Hamburg/Bützow. In Bützow müsse laut Polizei “erst wieder ein ziviles Leben aufgebaut“ werden. Verletzte Frau bringt Kind in Not-OP auf die Welt.
Es waren nur knapp 20 Minuten, in denen die Natur wie eine unerbittliche Walze rollte. Doch die Schäden werden lange fühlbar bleiben. Gegen 17.10 Uhr erreichte das Tief Zoran mit Starkregen, Hagel und Sturmböen von 100 Stundenkilometern am Dienstag die Region Hamburg.
An der Großen Elbstraße wurde wenig später ein junges Paar von herunterfallenden Trümmerteilen eines Dachs verschüttet – der 26 Jahre alte Fahrer starb, seine schwangere Freundin (25) erlitt schwere Verletzungen. Ärzte der Asklepios Klinik Altona hätten ihr Kind in der Nacht in einer Notoperation auf die Welt geholt. Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen übernommen.
Rund 3000 Rettungskräfte in Hamburg im Einsatz
In ganz Norddeutschland riss das Unwetter Bäume um, überflutete Keller, machte aus einem frühsommerlichen Tag vielerorts ein Drama. Mindestens drei Menschen wurden bis zum späten Abend verletzt. Es seien teilweise bis zu 30 Liter pro Quadratmeter Regen gemessen worden.
"Bis zum Morgen mussten unsere Leute zu 574 wetterbedingten Einsätzen ausrücken", sagte Feuerwehrsprecher Thorsten Grams am Mittwoch. Hinzu kämen die rund 700 Einsätze, die die Feuerwehr Hamburg täglich im Durchschnitt abzuarbeiten habe. Die 400 Kräfte der Berufsfeuerwehr Hamburg seien von 2500 Helfern der Freiwilligen Feuerwehren und dem Technischen Hilfswerk unterstützt worden.
„Wir waren gedanklich schon im Hochsommer, jetzt hetzen wir wie die Flickenschuster von einem Schaden zum Nächsten“, sagt ein Feuerwehrmann, der am frühen Dienstagabend in der Lohbekstraße (Hamburg-Lokstedt) steht. Eine große Fichte ist auf ein Wohnhaus gekippt, zerschmetterte einen Wintergarten im ersten Stock. Mit mehr als 20 Beamten versucht die Feuerwehr, das schwere Gestrüpp mit Muskelkraft aus den Trümmern zu ziehen. Der Eigentümer ist im Inneren eingesperrt und presst sein Gesicht an das Küchenfenster, der Blick bange.
„Er ist eine Minute vorher aus dem Wintergarten raus, mein Gott ...“, sagt seine Frau, die beim Eintreffen des Sturms bei einer Freundin war. Bereits der letzte Wintersturm hatte das Wurzelreich aufgelockert, wie an vielen Stellen in der Stadt. Zoran ließ die Bäume nun fallen wie Dominosteine, in kürzester Zeit. An der Sieker Landstraße in Rahlstedt wird eine Autofahrererin am gestrigen Nachmittag von einem umfallenden Baum eingequetscht und erleidet Verletzungen. Die Gleise der U-Bahn-Linie 1 im Hamburger Nordosten und zwischen Hamburg und Lübeck müssen wegen umgefallener Bäume gesperrt werden. Auch der Busbetrieb ist teilweise eingeschränkt, eine Haltestelle in Wandsbek wurde völlig unterspült.
Ab 17 Uhr gehen innerhalb von rund 90 Minuten mehr als 300 Notrufe allein bei der Hamburger Feuerwehr ein. Im Schanzenviertel und Eppendorf, in Rahlstedt und Blankenese laufen zeitgleich zahlreiche Keller voll. Die Straßen sind mit Autos verstopft, die Rettungskräfte an der Belastungsgrenze. Auch der Sprecher der Hamburger Feuerwehr, Thorsten Grams, kann seinen Lagedienst mehr als eine Stunde lang telefonisch nicht erreichen. „Das habe ich in den 23 Jahren, die ich jetzt bei der Feuerwehr tätig bin, noch nicht erlebt“, sagt Grams.
Auch der Inhaber des Fischereihafen Restaurants, Dirk Kowalke, hat am Abend zu spüren bekommen, wie viel Kraft in dem extrem kurzen, extrem heftigen Unwetter steckt. Auf einem Firmengebäude direkt neben seinem Restaurant löst sich ein Vordach und kracht auf ein Auto. Der 26 Jahre alte Mann wird im Auto von den Trümmern erschlagen, seine schwangere Freundin, 25, schwer verletzt – über den Zustand der jungen Frau und ihres ungeborenen Kindes gibt es bis zum späten Abend keine weiteren Details. „Diese Sache nimmt mich sehr mit“, sagt Kowalke dem Abendblatt. Trümmerteile des Vordachs hätten zudem den Wagen eines Mitarbeiters beschädigt.
Der Sturm hat verheerende Schäden verursacht: Am Burchardkai im Containerhafen in Hamburg-Waltershof reißen sich durch den heftigen Sturm fünf Containerschiffe los. Sie trieben aufeinander zu und berührten sich, sagte ein Sprecher der Polizei. Niemand kam zu Schaden. Es sind keine Gefahrenstoffe ausgelaufen. Schlepper mussten die Schiffe zurück an die Kaianlagen bugsieren.
In Schleswig-Holstein blieben drastische Schäden des Sturms bis zum Abend aus. Auch in Lübeck fielen Bäume um, machten Verkehrsschilder sich plötzlich selbstständig und wirbelten durch die Luft. In der Hansestadt konnten die Einsatzkräfte die Aufräumarbeiten in der Nacht ebenso abschließen wie in Bremen, Oldenburg und Stade.
Ausnahmezustand in Bützow
In der Kleinstadt Bützow bei Rostock bot sich dagegen am frühen Mittwoch ein Bild der Verwüstung. Die Hauptstraße durch den Ort war gesperrt, überall auf den Straßen lagen Ziegel von abgedeckten Dächern. Auch an den Dächern der Kirche und des Rathauses waren schwere Schäden zu sehen. Ein Polizeisprecher in Rostock sagte: „Es gilt da erst mal wieder ein ziviles Leben aufzubauen, über die Schadenshöhe hat noch niemand nachgedacht.“ Bei dem Unwetter waren nach Angaben von Landrat Sebastian Constien vom Vorabend etwa 30 Menschen durch umherfliegende Trümmerteile leicht verletzt worden.
Tatsächlich war kaum ein Ort so stark von dem Tornado betroffen wie die 8000-Einwohner-Stadt. Mehr als 150 Einsatzkräfte waren bis tief in die Nacht damit beschäftigt, Trümmerteile von den Straßen zu entfernen. Die Innenstadt von Bützow sollte bis mindestens 6 Uhr am Mittwoch gesperrt bleiben. Der Unterricht in zwei Schulen fällt aus. Bei den Unwettern waren nach Angaben von Landrat Sebastian Constien etwa 30 Menschen durch umherfliegende Trümmerteile leicht verletzt worden. Bürgermeister Christian Grüschow sprach von „massiven Schäden“.
Für Betroffene waren zwei Sporthallen zu Notunterkünften umfunktioniert worden. Wegen der zum Teil stark beschädigten Gebäude können zahlreiche Bewohner wahrscheinlich erst am Wochenende in ihre Häuser zurückkehren. „Davon ist in den meisten Fällen auszugehen. Zunächst werden bei Tageslicht alle Schäden gesichtet“, sagte ein Sprecher der Rettungsleitstelle Bad Doberan am frühen Mittwochmorgen. Ab 7 Uhr wollen die Einsatzkräfte ihre Arbeit fortsetzen. Mit Material von dpa