Hamburg. Der ADFC möchte Radler in beide Richtungen fahren lassen. Studien zur Unfallgefahr stützen Forderung. Weiterer positiver Nebeneffekt.

Wer mit dem Auto durch eine Hamburger Einbahnstraße fährt, begegnet immer häufiger Radfahrern, die in der Gegenrichtung unterwegs sind. Das ist kein Verkehrs­verstoß, sondern seit der geänderten Verwaltungsvorschrift zur Straßen­ver­­kehrsordnung vielerorts gängige Praxis. Einbahnstraßen können seitdem leichter für den Fahrradverkehr in Gegenrichtung geöffnet werden. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) drängt jetzt darauf, in Hamburg noch mehr Strecken in der Gegenrichtung für den Radverkehr zu öffnen.

„Die Freigabe weiterer Einbahnstraßen ist ein Muss“, sagte ADFC-Sprecher Dirk Lau dem Abendblatt. Der Verband beruft sich dabei auf die Rechtslage und nennt unter anderem die Blankeneser Straße am Kiekeberg, die Wexstraße (Neustadt) und die meisten Einbahnstraßen im Bergedorfer Villenviertel. „Dort sollte die Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben werden.“

In der Hansestadt gibt es rund 810 Einbahnstraßen. Nach ADFC-Erhebungen sind 53 Prozent bereits in der anderen Richtung für Biker frei, aber 47 Prozent eben noch nicht. Der Verband verlangt daher eine weitere Liberalisierung. „Die Freigabe ist vonseiten der Straßenverkehrsbehörde kein Wohlwollen, sondern eine Verpflichtung", behauptet Lau und verweist auf die Rechtslage. Sie gebe vor, dass Verkehrsbeschränkungen nur zulässig seien, wo die örtliche Gefahr das allgemein im Verkehr übliche Maß übersteige. „Die Einbahnstraßen sind aber nicht wegen der Radfahrer gemacht. Daher sind diese zu Unrecht betroffen.“

Repräsentative Umfragen des Kfz-Versicherers R+V 24 belegen allerdings, dass rund ein Viertel der Autofahrer in Einbahnstraßen gar nicht mit entgegenkommenden Radfahrern rechnet. Andererseits dokumentieren statistische Erhebungen über die „Verkehrssicherheit in Einbahnstraßen mit gegengerichtetem Radverkehr“, dass es in nur drei Prozent der Straßen zu mehr als einem Unfall kam. „Begegnungsunfälle Rad-Kfz treten in gemäß Straßenverkehrsordnung geöffneten Einbahnstraßen praktisch kaum auf, anteilig häufiger dagegen in nicht geöffneten Einbahnstraßen“, heißt es in einer Zusammenfassung der Studie.

Nebeneffekt: Durch die Öffnung der Einbahnstraßen werden die Hauptverkehrsstraßen von Radfahrern entlastet. Professor Jürgen Gerlach vom Forschungsgebiet Straßenverkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal betont in diesem Zusammenhang, dass zwischen Radfahrern und Autos eine „ausreichende Begegnungsbreite“ existieren müsse. „Der Fahrstreifen sollte dabei 3,50 Meter breit sein. Außerdem muss ein ausreichender Schutzraum für Radfahrende vorhanden sein.“

In den vergangenen Jahren wurden nach ADFC-Angaben in der Hansestadt immer mehr Einbahnstraßen in der Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben. Allein im Jahr 2012 waren es nach Gesprächen zwischen Verkehrsdirektion und ADFC 195 und von 2013 bis 2015 weitere acht Einbahnstraßen. Kurzzeitig gab es auch freie Fahrt in der Blankeneser Straße am Kiekeberg – bis die Regelung wieder kassiert wurde. ADFC-Sprecher Lau sagt zur behördlichen Freigabepraxis: „Sie ist von Polizeikommissariat zu Polizeikommissariat unterschiedlich, quasi willkürlich.“

Ein Sprecher der Hamburger Polizei sagte zum Abendblatt: „Wir haben in den vergangenen Jahren durch die örtlichen Straßenverkehrsbehörden mehrfach und regelmäßig kontrollieren lassen, wo weitere Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet werden können.“ Dies habe dazu geführt, dass mittlerweile „mehrere Hundert Einbahnstraßen“ für solche Fälle offen seien. Der Polizeisprecher betonte, dass es sich bei der Regelung um eine Kann-Bestimmung handele. Der Radverkehr könne in Gegenrichtung zugelassen werden, „wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 30 Stundenkilometer beträgt und eine ausreichende Begegnungsbreite vorhanden ist, ausgenommen an kurzen Engstellen“.

Der ADFC plädiert derweil neben den bereits genannten Straßen für die Freigabe der Papenhuder Straße (südlich des Mundsburger Damms), des Schleyerrings (Steilshoop) und der Nebenstraßen der Mönckebergstraße.