Hamburg . Gregor Hackmack mischt mit „Mehr Demokratie“, Change.org und Abgeordnetenwatch die Stadt auf. Datenschützer Caspar übt nun Kritik.

So alt ist er noch gar nicht, trotzdem beeinflusst Gregor Hackmack schon seit vielen Jahren als eine Art graue Eminenz die Hamburger Politik wie kaum ein anderer. Der in Hitzacker geborene 37-Jährige ist einer der bekanntesten Mitstreiter des Vereins Mehr Demokratie, der die Hansestadt zu einem Musterland der direkten Demokratie gemacht und ihr ein umstrittenes Zehn-Stimmen-Wahlrecht beschert hat.

Mit seiner Plattform abgeordnetenwatch.de zwingt er Abgeordnete bundesweit, die Fragen aus dem (Internet-)Volk zu beantworten. 2014 zog er mit der Gruppe „Die Kammer sind wir“ ins ehrwürdige Plenum der Handelskammer ein und triezt seither die Ehrbaren Kaufleute mit Forderungen nach mehr Transparenz. Seit kurzem ist der Absolvent der London School of Economics nun auch Deutschland-Chef der weltweit agierenden Petitions-Plattform change.org.

Server in den USA: Datenschützer warnen vor Petitions-Plattformen

Da er sich nach eigenen Angaben überall dort einmischt, wo es um den Kampf für mehr „Beteiligung, Transparenz und Demokratie“ geht, ergeben sich auch schon mal Synergien. So konnte Hackmack jetzt eine Petition seines Vereins Mehr Demokratie gegen die Verfassungsänderung zur Einführung von Referenden so prominent auf change.org platzieren und mithilfe von dessen Netzwerk bewerben, dass sie binnen kürzester Zeit mehr als 50.000 Unterstützer im Internet fand. Zwar kam die Mehrheit davon wohl nicht aus Hamburg, wie Hackmack selbst einräumte, aber mit so einer Zahl lässt sich ja erst einmal gut trommeln.

Nun aber fahren Datenschützer und Politikwissenschaftler dem ebenso selbstbewussten wie wortgewandten Tausendsassa in die politische Parade. Hamburgs Datenschutzbeauftragter Prof. Johannes Caspar etwa hält offenbar nicht viel von Hackmacks Petitionsplattform change.org, deren Server in den USA stehen. „Auch Plattformen wie change.org werfen kritische Fragen hinsichtlich des Umgangs mit den Daten der Nutzer auf“, sagt Caspar. „Transparenz, Datensparsamkeit und das Erfordernis einer informierten und freiwilligen Zustimmung der Nutzer für die Verarbeitung oder Weitergabe der Daten sind hier problematisch. Letztlich werden die Daten der Nutzer als Finanzierungsquelle der Plattform eingesetzt – ähnlich, wie bei den großen US-Internetdienstleistern.“

Da die Daten in den USA verarbeitet würden, müssten sich die Nutzer im Klaren sein, das es dort „keinen vergleichbaren Schutz ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts wie in Europa“ gebe. „Gerade auch für Organisationen wie change.org gilt: Der gute Zweck rechtfertigt nicht den beliebigen Umgang mit den Daten.“

Große Teile der Gesellschaft unterrepräsentiert

Auch Politikwissenschaftler Prof. Kai-Uwe Schnapp hat Probleme mit Unterschriften-Sammelseiten wie change.org „Ich halte solche Petitions-Plattformen für problematisch. Man weiß nicht wirklich, wer dahinter steht“, sagte Schnapp dem Abendblatt. „Oft ist es eine nur kleine Gruppe, eine Handvoll Aktivisten, die dort einen großen Einfluss bekommt. Das Ganze erscheint mir oftmals nicht transparent genug.“

Wenn man dort einmal mitmache, bekomme man immer wieder neue Aufforderungen, irgendetwas zu unterschreiben. „Aus demokratietheoretischer Sicht halte ich das für schwierig. Denn solche Petitionen sind ja nicht repräsentativ, sie vermitteln sich vor allem über die digitale Technik“, sagt der Politikwissenschaftler. „Dabei entstehen auch große Ungleichgewichte. Dort nehmen meist Menschen teil, die überdurchschnittlich gut gebildet sind, mehr verdienen als der Durchschnitt und, wenn man es global betrachtet, vorrangig aus Industrieländern kommen – außerdem deutlich mehr Männer als Frauen. Damit sind große Teile der Bevölkerung unterrepräsentiert.“

Das Ziel der politischen Gleichheit werde so eher untergraben als befördert. „Diese Entwicklung wird durch die Digitalisierung noch forciert. Ein ähnliches Problem haben wir mit allen Formen der direkten Demokratie“, so Schnapp. „Ich plädiere dafür, dass wir die dunklen Seiten erweiterter Beteiligungsformen – von E-Petition bis Volksinitiative und Volksentscheid – bei der Debatte künftig stärker mit in den Blick nehmen.“

Daten sind längst auch der Rohstoff für erfolgreiche politische Kampagnen

Tatsächlich sind viele außerparlamentarische Aktivisten den Parteien in Mobilisierung und Kampagnenführung mittlerweile weit voraus. „Das ist eine neue Qualität der Mobilisierung von Initiativen, die die Gewichte wieder ein Stück zuungunsten der Parlamente verschiebt“, sagt der Politikwissenschaftler Prof. Elmar Wiesendahl. „Die Mobilisierung von Vereinen wie Mehr Demokratie hat zwar noch nicht die Qualität wie etwa die Obama-Kampagne, die drei Millionen Unterstützer im Netz sammeln konnte. Wir sind aber womöglich auf dem Weg dorthin.“

Die Parteien hierzulande arbeiteten verglichen mit den USA und mit den hiesigen Initiativen „fast noch auf archaische Weise“, sagt Wiesendahl. „Sie sind bis zu 20 Jahre in der Entwicklung zurück. Die alten politischen Kräfte werden durch die neuen immer stärker abgehängt.“ Hinzukomme, dass das Vertrauen in Politik geringer geworden sei. „Das Internet beschleunigt diese Entwicklung und stärkt die neuen Kräfte“, so der Parteienforscher. „Wenn die Parteien nicht schneller reagieren, werden sie noch mehr Probleme bekommen, als sie schon haben.“

Tatsächlich werden Daten auch immer mehr zum Rohstoff für erfolgreiche politische Kampagnen. So speichert change.org etwa die Namen und Mailadressen der Petitions-Unterzeichner und könnte diese an die Initiatoren weiterreichen – im aktuellen Fall also an "Mehr Demokratie". Das wäre ein kaum zu überschätzender Startvorteil für Volksinitiativen. So können Zehntausende Menschen zu Beginn einer Kampagne um Offline-Unterstützung in Form echter Unterschriften oder der aktiven Beteiligung an Sammelaktionen gebeten werden. Change.org-Chef Hackmack bestreitet zwar, dass Mailadressen direkt an Initiativen weitergegeben würden. Allerdings könnten diese „Updates“ schreiben, die dann an die Petenten weitergeleitet würden - der Zugriff der Initiativen auf die Unterstützer bleibt also bestehen, sobald diese einmal unterzeichnet haben.

Hackmann wehrt sich gegen Kritik

Hackmack selbst kann die Kritik nicht verstehen. „Zwar stehen die Server von Change.org in den USA, wir haben uns aber dem Safe-Harbor-Abkommen unterworfen, also gilt für uns europäisches Datenschutzrecht“, so Hackmack. „Dass das Internet die Kampagnenfähigkeit auch nicht parteipolitisch organisierter Bürger erhöht, führt aus meiner Sicht zu mehr und nicht zu weniger Demokratie.“

Wie mächtig Hackmack und seine Mitstreiter wirklich sind, wird sich auch in den kommenden Monaten erweisen. Wenn es nach „Mehr Demokratie“ geht, soll die Bürgerschaft weiter entmachtet werden.

Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen sollen künftig nur noch nach Bestätigung in einem Volksentscheid gültig sein. Und das Volk soll, trotz des für November 2015 geplanten Referendums, 2018 womöglich noch einmal über Olympia abstimmen. Die beiden dafür nötigen, jetzt angemeldeten Volksentscheide sollen parallel zur Bundestagswahl im September 2017 durchgeführt werden – wenn sich dafür jetzt 10.000 und im Frühjahr 2016 rund 65.000 Unterstützer finden. Mit den Datenbanken von change.org und „Mehr Demokratie“ dürfte das kaum ein Problem sein.

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