Hamburg . Genießen Sie einen 360-Grad-Blick in den Kleinen Saal des Konzerthauses. Er ist holzvertäfelt, variabel bestuhlbar.
Es lärmt, es staubt, und man wartet eine gefühlte Ewigkeit auf den Fahrstuhl ins 10. Obergeschoss. Die reichlich vorhandenen Bauarbeiter kennen offenbar sehr brauchbare Tricks, um für sich und ihren reichlich vorhandenen Baustellenkram ungebremste Vorfahrt zu organisieren. Anders ausgedrückt: Besser könnte es gerade kaum laufen.
Auf, an und vor allem in der Elbphilharmonie wird momentan gebaut, als gäbe es kein Morgen mehr, als hätten die Verantwortlichen in der Hamburger Politik den monatelangen Stillstand und den für die ganze Stadt hochnotpeinlichen Kleinkrieg um Schuld und Kosten in den dunklen Krisenjahren vor der Neuordnung der Vertragskonstruktion nur angstschweißgebadet geträumt. Während der Countdown zum geplanten Eröffnungstermin im Januar 2017 des neuen Konzerthauses metronomartig fortschreitet und die Vorfreude mit sich zieht, nähert sich jetzt in ziemlich naher Nachbarschaft zum Großen Saal auch der Kleine Saal als Gegenstück seiner Fertigstellung.
Der Kleine Saal ist zweischalig gebaut, er lagert auf 56 Federelementen
Auf den ersten Blick ist dieser Saal total anders, auf den zweiten, wenn man das Prinzip genauer betrachtet, nur noch teilweise. 460 Quadratmeter Fläche, 30 Meter lang, 14,6 Meter breit, zehn Meter hoch. Markantestes Merkmal ist die raffinierte Holzvertäfelung im schuhschachtelartigen Raum: eine Klangtapete aus französischer Eiche, die Wellenoberflächen wurden aus den massiven Brettern herausgefräst. Ein freundlicher, warmer, nicht ranschmeißerisch heller Farbton, auf insgesamt 860 Quadratmeter verteilt. Von wegen Furnier auf gehobenem Baumarkt-Niveau wie in anderen Sälen, die eher mit Material von der Stange ausstaffiert wurden. Wenn schon, denn schon. Weltarchitektur, im Großen wie im Kleinen.
Das Gestaltungsprinzip ähnelt dem der individuell miniaturgewellten Gipsplatten, die im Großen Saal die „Weiße Haut“ bilden. Doch hier gelten ganz andere akustische Spielregeln und Notwendigkeiten als in dem ungleich radikaleren Weinberg-Design à la Berliner Philharmonie, das unter dem großen Reflektor Platz für 2150 Plätze bietet. Deswegen hat der Elbphilharmonie-Akustiker Yasuhisa Toyota für den Kleinen Saal auch auf den Test seiner Berechnungen in einem 1:10-Modell verzichtet.
Das heißt allerdings nicht, dass dieser Raum nicht seine Tücken und seine maßgeschneiderten Spezialanfertigungen hätte. Wie sein großer Cousin ist er zweischalig gebaut, er lagert auf insgesamt 56 Federelementen, um akustisch vom Rest des Konzerthaus-Geschehens und des Hotelbetriebs entkoppelt zu sein, die sich unmittelbar auf den anderen Seiten der Außenwände abspielen. Nicholas Lyons, Projektleiter Künstlerische Oberleitung von Herzog & de Meuron, spricht bei Groß und Klein sogar von zwei „Erlebniswelten“. Um den Besuchern vor dem Betreten des Kleinen Saals zu verdeutlichen, wo sie sind, soll die Holz-Optik im Inneren bereits im Foyer erkennbar gemacht werden.
Auch der Fußboden und der obere, noch unbeholzte Teil der Wände, hoch bis an die Decke, von der schon bald knapp 200 dezente, formschöne Leuchten leuchten werden – alles Ton in Ton Eiche französisch, aber deswegen noch lange nicht rustikal. Und die Raffinesse der Lüftung erst, die auch zu funktionieren hat, wenn sich die Nutzungssituationen und die Luftfeuchtigkeit ändern sollten? Die wird Generationen von Konzertsaalbe- und Entlüftungstechnik-Fetischisten Tränen des Glücks in die Augen treiben.
Die Unterscheidung bei den Funktionen und der Atmosphäre setzt sich beim Sitzmobiliar fort. Der Kleine Saal hat kein eindeutiges und fixiertes Bestuhlungsmuster. Maximal 572 Plätze können hier vor der Bühne bereitgestellt werden (zum Vergleich: der Kleine Saal der Laeiszhalle hat 639 festbestuhlte Plätze). In der gegenüberliegenden Wand verbirgt sich eine Teleskoptribüne made in Österreich, mit 17 Steigungen und auf Rollen, die bei Bedarf ausgefahren werden kann, um höhengestaffelte Publikumsreihen zu ermöglichen. Auch sie wird an der Frontseite mit Eichenholzblenden versehen sein, um auf den ersten Blick fast wie eine Wand auszusehen, ohne tatsächlich eine zu sein.
Die Bühne selbst – rund 90 bis maximal 172 Quadratmeter groß – ist ebenfalls nicht auf einen einzigen Zuschnitt beschränkt. Sie verfügt über 18 Hubpodien, die je nach Anlass und auftretender Formation anpassbar sind. Multifunktional ist das Zauberwort. Hier könnten, wenn gewünscht, auch Empfänge oder Festessen stattfinden, als Nachspiel zu Konzerten im Großen Saal beispielsweise. Selbst einen Boxkampf würde man hier zwischen zwei Tribünen hinbekommen, witzelt der Hochtief-Projektleiter Stephan Deußer. Doch dafür ist diese Location natürlich nicht gedacht. Wie es sich für eine Spielstätte gehört, die modernen Anforderungen entspricht, hat der Kleine Saal einen eigenen Backstage-Bereich. Verglichen mit den anachronistischen Zuständen hinter den Kulissen der begehbaren Hochkultur-Antiquität Laeiszhalle der blanke Luxus.
Mit den flächenabdeckenden Intarsienarbeiten im Kleinen Saal wurde im Mai begonnen. Bis Ende dieses Jahres sollen die Bauarbeiten in diesem wichtigen Gebäudeteil abgeschlossen sein. Nächster Schritt vor musikalischen Probeläufen und schließlich der Aufnahme des Bespielungsbetriebs wäre dann die gründliche Trockenübung aller technischen Abläufe: Beleuchtung, Belüftung, das Rein und das Raus, solche Dinge, als Parallelveranstaltung zu den Vorbereitungen, die in größerem Maßstab ebenso im Großen Saal notwendig sind. Anderthalb Jahre noch bis zur Eröffnung. Besser, so scheint es, könnte es gerade kaum laufen.