Hamburg/ Bützow. Feuerwehr versuchte während des Unwetters vergeblich, den Freund der werdenden Mutter unter den Dachteilen zu retten. Baby ist gesund.
Sie war im neunten Monat schwanger, stand kurz vor der Entbindung. Mit ihrem Freund, dem werdenden Vater, ging die 25-Jährige an der Großen Elbstraße spazieren. Es war gegen 17 Uhr am Dienstag, bis dahin hatte sich das Wetter von seiner schönsten Seite gezeigt. Doch dann kam die Gewitterfront „Zoran“. So plötzlich, so urgewaltig. Mit Sturmböen von bis zu 120 Kilometer pro Stunde, mit Starkregen und Hagel. Von einer Sekunde auf die andere wurde das Leben der jungen Frau, die im Süden Hamburgs lebt, aus den Angeln gehoben. Noch am Dienstagabend brachte sie einen Sohn zur Welt. Ein Kind, das nun ohne seinen Vater aufwachsen muss, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Welch eine Tragödie.
Als das Unwetter gegen 17 Uhr einsetzt, stellt sich das junge Paar beim Firmengebäude Große Elbstraße 141 unter. Wie sich erst am Mittwoch herausstellte, saßen die beiden doch nicht in ihrem Auto. Der Sturm hebt das 500 Quadratmeter große Dach des Gebäudes an, weht es herunter, die 25-Jährige und ihr Lebensgefährte, 26, werden unter den Trümmern begraben. Passanten können die Frau noch aus der Gefahrenzone ziehen und leisten bis zum Eintreffen des Notarztes Erste Hilfe. Acht Meter von ihr entfernt, für die Feuerwehrleute schwer erreichbar, ist ihr Freund verschüttet worden. „Die Situation war für unsere Leute dramatisch“, sagt Feuerwehrsprecher Thorsten Grams. „Der starke Wind, der sintflutartige Regen, und gleichzeitig drohten noch weitere Dachteile herab-zustürzen.“ Für den 26-Jährigen kommt jede Hilfe zu spät: Die Feuerwehr kann ihn nur noch tot bergen.
Junge ist gesund, Mutter „stabil“
Aber die 25-Jährige lebt, ihr Ungeborenes auch. Mit lebensgefährlichen Verletzungen am Kopf und am Rücken wird sie ins AK Altona eingeliefert und ihr Baby per Not-Kaiserschnitt geholt. Wie aus Polizeikreisen verlautet, sei der neugeborene Junge gesund, der Zustand der Mutter „stabil“. Nun ermittelt die Polizei, warum sich das Vordach plötzlich löste und zu Boden stürzte – und ob Mängel in der Bausubstanz, sofern es sie gab, fahrlässig übersehen wurden. „Das Landeskriminalamt hat unter Einbeziehung eines Bausachverständigen die Ermittlungen übernommen“, sagt Polizeisprecherin Tanja von der Ahé.
Insgesamt hat die Hamburger Feuerwehr bis kurz vor Mitternacht 566 wetterbedingte Einsätze gefahren, 300 waren es allein zwischen 17.15 und 18.45 Uhr. Bäume, die umzustürzen drohten, mussten gesichert, überflutete Keller ausgepumpt, Bahngleise von Ästen befreit werden. In Rahlstedt wurde eine Frau in ihrem Auto von einem umgekippten Baum eingequetscht und musste verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Am Lohbekstieg krachte ein Baum auf ein Einfamilienhaus und sperrte einen Bewohner ein.
Heftiges Unwetter tobt über Hamburg
Schiffe reißen sich los und kollidieren
Auch den Containerhafen erwischte es mit voller Wucht. Die großen Terminals von Eurogate und HHLA am Burchardkai registrierten „weit über einhundert umgestürzte beladene und leere Container“, sagte ein Polizeisprecher. Der Sturm wütete derartig heftig, dass sich fünf bis zu 366 Meter lange Containerfrachter von ihren Liegeplätze losrissen. Am Schiff „Al Qibla“ brachen durch die Böen zwei armdicke Achterleinen. Durch den extremen Winddruck stellte sich das Schiff quer im Waltershofer Hafen, trieb davon und rammte den Frachter „Kuala Lumpur Express“. Beide Schiffe wurden am Bug beschädigt. Zur gleichen Zeit brachen an den Frachtern „Hanjin Gold“, „Bianca Rambow“, MSC „Margarita“ und „Barmbek“ mehrere Leinen. Was gerade verfügbar war und Wasser unterm Kiel hatte – Funkstreifenboote der Wasserschutzpolizei und Schlepper der HPA – wurde zur Unglücksstelle beordert. Alle Frachter konnten durch das Werfen von Notankern und die Hilfe der Wasserschutzpolizei unter Kontrolle gebracht und an ihren Liegeplätzen sicher vertäut werden. An allen Schiffen sei Sachschaden in noch unbekannter Höhe entstanden. Die Wasserschutzpolizei ermittelt.
Feuerwehr hatte Personal verdoppelt
Innerhalb von 24 Stunden bewältigte die Feuerwehr, das normale Tagesgeschäft eingeschlossen, in Hamburg 1400 Einsätze. Üblich sind rund 700 pro Tag. Allerdings hatte sich die Feuerwehr nach Warnungen des Wetterdienstes auf die Lage vorbereitet und am Dienstag das Personal in der Rettungsleitstelle verdoppelt. „Die Tagesschicht ist nicht nach Hause gegangen, zusätzlich hatten wir noch acht Kollegen aus der Freizeit geholt“, sagt Grams. Innerhalb weniger Minuten ging so viel Regen nieder wie sonst in einem Drittel des Monats Mai. Allein in Horn waren es 18,1 Liter pro Quadratmeter. Zeitweise kollabierten die überlasteten Mobilfunknetze. Der Verkehr auf mehreren Fern-, S- und U-Bahnstrecken brach zusammen, weil Bäume auf die Gleise gestürzt waren.
Tornado verwüstet Bützow
„Zoran“ schlug „kurz und hart“ zu, konstatiert Grams. Besonders heftig wütete die Gewitterfront in Bützow (Mecklenburg-Vorpommern). Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes war es ein Tornado, der die 7600-Einwohner-Stadt verwüstete und einen Millionenschaden anrichtete. Durch herumfliegende Teile wurden 30 Menschen leicht verletzt, eine Frau schwer. Im Ortszentrum wurden viele Häuser abgedeckt. Vom Dach der Stiftskirche aus dem 13. Jahrhundert fehlt ein Viertel der Ziegel. Auch das Rathaus wurde schwer beschädigt. Noch in der Nacht wurden drei Häuser wegen akuter Einsturzgefahr evakuiert. In der Innenstadt sei „kein Auto heil“ geblieben, hieß es. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) machte sich am Mittwoch ein Bild von der Lage und sicherte Hilfe des Landes zu, ließ aber offen, in welchem Umfang. „Die Schäden sind riesig“, sagte er. Es sei ein „kleines Wunder, dass nicht mehr passiert ist.“
Achtjähriger Radfahrer schwer verletzt
Betroffen von dem Sturm war auch der Osten Schleswig-Holsteins. In Lübeck gab es 300 wetterbedingte Einsätze, unter anderem stürzte ein Hafenkran auf ein Containerschiff, der Keller des Holstentors lief voll. In Buchholz (Kreis Harburg) wurde ein achtjähriger Junge beim Radfahren von einem herabfallenden Ast am Bein schwer verletzt, in Fredenbeck (Kreis Stade) schlug ein Blitz in ein Reetdachhaus ein und setzte es Brand. Und auf der A 7, Höhe Walsrode, stürzte durch eine Sturmböe ein Lkw auf die Seite und blockierte alle Fahrstreifen. Die A 7 musste bis 21.30 Uhr in Richtung Hamburg voll gesperrt werden.
Die oberste Forstbehörde appelliert an die Hamburger, die Wälder bis zum 18. Mai zu meiden. Der Sturm habe enorme Schäden verursacht, die jetzt behoben werden müssen, hieß es. So könnten jederzeit Kronenteile und Äste aus den Bäumen fallen.