Hamburg. Hamburg will den Anteil des Radverkehrs von zwölf auf 25 Prozent steigern. Abendblatt-Reporter haben ausprobiert, wie gut man derzeit vorankommt.

Vier Richtungen, vier Reporter, ein Ziel: Nachdem sich SPD und Grüne bei ihren Koalitionsverhandlungen in dieser Woche bereits auf ein ganzes Maßnahmenbündel zum Ausbau des Radverkehrs in Hamburg verständigt hatten, hat das Abendblatt sich den Zustand der Radwege angesehen. Von unterschiedlichen Startorten radelten die Tester Richtung Innenstadt. Wo sind große Schwachpunkte, wo hat es bereits Verbesserungen gegeben, was könnte beispielhaft sein? Das wollten wir wissen.

Ergebnis: Noch immer ist ein großer Teil des 1500 Kilometer langen Radwegenetzes ziemlich marode. Und manche Kreuzung ist nicht nur umständlich für Radler zu befahren, sondern ist auch sehr gefährlich, weil man dort aus dem Blickfeld des Pkw- und Lkw-Verkehrs gerät. Allerdings ließ die Stadt auch viele neue Radfahrstreifen anlegen. Doch dieses Glück ist oft nur von kurzer Dauer, weil die meisten Abschnitte sehr kurz sind. Und: Oft genug versperren auf den für Radler angelegten Streifen Zweite-Reihe-Parker den Weg, was einen Radfahrer dann zu gefährlichen Schlenkern in den Verkehr daneben zwingt. Von einer Fahrradstadt, wie von den Grünen propagiert, ist Hamburg ein ganzes Stück entfernt.

Von Buxtehude über die Elbe und an der Hafenkante entlang

Für den Umland-Bewohner führt der Weg in die Stadt zunächst durch die Obstbaumlandschaft des Alten Landes. Tempo 30 ist hier kein Problem. Doch nach der Landesgrenze ist es vorbei mit dem flotten Radeln. Der eben noch gute Radweg mündet in Neuenfelde in eine schmale Bahn. Also ab auf die Straße, rein in die Schlange der Pendler-Autos.

Gegenüber vom Airbus-Werk dann ein kurzer Stopp an meiner Lieblingsampel: Auto um Auto, meist nur mit einem Fahrer besetzt, strömt auf dem Obstmarschenweg vorbei. Doch ein kurzer Tastendruck, und schon gibt es für mich Grün. Entlang des scheinbar endlosen Flugzeugwerks führt dann ein breiter Fahrradweg, der schon jetzt so etwas wie ein Radschnellweg ist. Er verläuft später entlang einer alten Güterbahnschiene fast bis zu den Fähren in Finkenwerder. Auf der anderen Elbseite lässt ab Teufelsbrück ein breiter Weg genügend Platz für Radler, Jogger und Fußgänger. Rechts das Wasser, links der Elbhang – es könnte der schönste Arbeitsweg des Landes sein. Wenn nur die Schiebestrecke in Övelgönne nicht wäre. Obwohl hier der offizielle Nordsee-Fernradweg entlang führt, verbietet die Stadt auf einem schmalen Weg entlang der Kapitänshäuschen das Radeln und man muss schieben – oder schummeln und dennoch radeln.

Vom Museumshafen aus geht es wieder weiter auf der Straße, plötzlich gibt es dort sogar einen eigenen Radfahrstreifen, der aber ebenso plötzlich wieder endet – und man findet sich auf üblem Kopfsteinpflaster wieder. Ich weiche aus und fahre hinter den alten Kühlhallen am Fischereihafen weiter. Schlaglöcher, geparkte Autos, Spaziergänger machen diesen Abschnitt nicht leicht. Ein kurzes Stück dann wieder auf breiter Fahrbahn vorbei am Kreuzfahrtterminal Altona zur Großen Elbstraße. Noch vor kurzer Zeit war diese Ecke mit dem groben Kopfsteinpflaster bei Radfahrern gefürchtet. Doch der Bezirk Altona hat inzwischen erheblich nachgebessert: Ein eigener Radweg auf gerade geschnittenem Kopfsteinpflaster ermöglicht nun einwandfreies Radeln bis zur Promenade an der St. Pauli Hafenstraße. Hier nun die Wahl: rauf auf die Straße, wo der Pkw-Verkehr schnell vorbeiprescht. Oder auf die Promenade zum „Touristen-Slalom“.

Dann wieder ein neuer Radfahrstreifen, der seit kurzem an Landungsbrücken und Überseebrücke vorbeiführt. Doch die Herrlichkeit ist schnell wieder vorbei, Autos, die abbiegen, können kreuzen. Oder Klein-Lkw versperren den Weg, deren Fahrer den Unterschied zwischen Radfahr- und Parkstreifen nicht verstanden haben. Oder nicht verstehen wollen.

Auf Buckelpisten von Lurup durch Ottensen und St. Pauli

Auf der Luruper Chaussee fährt es sich prima, weil neben der Fahrbahn breite Parkstreifen verlaufen, auf die man ausweichen kann. Das ändert sich auf Höhe Bahrenfelder Chaussee: Fuß- und Radweg werden immer schmaler, hinter der Einmündung Theodorstraße endet der Radweg schlagartig, weil die Straße dicht an der Altbaubebauung verläuft. Ab Regerstraße kann man sich fast nur noch auf der Fahrbahn fortbewegen – kein sehr angenehmes Gefühl, weil die Autos schnell unterwegs sind.

An der Einmündung der Von-Sauer-Straße radle ich ein Stück zurück, um mir das Treiben an einer der für Radfahrer gefährlichsten Ecken anzusehen: Dort, wo Autos und Lkw von der Autobahn kommend auf den Bahrenfelder Marktplatz treffen. Jeden Tag fahren vor allem ortsfremde Lkw hier zügig durch. Wer als Radfahrer vom Osdorfer Weg her kommt und den Marktplatz kreuzt, ist in großer Gefahr: Die Lkw-Fahrer in den hohen Kabinen blicken erschreckend oft nicht nach unten zum Zebrastreifenrand. Obwohl Schilder auf den Überweg hinweisen! Nur weil viele Radler die Ecke kennen und aufpassen, passiert hier nicht mehr.

Statt den recht gut ausgebauten Radweg an der Stresemannstraße zu nehmen, biege ich auf die Friedensallee ein. Auch wer kein Nörgler ist, muss entgeistert sein: Ab Lyserstraße ist der Radweg eine einzige Buckelpiste aus unterschiedlichen Beschichtungen, Schlaglöchern und Bodenwellen. Es gibt wohl nur wenige Radwege, die an so vielen Stellen so stark von Baumwurzeln hochgedrückt sind.

Nahe der „Fabrik“ biege ich links auf die Barnerstraße ein. Schlimm: Viele Autofahrer parken in der zweiten Reihe, die Fahrt Richtung Bahnhof Altona gleicht einem einzigen Hindernis-Parcour – dabei wurde der Belag erst vor kurzem erneuert, ohne dass ein Radstreifen kam. Durch den Lessingtunnel fährt kein Radfahrer ohne mulmiges Gefühl. Er ist düster, und der neu angelegte Radweg endet im Nirwana. Dahinter geht es steil bergauf durch die Julius-Leber-Straße, auf der geparkte Autos schnelles und konzentriertes Einfädeln erfordern. Weiter durch die Chemnitzstraße, die am Anfang total kaputt ist. Immerhin sorgen Bügel und eine geschickte Einbahnstraßenführung für eine gutes Miteinander von Radlern und Autofahrern. Auch auf der Thadenstraße, die bergab zum Neuen Pferdemarkt führt, muss man aufpassen. Am Neuen Kamp in Richtung Feldstraße sind auf Höhe der Rindermarkthalle Fuß- und Radweg extrem schmal. Dass die Feldstraße zurzeit umgebaut wird, sorgt für viele Engpässe, an Radler wurde leider nicht gedacht. Zum Gänsemarkt ist es dann nur noch ein kurzes, gepflegtes Stück. So breite Radwege wie am Sievekingsplatz müsste es überall geben.

Von Niendorf über Kollaustraße und Hoheluftchaussee

Kollaustraße: entspanntes Fahren vorbei an der Niendorfer Kirche. Qualität und Art des Fahrbahnbelages werden die kommenden 40 bis 45 Minuten alle paar Meter wechseln. Mal gibt es neue glatte rote Fahrradspuren, mal fährt man auf Bürgersteigplatten, mal ist der Radweg holperig und in einem schlechten Zustand. Auf dem Fuß- und Radweg in Höhe Papenreye fegen die Mitarbeiter der Stadtreinigung Laub zur Seite. Mit ihrem Fahrzeug stehen sie auf dem Radweg, ein paar Meter weiter häufen sie das Laub auf, ebenfalls auf dem Radweg. Also kurzer Schlenker zur Seite. Weiter Richtung Innenstadt, den Fernsehturm im Blick. Vor der Mc-Donald’s-Filiale steigt eine Frau aus einem Auto heraus und läuft fast vor das Fahrrad. Als Radfahrer kennt man solche Situationen. Klingeln, kurzes Abbremsen, weiter geht es.

Siemersplatz: Es gibt Fahrradampeln, neue Radwege. Entspanntes Fahren bis kurz hinter dem Siemersplatz. An der Ladenzeile am Lokstedter Steindamm führt der Radweg in eine Parkbucht für Autofahrer, die hier ein- und ausparken. Autos setzen zurück. Lieber stehen bleiben und warten, bis der Rangiervorgang beendet ist.

Ein paar Meter weiter der Klassiker: Zwei Autos sind auf dem Radweg geparkt. Ab Gärtnerstraße/Ring 2 wird der Radweg holperig . Er ist in einem erbärmlichen Zustand und wird an der Hoheluftchaussee noch enger. Achtung Geisterfahrer! Obwohl im Recht, weiche ich dem Radfahrer lieber aus. Im Zuge einer Klage vor dem Hamburgischen Verwaltungsgericht im September 2014 wurde die Radwegebenutzungspflicht an der Hoheluftchaussee sogar aufgehoben, weil der Radweg hier nicht sicherer ist als die Fahrbahn. Für Lebensmüde vielleicht.

Gefährlich wird es an der neu ausgebauten Kreuzung Beim Schlump. Ein abbiegendes Auto, das von der Grindelallee in den Schlump fährt, erwischt mich fast, als ich weiter Richtung Innenstadt fahre. Der Fahrer hupt und gestikuliert. Denn er sieht nur, dass die Fußgängerampel Rot zeigt. Was er nicht sehen kann: Die Radfahrampel steht auf Grün.

Edmund-Siemers-Allee: Der Fahrradweg ist in beide Richtungen zu benutzen. Bei hohem Radverkehrsaufkommen ist hier viel Aufmerksamkeit gefordert. Vor dem Dammtorbahnhof blockieren Fußgänger, die an der Ampel stehen, den Radweg. Wieder klingeln, wieder vorwurfsvolle Gesichter. Rechts auf den Dammtordamm geht es über eine eigene Radfahrpur ohne Zwischenfälle bis zum Gänsemarkt.

Von Wandsbek durch Dulsberg und östlich der Alster entlang

Wer über Friedrich-Ebert-Damm und Dehnhaide in Richtung Innenstadt radelt, wird an vielen Stellen an die Zeiten erinnert, als diese Art der Fortbewegung noch wenig populär war: schmale Fahrradwege, gepflastert oder geteert, mit Bodenwellen, in denen sich Wasser, Laub und Schlamm sammeln. An vielen Stellen ist der Belag von Baumwurzeln aufgeworfen, anderswo fehlt er ganz.

In Höhe des UCI-Kinos steht mir ein Pick-Up im Weg – gut, dass der Bürgersteig breit genug zum Ausweichen ist. Kurz darauf ist es der Fuß eines temporären Parkverbotsschilds. Ebenso wie gedankenlos auf dem Radweg abgestellte Mülltonnen ein häufiges Ärgernis für Radler. Weiter geht es hochbords – also auf dem Bürgersteig. Obwohl mir einmal ein Mann fast vors Fahrrad läuft, bin ich hier lieber unterwegs als auf den Radwegen auf der Straße. Dort droht immer Gefahr durch Autofahrer, die mich beim Aussteigen oder Ausparken übersehen könnten.

Statt vom Barmbeker Markt die Hamburger Straße in die Innenstadt zu nehmen, fahre ich geradeaus auf die Weidestraße. Ich will einen Schlenker über den Mühlenkamp machen, wo kürzlich neue Radfahrstreifen angelegt wurden. Der Hochbordweg wird durch einen Radfahrstreifen abgelöst. Sofort zwingt mich ein geparkter Kurierwagen, mich in den fließenden Verkehr einzufädeln. Ärgerlich! Entlang der Barmbeker Straße radle ich auf einem breiten Radweg, wieder hochbords. Dann geht es auf der Fahrbahn durch die Semperstraße und links auf den Mühlenkamp. Schon nach wenigen Metern blockieren Limousinen und Lieferautos den Radfahrstreifen. Auch auf der anderen Straßenseite stehen Autos – eine für Radler extrem gefährliche Situation, weil sich alle Verkehrsteilnehmer, auch die langen Metrobusse, hier durchschlängeln müssen. Auf dem Hofweg gibt es ab Averhoffstraße keinen Radfahrstreifen mehr. Die Fahrbahn ist auf meiner Seite wegen der vielen Zweite-Reihe-Parker ziemlich eng. An dem Problem werden wohl auch die Radfahrstreifen, die hier im Zuge des Busbeschleunigungsprogramms eingerichtet werden sollen, nichts ändern. Denn wo sollen die Autos in dem parkplatzarmen Viertel sonst stehen?

Froh, dass ich die Straße kurz darauf verlassen kann, fahre ich auf gut ausgebauten Radwegen die Außen- und Binnenalster entlang, dann über den wenig befahrenen Neuen Jungfernstieg und über einen heute nur durch einen einzigen Kurierfahrer blockierten Radfahrstreifen gen Gänsemarkt.