Hamburg. Am Dienstag soll gegen den Ausstand der Erzieher protestiert werden. Viele berufstätige Eltern sind mit ihren Kräften am Ende.

Der Morgenkreis fiel aus, stattdessen wurde vorgelesen. Danach durften Ada, Lya, Mara und Ebba in der Puppenecke ausnahmsweise mal ein echtes Baby füttern. Für die vierjährigen Freundinnen und die anderen Kinder der Kaifu-Kita in Eimsbüttel hat der Streik der Erzieher durchaus spannende Nebenwirkungen.

Weil es in dieser Einrichtung der Elbkinder Vereinigung keine Notbetreuung gibt, haben Eltern die Betreuung selbst übernommen: abwechselnd, von 8 bis 15 Uhr, sind sechs von ihnen für rund 20 Kinder da, die weder zu Hause noch bei Oma und Opa bleiben können. Während das Kita-Personal für mehr Lohn und eine höhere Wertschätzung auf die Straße geht, gehen die berufstätigen Eltern mittlerweile auf dem Zahnfleisch. Die Petition haben sie alle unterschreiben. Aber ihre anfängliche Solidarität mit den Streikenden ist mittlerweile Ärger und Verzweiflung gewichen.

„Es ist eine total beschissene Situation“, sagt Architektin Wiebke Jacobsen, die heute bei der Kinder-Betreuung mitmacht. Anders als bei den meisten anderen berufstätigen Müttern sitzt ihr glücklicherweise kein Arbeitgeber im Nacken. Sie ist noch in der Elternzeit, musste aber ihre elf Monate alte Tochter Helle mitbringen. Die genießt es zwar, von den größeren Mädchen betüdelt und gefüttert zu werden, ihre Mami aber muss sich nicht nur um sie, sondern auch um sechs weitere Vierjährige kümmern, unter ihnen ihre Tochter Ebba. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass jedes Elternteil fünf bis sechs Kinder betreuen kann“, sagt Wiebke Jacobsen. „Bei größerer Nachfrage müssen wir einen Aufnahmestopp verhängen.“

Auch Maike Dreppenstedt, Mutter von Edda, hat sich auf einer der Listen, die in der Kita aushängen, für den heutigen Tag zum Dienst gemeldet. Der freiberuflichen Art Directorin geht ein weiterer Tag verloren, an dem sie eigentlich Geld verdienen müsste. Und nicht nur die Betreuung kostet Zeit, wendet sie ein. „Wir müssen uns ja auch absprechen und organisieren – und haben nebenbei noch private Verpflichtungen.“

Richterin legt Steine in den Weg

Die berufstätigen Eltern müssten wegen des Streiks einen enormen Spagat leisten, sagt Rechtsanwältin Bettina Bugus, deren Tochter Lya ebenfalls in die Kaifu-Kita geht. „Mein Terminkalender ist voller Gerichtstermine. Aber auch ich werde mir einen Tag freischaufeln, damit auch ich mich bei der Betreuung engagieren kann. Schließlich kann ich die anderen Eltern nicht hängen lassen.“

Ein Stein wurde ihr dabei ausgerechnet von einer Hamburger Richterin in den Weg gelegt. Als sie bei ihr mit Hinweis auf den Streik und die fehlende Notbetreuung einen wichtigen Termin bei Gericht verschieben wollte, lehnte die Richterin ab. „Sie fand meine Begründung nicht angemessen. Wir betroffenen Eltern haben offenbar keine Lobby“, sagt Bettina Bugus. Durch den Streik sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr zu leisten. Dabei sei das Recht, einen Beruf ausüben zu können, gleichberechtigt mit dem Streikrecht. „Die Erzieherinnen sollen ihr Recht bekommen. Aber die Arbeitgeber, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaft könnten anders handeln“, sagt sie.

"Muss Arbeit am Abend nachholen"

Auch Christina W., Mutter von Mara, hat eigentlich Verständnis für die Situation der Erzieherinnen. „Ich habe den Beruf erlernt und weiß, dass er nicht genügend wertgeschätzt wird“, sagt die alleinerziehende Mittelstufenlehrerin. Es gäbe viele Forderungen, die von der Eltern unterstützt würden. „Aber jetzt werden wir überstrapaziert.“ Durch die täglich um drei Stunden verkürzte Betreuungszeit (regulär können die Kinder bis 18 Uhr, freitags bis 17 Uhr in der Kita sein), bleibe viel Arbeit liegen. „Die muss ich dann abends nachholen“, sagt sie. „Das geht an die Substanz.“

Auch Christina W. wird sich in der kommenden Woche einen Tag um die Kinder kümmern. Da sie nur an vier Tagen unterrichtet, muss sie sich dafür glücklicherweise nicht unentgeltlich freistellen lassen. „Andere Mütter müssen für die Notbetreuung Urlaub nehmen“, weiß sie. Erst gestern sei eine Betroffene in Tränen ausgebrochen, weil sie ihren Jahresurlaub bereits genommen hat. In einer anderen Kita soll eine Mutter bereits um ihren Job fürchten.

Anti-Streik-Demo am Dienstag

Der Ärger, den der Streik für die Eltern bedeutet, könne das Verhältnis zu Kita-Leitung und Erzieherinnen nachhaltig belasten, befürchtet Andrea G., deren Tochter Ada die Kaifu-Kita besucht. „Vielleicht müssen wir uns am Ende einen Mediator nehmen.“ Die Ankündigung von Ver.di, dass der Streik womöglich bis zu den Sommerferien dauern könne, macht den Müttern Angst. „Eine Woche können wir noch überbrücken, dann sind wir mit unserer Kraft am Ende“, sagt Wiebke Jacobsen erschöpft. Auch der Landeselternausschuss LEA fordert ein schnelles Streikende und will dafür am kommenden Dienstag, 26. Mai, demonstrieren. Ab 16.30 Uhr soll am Gerhart-Hauptmann-Platz gegen den anhaltenden Tarifstreit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft protestiert werden.

Schon für den morgigen Freitag rufen betroffene Eltern außerdem zu einem "Eltern-Kind-Picknick" im Rathaus auf. Zwischen 9 und 12 Uhr wollen die Teilnehmer auf den Fluren des Hamburger Parlamentsgebäudes ein "Zeichen setzen, damit der Streik ein Ende nimmt", wie es in einer Erklärung heißt.

Und die Kinder? Sie wollen ihre Erzieherinnen zurück. „Jeden Tag andere Leute ist anstrengend“, sagt Mara.