Hamburg . Insgesamt sind sogar 200 Kitas sind von den Arbeitsniederlegungen betroffen. Erzieher fordern Neubewertung ihrer Berufsgruppen.

Viele Eltern in Hamburg standen gestern mit ihren Kindern vor verschlossenen Kita-Türen – viele Erzieher in der Kirche. Denn die Kulturkirche St. Johannes in Altona diente als Streiklokal der Ver.di- und GEW-Mitglieder, hier gab es Erbsensuppe und Streikgeld.

Dem Aufruf der Gewerkschaften waren mindestens 2000 Erzieher gefolgt, entsprechend groß waren die Auswirkungen für Kitas und Sozialeinrichtungen. „In der ganzen Stadt waren mehr als 200 Kitas geschlossen oder nur mit Notgruppen besetzt“, sagte die zuständige Ver.di-Referatsleiterin Sigrid Ebel. Auch die Nachmittagsbetreuung an Schulen (GBS) war betroffen. Zur zentralen Streikkundgebung am S-Bahnhof Sternschanze kamen nach Polizeiangaben am Morgen rund 2000 Menschen, die vor Ort lautstark ihren Unmut bekundeten – ausgestattet mit den üblichen Trillerpfeifen und Spruchbändern („Bildung ist mehr wert“).

Von insgesamt 1100 Hamburger Kitas waren die 220 tarifgebundenen Einrichtungen zum Streik aufgerufen. Allein von den 180 Elbkinder-Kitas seien nur 29 ohne Einschränkungen geblieben, teilte die Elbkinder-Vereinigung mit. 48 Kitas seien ganz geschlossen gewesen. Insgesamt hätten sich etwa 44 Prozent der 4100 pädagogischen Mitarbeiter am Streik beteiligt.

Die Streikenden wollten mit ihrer Aktion für die dritte Verhandlungsrunde am morgigen Donnerstag in Düsseldorf den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Bereits vor Ostern waren Erzieher und Sozialarbeiter in den Ausstand getreten. „Dieses Mal wurden unsere Erwartungen übererfüllt“, sagte Ebel angesichts der Streikbeteiligung. „Die Beschäftigten haben deutlich gemacht: ,so nicht‘. Sie sind bereit, für die Aufwertung unserer Berufsgruppen auf die Straße zu gehen.“

Viele Eltern haben einerseits Verständnis, sind andererseits sauer

Bei den betroffenen Eltern stieß der Streik auf ein unterschiedliches Echo. „Ich verstehe beide Seiten. Es ist ja genau richtig, wofür die Erzieher streiken, aber der Streik mit komplettem Betreuungsausfall stellt uns als berufstätige Eltern vor die Frage, was wir mit unserem Kind machen sollen“, befand Nico aus Eimsbüttel, Mutter eines zweijährigen Sohnes, der in eine Elbkinder-Kita geht. „Ich habe keine Eltern in der Nähe, die einspringen könnten, meine Freunde arbeiten auch alle. Die Möglichkeit der Notbetreuung finde ich auch nicht vorbehaltlos toll. Ich kann mein Kind ja nicht in irgendeine diensthabende Kita bringen, die es nicht kennt, mit Menschen, die ihm nicht vertraut sind. Ich habe das Gefühl, dass ich niemandem in dieser Situation gerecht werden kann.“

In der Kita Kaiser-Friedrich-Ufer waren gestern lediglich 15 Kinder in der Notbetreuung, die anderen mussten wegen des Streiks zu Hause bleiben. Eigentlich hätte Maria Drechsler (Name geändert) Verständnis dafür gehabt, dass sie ihre vierjährige Tochter erneut selbst betreuen musste. „Es ist vollkommen richtig, dass gestreikt wird. Erzieher und Erzieherinnen müssen mehr verdienen“, sagt die Eimsbüttlerin. Trotzdem ist sie verärgert. In letzter Zeit, sagt sie, sei eine zuverlässige Fünf-Tage-Betreuung schon häufiger wegen Betriebsversammlungen und Schulungstagen für das Personal nicht gewährleistet gewesen. Zudem sei das Prinzip, das die Leitung der Kita ihrer Tochter bei der Vergabe der 15 Notfallplätze anwende, für die Eltern nicht durchschaubar. Nach Angaben von Gewerkschaftern haben die Kita-Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren rund zwölfmal gestreikt.

Während die Eltern gestern Vormittag versuchten, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern, zogen die Streikenden – begleitet von lauter Musik und Parolen („Wir sind hier, wir sind raus, weil man uns die Kohle klaut“) – von der Sternschanze zur Kulturkirche Altona, wo sie sich in einem Streikcafé stärkten und das Streikgeld kassierten.

„Wie die Hälfte aller Erzieher arbeite auch ich in Teilzeit und bekomme dafür 1350 Euro. Das sind 30 Stunden pro Woche, die vollgepackt sind bis zum Anschlag“, sagte Erzieher Nils Asmussen vom Naturkindergarten Kokopelli in Berne. Alleine der Papierkram habe sich in den letzten Jahren vervielfacht, es müsse so vieles dokumentiert werden. „Zum Glück haben wir tolle Eltern. Ich liebe meinen Beruf, sonst würde ich ihn für das wenige Geld ja gar nicht machen“, erklärt Nils Asmussen. Ganz ähnlich sieht es Anne-Kathrin Thiele von der Kita Struenseestraße in Altona: „Uns geht es auch darum, dass unser Beruf endlich die Anerkennung bekommt, die er verdient. Die Belastungen haben in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Wir sind immer mehr zu Erziehungsberatern geworden; überhaupt nimmt das Arbeitspensum ständig zu.“

Und Monika Schlick-Breuer und Jennifer Kuckling von der Kita Tornquiststraße in Eimsbüttel sagten: „Uns ist wichtig, dass sich der Betreuungsschlüssel ändert. Wir sind oft alleine mit 16 Kindern im Alter bis zu drei Jahren. Außenstehende können sich nicht vorstellen, was das bedeutet.“

Die Gewerkschaften wollen neue Eingruppierungen

Die immer wieder beklagte schlechte Bezahlung ist auch Kernpunkt bei den aktuell laufenden Tarifverhandlungen. Sollten sich die Gewerkschaften durchsetzen, könnte dies im Schnitt ein Einkommensplus von zehn Prozent bedeuten. Außerdem profitierten laut Ver.di indirekt auch die mehr als 500.000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst bei freien und kirchlichen Trägern.

Gewerkschaftssekretärin Sigrid Ebel machte unterdessen deutlich, dass die Arbeitnehmervertreter bereit seien zu weiteren Maßnahmen. „Wenn bei der nächsten Verhandlungsrunde nichts von den Arbeitgebern kommt, machen wir ganz schnell weitere Streiktermine“, sagte sie dem Abendblatt. Große Hoffnungen auf eine schnelle Einigung haben offenbar beide Seiten nicht. Am 16. April in Hannover und am 20./21. April in Frankfurt sind bereits weitere Verhandlungstermine geplant.