FDP-Politiker kritisiert, dass Behörden nichts über den Verbleib der Minderjährigen wissen. Polizist plädiert für europaweites Erfassungssystem.
Hamburg. Im vergangenen Jahr sind 131 junge Flüchtlinge, die unter staatlicher Obhut standen, untergetaucht. Die Inobhutnahmen der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge seien beendet worden, „weil die Betreffenden den KJND (Kinder- und Jugendnotdienst, Anm. d. Red.) verlassen hatten und auch mithilfe der Polizei nicht auffindbar waren“, heißt es in einer Senatsantwort auf eine Anfrage von Finn Ole Ritter (FDP). Es sei davon auszugehen, „dass sie an einen anderen Ort in Deutschland oder Europa weitergereist sind“.
„Weder KJND noch Polizei scheinen Erkenntnisse über ihren weiteren Verbleib zu haben“, sagte der FDP-Familienpolitiker. „Das ist inakzeptabel. Was unternehmen Innen- und Sozialsenator, um die abgetauchten Jugendlichen vor dem Abdriften in Kriminalität oder Drogenmissbrauch zu bewahren? Wo bleibt die Vermittlung von Deutschkenntnissen oder die der Werte und Normen unserer freiheitlichen Gesellschaft“, so Ritter weiter.
Bei der Polizei ist das Problem bekannt. „Diese Jugendlichen haben keine Scheu, Grenzen zu überwinden. Wenn es ihnen irgendwo nicht gefällt, dann wechseln sie die Stadt, zur Not zu Fuß. Persönliche Bindungen, die sie halten würden, haben sie nicht“, sagte der Landesjugendbeauftragte der Polizei und Chef des Fachstabs 3 im Landeskriminalamt, Reinhold Thiede. „Wir haben immer wieder Fälle, in denen Minderjährige vom Landesbetrieb Erziehung und Beratung als vermisst gemeldet werden und dann in einem anderen Bundesland im Zusammenhang mit einer Straftat und unter einem anderen Namen aufgegriffen werden.“
„Wenn es ihnen nicht gefällt, wechseln sie die Stadt“
Dass es sich um denselben Jugendlichen handle, könne dann nur anhand der Fingerabdrücke erkannt werden. Thiede plädiert deshalb für ein europaweites Erfassungssystems für diese Jugendlichen, wie es derzeit bereits diskutiert werde. „Als unverwechselbares Merkmal könnte der Fingerabdruck eines einzelnen Fingers gespeichert werden.“
Finn Ole Ritter kritisiert zudem, dass die Einrichtung insbesondere an der Feuerbergstraße zu wenig Personal für die adäquate Betreuung der Kinder und Jugendlichen zur Verfügung hat. „Selbst bei den nicht abgetauchten Jugendlichen ist das Ziel, ihnen täglich zweieinhalb Stunden Unterricht in deutscher Sprache und Kultur zu geben.“ Angesichts der dortigen Personalsituation sei dieses Vorhaben stark gefährdet. „Dort stehen nur dreieinhalb Stellen für Sprach- und Kulturvermittler für über 120 minderjährige Flüchtlinge zur Verfügung.“ Psychologen gebe es für die häufig traumatisierten Flüchtlinge gar keine, bemängelt der Bürgerschaftsabgeordnete.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Verweildauer der jungen Flüchtlingen in den Erstunterkünften. Laut Senatsantwort betrug sie 2013 noch durchschnittlich 3,7 Monate. Im vergangenen Jahr waren es schon viereinhalb Monate. „Dabei sind eigentlich drei Monate vorgesehen“, sagt Ritter. Er fordert den Senat auf, die Probleme zu beheben. „An der Feuerbergstraße, aber auch in den Einrichtungen Eiffestraße, Fuhlsbüttel und Langenhorn müssen endlich menschenwürdige Zustände einkehren. Die vielfach traumatisierten Jugendlichen brauchen Unterstützung und Betreuung statt in beengten Verhältnissen weitgehend sich selbst überlassen zu werden.“ Damit könnte auch möglichen Straftaten vorgebeugt werden.
Thiede relativiert: Die, die Probleme machten, seien nur eine „kleine Gruppe“. Aktuell seien gerade einmal 18 Jugendliche, die in Ersteinrichtungen leben, als Intensivtäter bei der Polizei erfasst. 22 werden als „Obachttäter“ geführt, weil sie mit Gewaltdelikten auffielen. „Die Zahlen ändern sich ständig, da die Polizei regelmäßig überprüft, ob auffällige Jugendliche in den besonderen Fokus der Polizei und anderen Behörden gestellt werden müssen“, sagt Thiede. Angesichts von mehr als 800 Minderjährigen in Ersteinrichtungen sei diese Quote nicht ungewöhnlich und entspreche der bei in Deutschland sozialisierten Jugendlichen. Die Masse sei jedoch nicht auffällig. Im Gegenteil: „Sie sind lernfähig, wollen zur Schule gehen, wollen sich integrieren.“