SPD verpasst absolute Mehrheit nur knapp. Der Bürgermeister selbstbewusst: „Wir werden den Auftrag umsetzen. Darauf können sich alle verlassen.“
Ottensen/Neustadt. Er ist der eindeutige Sieger dieses Wahlabends, das steht sehr früh fest, aber er ist kein Triumphator: Olaf Scholz und die SPD haben die politischen Gegner, allen voran die CDU deklassiert. Aber sein großes Ziel – die Wiederholung der absoluten Mehrheit – hat der Erste Bürgermeister nicht erreicht. Das bestätigt sich in den ersten Prognosen nach Schließung der Wahllokale wie auch bei den späteren Hochrechnungen.
Für überbordende Emphase besteht also kein Grund – sie liegt Olaf Scholz bekanntlich ohnehin nicht. Gerade im Augenblick des Erfolgs bewahrt dieser Politiker zumindest in seinen öffentlichen Äußerungen stets große Zurückhaltung. „Das ist ein ganz großer Vertrauensbeweis für mich. Einen schönen Dank für das Vertrauen und die Zustimmung“, sagt Scholz so oder so ähnlich ein ums andere Mal, als er im Wahlzentrum im CCH von Sender zu Sender eilt. Aber eins ist in den ersten Analysen sehr schnell klar: Scholz wird die Hamburger Politik weiterhin entscheidend bestimmen. Das SPD-Ergebnis mit nur geringen Verlusten gegenüber 2011 macht es jedem Koalitionspartner schwer. Das Selbstbewusstsein der SPD ist unverändert hoch.
„Absolute Mehrheit dahin“, flucht ein Mann mit Scholz-Butto
Die Zurückhaltung des Bürgermeisters und SPD-Vorsitzenden teilen die Parteifreunde und Unterstützer nicht, die zur Wahlparty in die Ottenser Fabrik gekommen sind. Im Gegenteil: Die letzten Sekunden vor der ersten Prognose zählen die SPD-Anhänger in der Fabrik lautstark mit. Doch dem ersten Jubel für die Ergebnisse für SPD und CDU folgt nach den Zahlen von FDP und AfD Betroffenheit – wenigstens für einen Augenblick. „Absolute Mehrheit dahin“, flucht ein Mann mit Lederjacke und Scholz-Button am Revers. „Abwarten“, beruhigt ihn die Nachbarin.
„Das ist trotzdem mehr als erwartet“, meint Uta Köhne aus Reihen der SPD-Altona. „Den Umfragen hatte ich ohnehin nicht getraut.“ Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) spricht aus, was viele denken: „Ich hatte mir die absolute Mehrheit erhofft, aber Politik ist eben kein Wunschkonzert.“ Stimmung und Optimismus wollen sich die mehr als 1000 Sozialdemokraten dennoch nicht rauben lassen. Exklusiv für mehr als ein Dutzend Kamerateams spenden sie wunschgemäß begeistert Beifall und skandieren: „Olaf, Olaf.“
Dieser erscheint dann auch wie gerufen. Um 18.10 Uhr betritt Olaf Scholz die Fabrik – Seite an Seite mit Ehefrau Britta Ernst. Von Personenschützern abgesichert, bahnt er sich den Weg zur Bühne. Blitzlichter. Jubelschreie. Hoffnung. Am Rednerpult spricht Scholz von einem „großartigen Wahlergebnis“ und einem „langen Abend“ bis zur Entscheidung. Das Vertrauen berühre ihn.
Scholz wirkt so wie immer: ruhig, sachlich, nicht gerade von sizilianischem Temperament beseelt. Von Euphorie ist auch im Moment des großen Erfolgs keine Spur. Seinem Dank an die Hamburger und die Wahlkämpfer seiner Partei folgt eine Garantie: „Wir werden den Auftrag umsetzen. Darauf können sich alle in der Stadt verlassen.“
„Ein klein wenig kann aber jetzt schon gefeiert werden“, ruft er zum Schluss seiner vierminütigen Ansprache. Eine Spaßbremse möchte er nicht sein, auch wenn das ganz große Ziel einer absoluten Mehrheit in weiter Ferne liegt. Sodann ergreift Olaf Scholz mit seiner rechten Hand die linke seiner Frau. Beide genießen oben auf dem Podium Applaus und Anfeuerungsrufe. Und aus den Lautsprechern schallt Rock der kanadischen Band Nickelback: „What are you waiting for?“
Ja, auf was wartest du? Auf bessere Nachrichten natürlich, auf die absolute Mehrheit. Viele haben hier die Hoffnung zu Beginn des Abends noch nicht aufgegeben. Im Schleichtempo macht sich der alte und neue Bürgermeister auf den Weg zum Medienmarathon. Mit Gespür für das Klima an der Basis hatte Scholz seiner Partei zuerst Referenz erwiesen.
Scholz ergeht es wie seinen Vorgängern Ole von Beust und Henning Voscherau
Am Ende reicht es nicht. Gut zwei Prozentpunkte fehlen. Scholz wird nicht dem legendären Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann (SPD) nacheifern können, der 1966 und 1970 zweimal nacheinander die absolute Mehrheit holte. Aber Weichmann hatte es auch nicht mit sechs anderen Parteien zu tun, sondern nur mit CDU und FDP. Scholz ergeht es vielmehr so wie seinen Vorgänger Henning Voscherau (SPD) und Ole von Beust (CDU), die beide einmal die absolute Mehrheit holen konnten (1991 und 2004), sie aber in der darauffolgenden Wahl nicht wiederholen konnten.
Letztlich ist Scholz’ Wahltaktik nicht ganz aufgegangen: Er hatte immer gesagt, dass er im Fall der Fälle mit den Grünen reden werde, was vor allem bürgerliche Wähler veranlassen sollte, ihn und die SPD zu wählen, um die Grünen außen vor zu halten. Und Scholz hatte stets betont, dass er nicht mit einem Einzug der FDP in die Bürgerschaft rechne. Das ist bekanntlich anders gekommen. „Ich sage vor der Wahl, was ich nach der Wahl tun werde“, hatte Scholz seit Wochen mantrahaft wiederholt. Daran muss er sich nun messen lassen: Er hatte im „Kreuzverhör“ von Hamburg 1 und Abendblatt eine Koalition mit FDP oder CDU ausgeschlossen.
Und schon am Wahlabend machten Scholz und seine Parteifreunde deutlich, dass die Koalitionsverhandlungen für die Grünen kein Spaziergang werden. Die Essentials der SPD sind klar: Elbvertiefung, der U-Bahn-Ausbau, Nein zur Stadtbahn, unvermindert hohes Tempo beim Wohnungsneubau.
„Wir werden alle Zusagen, die wir vor der Wahl gemacht haben, auch nach der Wahl einhalten“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Er rechne gleichwohl „mit guten Gesprächen und guten Verhandlungsergebnissen“ mit den Grünen. Und noch etwas wird an diesem Abend deutlich: Das komplizierte Wahlrecht zu ändern, wird bald Aufgabe der Bürgerschaft sein. „Das liegt am Wahlrecht“, sagt Altbürgermeister Ortwin Runde (SPD) am Abend zur erneut gesunkenen Wahlbeteiligung.