Nach dem Baustopp für das Flüchtlingsheim an der Sophienterrasse bremsen Richter auch den Plan für das „Pergolenviertel“ mit 1400 Wohnungen aus. Die Kleingärtner gewinnen dadurch mindestens ein Jahr.
Barmbek-Nord. Momentan macht die Idylle Winterschlaf. Doch im Sommer ist das Kleingartengebiet zwischen Alte Wöhr und Hebebrandstraße ein Paradies. Friedhelm Stepat und Uwe Puttfarcken – zwei der Schrebergärtner – fürchten um die Zukunft des waldähnlichen Biotops, zu dem sich die benachbarten Kleingartenvereine „Heimat“ und „Barmbeker Schweiz“ in fast 100 Jahren entwickelt haben. Denn auf dem 32 Hektar großen Gelände in Stadtparknähe sollen 1400 Wohnungen gebaut werden.
Jetzt scheint die Gefahr aus Sicht der Kleingärtner erst einmal gebannt zu sein, denn nur wenige Tage nach dem Baustopp für ein Flüchtlingsheim an der Sophienterrasse müssen der Senat und ein Bezirksamt wieder eine Schlappe hinnehmen. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg entschied am Dienstag, dass der Bezirk Hamburg-Nord den entsprechenden Bebauungsplan Winterhude 42 (Pergolenviertel) vorerst nicht beschließen darf.
Bezirksversammlung und Bezirksamt Hamburg-Nord respektieren diese Entscheidung, befürchten aber in einer Pressemitteilung, „dass eines der größten Hamburger Wohnungsbauvorhaben in seinem Zeitplan um ein Jahr zurückfallen kann“. Hintergrund für die Verzögerung ist die Vertragslage mit den Kleingärtnern. Wird ihnen nicht bis zum 4.Februar gekündigt, ist eine ordnungsgemäße Kündigung erst wieder zu Anfang Februar 2016 möglich.
Aufschub durch Langsamkeit
Grund für die Gerichtsentscheidung ist die Tatsache, dass noch nicht gerichtlich über ein Bürgerbegehren entschieden wurde. Das hatten Stepat und Puttfarcken mit ihrer 2011 gegründeten Bürgerinitiative „Eden für Jeden“ angemeldet. Trotz mehr als 10.100 Unterschriften erklärte der Bezirk es zunächst für unzulässig. Dagegen reichte die Initiative vor dem Verwaltungsgericht Klage ein. Das war von 21 Monaten; durch die Langsamkeit des Verfahrens gewinnen die Kleingärtner bereits das zweite Jahr Aufschub.
„Es freut uns sehr, trotzdem haben wir Bedenken für die Zukunft“, sagt Puttfarcken, dessen Kleingarten seit 1956 in Familienbesitz ist. Denn die Hälfte der rund 330 Kleingärtner soll ihre Lauben aufgeben, der Rest eng zusammenrücken. In der Mitte des langgestreckten Neubaugebiets sind nur noch 160 Parzellen vorgesehen.
Noch vor Kurzem schien der Bezirk Oberwasser zu bekommen. Mitte Januar erklärte das Verwaltungsgericht die im Februar 2013 erfolgte Anweisung der Senatskommission für den Wohnungsbau an das Bezirksamt Nord – „...zügig und mit Priorität durchzuführen und unter Beachtung des Abwägungsgebotes festzustellen“ – für gültig.
Damit wäre die Bezirksversammlung Hamburg-Nord laut Bezirksverwaltungsgesetz gezwungen gewesen, dem Bebauungsplan zuzustimmen, und das Bürgerbegehren damit unzulässig. Puttfarcken: „Der Beschluss wäre in seiner Tragweite weit über unser Anliegen hinausgegangen und hätte die Demokratie in Hamburg und die Möglichkeit von zukünftigen Bürgerbegehren als Ganzes betroffen.“
Politik hat Bürgerentscheide ausgebremst
Daran hatte auch Manfred Brandt vom Verein „Mehr Demokratie“ Anstoß genommen. „Wenn der Senat den Bebauungsplan durchsetzen will, soll er das Verfahren an sich ziehen und auf Landesebene durchführen“, sagte Brandt. Diese sogenannte Evokation sei zwar unpopulär, aber rechtlich „die einzig saubere Lösung“, so Brandt. „Hier versteckt sich der Senat feige hinter der Bezirksversammlung, die dann den politischen Schaden ausbaden soll.“
So wie im Fall „Eden für Jeden“ hat die übergeordnete Politik überall in Hamburg Bürgerbegehren ausgebremst oder erfolgreiche Bürgerentscheide einkassiert. Einige Beispiele: Obwohl ein Bürgerentscheid der Initiative „Rettet das Freibad Ohlsdorf“ für den Erhalt des Bads und gegen die auf Teilen des Geländes geplante Wohnbebauung erfolgreich war, hält das Bezirksamt Hamburg-Nord wohl am Bebauungsplan „Ohlsdorf 10“ fest.
Das Bürgerbegehren für den Erhalt des Harburger Beachclubs am Veritaskai wurde von der Finanzbehörde evoziert, die dort „hochwertige Bebauung“ wünschte. Bezirksamt und die Parteien in der Bezirksversammlung erhielten eine Order von oben – nachdem es zunächst parteiübergreifende Unterstützung für das Begehren gegeben hatte.
Mieter und Anwohner kämpften mit der Initiative „Stoppt Langenhorn 73“ für den Erhalt bezahlbarer Wohnungen der Wulffschen Siedlung. Die Initiative gewann einen entsprechenden Bürgerentscheid – der vom Senat dann wieder außer Kraft gesetzt wurde. Derzeit setzt sich die Bürgerinitiative „Verkehrsberuhigung im Hamburger Westen“ dafür ein, mehrere Straßen, vor allem in Rissen, zu beruhigen oder für den Durchgangsverkehr zu sperren. Und in Wilhelmsburg kämpft eine Initiative weiterhin gegen die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße.