Unterkunft kleiner ausfallen müsse. „Sonst kann Integration nicht funktionieren“, so ein Initiativen-Sprecher. Doch die Bezirksversammlung lehnte eine Reduzierung ab. Man habe die ausgestreckte Hand abgeschlagen, so der Sprecher, der betonte, das Schreiben sei von einem einzelnen Anwohner, nicht von der Initiative aus beauftragt worden. „Unser Angebot bleibt auch weiter bestehen.“