Hamburg. Ein Hamburger Pilotprojekt ermöglicht es 180 Jugendlichen aus Krisenregionen, in Betriebe hineinzuschnuppern.

Er hat sechs Monate gebraucht. Von Eritrea über Libyen, das sich teilweise schon in den Händen der IS-Terroristen befindet, bis nach Hamburg. „Mein Onkel hat mir das Geld für die Flucht gegeben“, sagt Robel Tesfay. Die genaue Summe will der 18-Jährige nicht nennen, aber die Schlepper, die die Flüchtlinge nach Europa lotsen, verlangen in der Regel einige Tausend Euro. „In Libyen konnte ich oft nur einmal am Tag essen“, sagt Tesfay. Duschen und Körperpflege waren auch kaum möglich. Jetzt ist er in Hamburg, lebt sicher in einer Jugendwohnung.

Die Reise nach Libyen war gefährlich. „Angesichts des ungelösten Grenzstreits zwischen Äthiopien und Eritrea und des andauernden Grenzkonflikts mit Dschibuti bleibt die politische Lage angespannt. Vor Reisen in das Grenzgebiet zu Äthiopien und zu Dschibuti wird daher gewarnt“, beschreibt das Auswärtige Amt die Lage in Eritrea. Nach Uno-Angaben sind schon mehr als 360.000 Menschen nach Europa gekommen. Die meisten flüchten vor gefährlichen Milizen. Tesfay, der zehn Jahre lang die Schule besucht hat, hätte in den Wirren des Bürgerkriegs in seinem Heimatland vermutlich nie eine adäquate Ausbildung bekommen. Der Jugendliche ist clever, spricht bereits die deutsche Sprache.

Auch Merhawi Zerisenay ist mit Unterstützung seiner Verwandten geflohen. Neun lange Monate war er unterwegs, ehe er in Hamburg ankam, in einer Stadt, die rein gar nichts mit seiner früheren ländlichen Umgebung gemein hat. Erst in der Hansestadt lernten sich die beiden Alleinreisenden kennen. Über ihre Flucht sprechen sie nicht gern. Zu viel ist in den Monaten der Reise geschehen. Auch viel Schreckliches, über das keiner reden möchte. Dennoch hatten sie Glück. Sie sind angekommen in Europa, gehen sogar in Hamburg auf die Schule und lernen die deutsche Sprache.

Ob sie viel mit der neuen Sprache anfangen und in der Hansestadt Fuß fassen können? Das ist ungewiss, denn laut Gesetz darf selbst der schlaueste Asylbewerber nach und während der Schulzeit nur in Ausnahmefällen arbeiten. Für allein reisende Jugendliche gibt es jetzt zumindest in Hamburg eine Ausnahme. Das Pilotprojekt Dualisierte Ausbildungsvorbereitung für Migranten (AV-M) erlaubt es, minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, eine der zurzeit vier ausgewählten Schulen in der Stadt zu besuchen, die Praktika bei Hamburger Unternehmen vermitteln. Wer das Glück hat, in diese Maßnahme aufgenommen zu werden, geht jede Woche nur an drei Tagen zur Schule, zwei Tage arbeitet er in seinem Praktikumsbetrieb. Die beiden Eritreer machen ihr Praktikum bei den Elbtischlern in Stellingen. „Eigentlich ist in dem Projekt nur ein Schüler pro Betrieb vorgesehen, aber zu uns kam plötzlich ein zweiter Junge“, sagt Boris Breiding, einer der beiden Eigentümer der Tischlerei. Er und sein Werkstattchef Jérémie Klockenbring haben sich der beiden angenommen.

„Ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich einen von beiden nach dem Schulabschluss ausbilden könnte“, sagt Breiding. Nach einer Lehre dürfen junge Asylbewerber in Deutschland zurzeit laut Gesetz jedoch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen arbeiten. Während Zerisenay noch weiter in der Schule Deutsch lernt, ist Tesfay im Sommer fertig. Ob beide tatsächlich bleiben und auch arbeiten dürfen, ist unklar. Das ist ein großer Nachteil, da dem Arbeitsmarkt gerade im handwerklichen Bereich so qualifizierte und motivierte Kräfte verloren gehen, meint Elmar Wind, Schulleiter der Hamburger Schule G 12, in der die beiden Jungen lernen.

Handwerkspräsident setzt sich für begrenztes Bleiberecht ein

Auch die deutsche Wirtschaft ist an den jungen, oft gebildeten Flüchtlingen sehr interessiert. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) fordert deshalb ein begrenztes Bleiberecht für ausbildungswillige Flüchtlinge sowie andere Erleichterungen. „Unter ihnen sind sehr viele mit guter Schulbildung, zum Beispiel aus dem Irak und Syrien, und viele, die großes praktisches Geschick haben“, sagt der Handwerkspräsident. Er forderte schon im vergangenen Jahr ein Bleiberecht für ausbildungswillige Flüchtlinge und es tut sich etwas. Jugendliche dürfen unter bestimmten Voraussetzungen nach 15 Monaten in Deutschland arbeiten. Wenn sie eine Ausbildung beginnen, können sie für die Zeit der Lehre, das heißt in der Regel drei Jahre, in Deutschland bleiben.

Das neue Projekt Ausbildungsvorbereitung für Migranten, das die Schule und Arbeit verzahnt, ist laut Schulleiter Wind ein Erfolg versprechender Anfang. Im Rahmen des dreijährigen Projektes erhalten zurzeit rund 180 neu zugewanderte junge Flüchtlinge Einblicke in Hamburger Firmen. Sie erlernen neben der Ausbildung in der Berufsschule auch im betrieblichen Kontext die deutsche Sprache. Der Zuwachs der sprachlichen Kompetenzen ist dabei in den Unternehmen besonders groß.

„Die mitgebrachten formalen Qualifizierungen und informell erworbenen Kompetenzen der zugewanderten Jugendlichen bilden die Grundlage für weitere Integrationsprozesse“, heißt es in der Beschreibung des Projekts. Mentoren sollen laut Hartmut Sturm, dem Leiter des Projekts, die Schüler, falls notwendig, begleiten. Sie helfen bei sprachlichen Problemen oder bei der Bewerbung im Betrieb, begleiten die Schüler zum Bewerbungsgespräch und stehen auch bei vielen privaten Fragen zur Verfügung.

Robel Tesfay könnte sich eine Laufbahn als Tischler vorstellen

Tesfay und Zerisenay haben von der praktischen Ausbildung profitiert. Tesfay hat sogar Gefallen an dem Beruf des Tischlers gefunden. Eine Chance, die sich den beiden jungen Männern nur dadurch eröffnet hat, dass sie einen von den begrenzten Plätzen im dem Projekt bekommen haben.