Schnelsen. In der A7-Baustelle am Dreieck Hamburg-Nordwest sind seit heute beide Fahrstreifen für Lkw geöffnet – Experten haben große Bedenken.

Rund 155.000 Fahrzeuge täglich. Das A-7-Stück zwischen der Auffahrt Stellingen und dem Dreick Nordwest gehört zu den belastetsten Autobahnteilstücken in Deutschland. Und zu den anspruchsvollsten, weil auf dem relativ kurzen Teilstück viele Fahrzeuge, Pkw wie Lkw, die Spur wechseln müssen – je nachdem, ob sie über die A 23 nach Heide oder über die A 7 in Richtung Flensburg wollen.

Die ohnehin schwierige Situation wird nun noch komplizierter, weil seit einigen Wochen in nördlicher Richtung kurz hinter dem Dreieck Nordwest die Arbeiten für die Erneuerung der A 7 begonnen haben. „Die unumstößliche Vorgabe war, dass während der gesamten Bauzeit die Zahl der bisherigen vier Fahrbahnen aufrechterhalten werden muss“, sagte Hamburgs Verkehrskoordinator Gerhard Fuchs.

Deshalb wurde die in Richtung Norden führende A-7-Trasse kurz hinter dem Dreick Nordwest „geteilt“. Eine Spur bleibt rechts, die andere wird nach links auf die gegenüberliegende Fahrbahn verschwenkt. „Mit anderen Worten: Der bisherige Standstreifen der in Richtung Süden führenden A-7-Trasse wird genutzt“, sagt Fuchs.

Die Lösung sei vorher mit allen Verkehrsplanern, Sicherheitsbehörden und Bauunternehmen abgestimmt worden, sagt der Verkehrskoordinator, räumt aber nun ein: „Wir haben die Situation unterschätzt.“ Was ist passiert? Seit einigen Wochen sei zu beobachten, dass sich auf der rechten Fahrbahn – besonders in der Rushhour an Werktagen – die Lastkraftwagen stauten.

Als Hauptgrund für die kilometerlangen Staus haben die Experten von Wirtschaftsbehörde, Bundesunternehmen Deges und Baukonsortium das Rechtsfahrgebot für Lastkraftwagen ausgemacht. Die Vorschriften legen fest, dass Lkw auf Autobahnen in Bereichen von Baustellen lediglich die rechte Spur nutzen dürfen – auch wenn, wie auf der A 7 beobachtet, ein „nennenswerter Lkw-Anteil“ vorschriftswidrig bereits die linke Spur nutzt.

Das Problem wird verschärft, da aus Sicherheitsgründen im Elbtunnel eine Spur gesperrt werden muss, wenn der Stau bis an den nördlichen Ausgang heranreicht. „Die Spur ist nötig, damit Rettungsfahrzeuge an jeden Ort im Tunnel gelangen können“, sagt Fuchs. Der Stau „springe“ dann über die Elbe nach Süden, erstrecke sich teilweise bis Heimfeld und behindere damit auch die Zu- und die Abfahrt zum Hafen.

Gerhard Fuchs spricht von einer „Lkw-Wand“ und davon, dass infolge der Staus die Klagen der Transportunternehmen zugenommen haben. Aus Sicht der Experten kommt hinzu, dass bei der Verkehrssicherheit „ernstzunehmende Probleme“ auftreten. So sei die transportable Leitplanke, die auf der südlich führenden Trasse die Fahrzeuge trenne, nicht für den Aufprall eines Lastkraftwagens geeignet.

Experten heben das Rechtsfahrgebot für Lastkraftwagen testweise auf

Mit einer in Deutschland bislang einzigartigen Regelung wollen die Verantwortlichen jetzt den Lkw-Staus begegnen und den Verkehrsfluss verbessern. „Von Freitag an werden wir im Bereich der Baustelle kurz hinter dem Dreieck Nordwest testweise das Rechtsfahrgebot für Lkw aufheben“, sagt Fuchs. Zwischen 6 und 20 Uhr dürften die Laster dann die linke Spur nutzen. Der Versuch ist zunächst bis zum 4. Juni befristet.

Dann werde geklärt, ob diese Maßnahme etwas gebracht habe und bis zum Ende der geplanten Bauzeit im September fortgesetzt werde, sagt Fuchs. Prof. Justin Geistefeld von der Ruhr-Universität Bochum begleite den Versuch aus wissenschaftlicher Sicht. „Seine Messgeräte stehen schon, und man wird sehen, ob sich der Verkehrsfluss wirklich verändert, und welche Verkehrsteilnehmer welche Fahrbahn verwenden.“ Geplant ist auch, den Abschnitt per Video zu überwachen. „Dann können wir uns lückenlos die Verflechtungsvorgänge anschauen.“

Die Idee ist allerdings nicht ohne Risiko. Auch wenn er den Ansatz für sinnvoll hält, verhehlt Carsten Willms vom ADAC Hansa nicht seine Sorge. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust.“ Es sei „ausgesprochen mutig“, das Problem so anzugehen. „Im Amerika, wo auf der Autobahn jede Spur genutzt werden kann, ist es gelernt, dass man als Pkw-Fahrer links von einem Lastkraftwagen überholt wird. In Deutschland allerdings nicht.“ Willms verweist zudem auf die „deutsche Verkehrskultur“ des Recht-haben-Wollens.

Auch Gerhard Fuchs weiß um das „große psychologische“ Problem. „Dass sich auf einer Autobahn ein Lkw von links kommend einfädelt, dürfte für viele Autofahrer ungewohnt sein.“ Vor allem die sogenannte „Rückverschwenkung“ am Ende der Baustelle bereite den Experten Sorge. Die auf der linken Spur fahrenden Lkw hätten dort lediglich zwischen 400 und 500 Meter Platz, um auf die rechte Spur (zurück)wechseln zu können. „So ein Spurwechsel ist aber heikel und schwierig, weil Lastkraftwagen einen größeren toten Winkel haben.“

Insofern sind die Experten sich nicht sicher, ob die jetzt geplante Maßnahme am Ende wirklich zu einem Erfolg führt. „Der Spurwechsel kostet Leistung und kann auf der rechten Spur weiteren Rückstau erzeugen“, sagt Fuchs. Zudem ist so ein Vorgang aus Sicht der Verkehrssicherheit mit einem Restrisiko verbunden. „Sollte es während der Testphase zu einem schweren Unfall kommen, wird der Versuch sofort abgebrochen“, verspricht der Verkehrskoordinator.

Um das Risiko für die Verkehrsteilnehmer so gering wie möglich zu halten, werden bis zum Teststart die Verkehrsschilder überarbeitet. „Bislang interpretierten viele Autofahrer die Schilder so, dass die linke Spur gesperrt ist und wechselten auf die rechte Spur“, sagt Fuchs. Dadurch aber wurde der Stau noch länger.

Verstärkte Geschwindigkeitskon­trollen seien zunächst nicht vorgesehen, räumt Fuchs ein. Das liege auch daran, dass Blitzer zusätzlich Stau verursachten. ADAC-Experte Willms plädierte für permanente Geschwindigkeitskontrollen. Fuchs räumt ein, dass man auch mit der geplanten Maßnahme „keine komplett staufreie Baustelle schaffen wird“. Viel wäre erreicht, wenn der Stau künftig nicht mehr bis zum Elbtunnel reichen würde.

Zudem haben die Experten noch einen Pfeil im Köcher. „In anderen Bundesländern hat man mit der sogenannten Zuflussregulierung gute Erfahrungen gemacht“, sagt Fuchs. Dann regelt eine Ampel, wie viele Autos auf eine Autobahn auffahren dürfen.