Der neue Erzbischof im Norden brillierte bei seinem ersten Kurzbesuch in der Stadt mit Humor und Offenheit. Heße spricht nicht wie ein weltferner Kleriker, sondern wie ein lernbereiter Kirchenmann.
Hamburg. An einem Januartag unternahm der Kölner Prälat Stefan Heße einen kleinen Einkaufsbummel durch die Domstadt. Der Priester, der direkt am Fuß des altehrwürdigen Kölner Doms wohnt, steuerte zielbewusst mehrere Buchhandlungen an. An den Regalen mit Reiseliteratur blieb der 48-jährige Kölner Generalvikar längere Zeit stehen. Schließlich wollte er einige Reiseführer über Norddeutschland kaufen. Auch über Hamburg. Der Titel „Gebrauchsanweisung für Hamburg“ sprang ihm besonders ins Auge – und er kaufte das Buch in der Hoffnung, mehr zu erfahren über Land und Leute.
Mit dem regionaltypischen „Moin!“ klappte das am Dienstag bereits bestens. Gestern nämlich traf Stefan Heße erstmals offiziell in der Hansestadt ein, nachdem er vom Hamburger Domkapitel zum neuen Erzbischof gewählt und von Papst Franziskus ernannt worden war. Der Nachfolger von Werner Thissen ist nunmehr Deutschlands jüngster katholischer Bischof und das Oberhaupt von 400.000 Katholiken in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Einige sehen in ihm schon einen Hoffnungsträger. Während die Bischofsweihe für den 14. März im Mariendom geplant ist, vermittelten sein Antrittsbesuch beim Domkapitel und die Gespräche im Erzbistum ihm jetzt jene ersten Hamburger Impressionen, die kein noch so kluger Reiseführer in Aussicht stellen kann.
Der Rheinländer brillierte bei seinem ersten Auftritt im Norden mit einem hohen Maß an persönlicher Emotionalität, Humor und Offenheit. Es bereitete ihm erkennbar keine Mühe, von dem zu sprechen, was sein Herz in diesen Tagen bewegt. Dass er bald seine lieb gewordene Heimat verlassen muss und die betagten Eltern zurücklässt. Dass er nach der Wahl durch das Domkapitel eine schlaflose Nacht hatte. Dass der Norden für ihn praktisch unbekanntes Terrain ist. Und dass er, anders als sein Vorgänger, weder HSV-Fan noch sonst ein ambitionierter Fußballanhänger ist. „Ich stehe für Transparenz, Ehrlichkeit, Authentizität. Ich bin ehrlich und offen mit Haut und Haaren. Ich komme nach Hamburg, wie ich bin. Und ich will ein weites Herz für die Menschen haben.“
Wer so spricht, kommt nicht als weltferner Kleriker daher, sondern als lernbereiter Kirchenmann. Mit seinem freundlich-gewinnenden Ton hat der neue Erzbischof tatsächlich die sonst so hierarchische Amtskirche auf den Boden eines kollegialen Miteinanders gestellt, bei dem der künftige Chef selbst Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit von den anderen einfordert. „Die Mitarbeiter“, sagt er, „sollen den Bischof nicht in Watte packen. Ich hoffe auf eine aufrichtige Diözese.“ In den nächsten Monaten, kündigte er an, werde er viele Orte in Deutschlands flächenmäßig größtem Bistum besuchen und Menschen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens kennenlernen. Und er bat um Nachsicht, sollte er noch immer rheinische Wörter verwenden, die im Norden eher unverständlich sind. „Ich kann Kölsch nicht nur trinken, sondern auch sprechen“, fügte er schmunzelnd hinzu.
Stefan Heße wurde 1966 als einziger Sohn einer Kölner Bäcker-Ehepaars geboren. Schon als Jugendlicher lernte er eine Fähigkeit, die ihm auch heute noch als Priester zugutekommt: kundenorientiert zu arbeiten. Nur dass er heute keine Brötchen mehr verkauft, sondern die christliche Botschaft unters Volk bringen will. Nach dem Theologiestudium in Bonn wurde er 1993 von Kölner Kardinal Joachim Meisner zu Priester geweiht. Es folgten Leitungsaufgaben im Erzbistum Köln, bei denen er nicht zuletzt als Diözesanadministrator organisatorisches Geschick und kirchenpolitisches Kalkül bewies. Wissenschaftlich beschäftigte sich Stefan Heße in seiner theologischen Dissertation mit dem Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar (1905–1988) und dessen Theologie der Berufung. „Balthasar ist für mich auch heute noch ein wesentlicher Impulsgeber“, sagt Heße und verweist auf ein Prinzip geistlichen Handelns: „Als betender Mensch möchte ich das weitergeben, was ich selbst empfangen habe.“
Hamburgs neuer Erzbischof bezeichnet sich selbst als eher sachlich-nüchternen, aber offenherzigen Menschen. Auf jeden Fall ist er ein Mutmacher, wenn er seinen Schäfchen im Norden zuruft: „Wir sind eine Kirche des Aufbruchs. Denn Christsein heißt Aufbrechen.“ Zudem sei das Erzbistum unter der Leitung von Werner Thissen „gut aufgestellt“. Die „Neue Kirchenzeitung“ für das Erzbistum Hamburg schreibt, Heße gehöre zu einer jungen Generation von „Hoffnungsträgern“ in der deutschen katholischen Kirche. Er gelte als guter Organisator, dialogorientiert und als „Kenner und Freund der Medien“. Immerhin war er zehn Jahre lang Rundfunk- und Fernsehbeauftragter seines Bistums und Mitglied des WDR-Rundfunkrates. Zeitweise war Heße neben dem Trierer Bischof Stephan Ackermann und dem Essener Franz-Josef Overbeck als Nachfolger von Joachim Kardinal Meisner auf dem Kölner Bischofsstuhl im Gespräch.
Was er wirklich als Hamburger Erzbischof an Veränderungen plant, lässt sich nach seiner ersten Visite noch nicht genau abschätzen. Dem Abendblatt sagte Heße, er setze auf das im Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte „Priestertum der Getauften“. Dieser Schatz der Getauften und Gefirmten müsse noch stärker entdeckt und genutzt werden. Gerade vor dem Hintergrund des Aufbaus Pastoraler Räume im Erzbistum sei eine Mitarbeit der sogenannten Laien gefragt.
Im Blick auf seine Programmatik folgten schließlich einige Reizthemen, die der Generalvikar pflichtgemäß bei seinem Presseauftritt abarbeitete. Ökumene – wichtig. „Wir wollen die guten ökumenischen Kontakte weiterführen und Gott eine Stimme geben.“ Interreligiöser Dialog – wichtig. Ehe, Familie und wiederverheiratete Geschiedene – Heße verwies an dieser Stelle auf Papst Franziskus. „Ich bin dankbar, dass der Papst das Thema anpackt.“ Sexueller Missbrauch: „Die Kirche muss sich konsequent diesem Thema stellen. Die Opfer leiden ein Leben lang.“ Luther-Jubiläum 2017: „Für uns Katholiken kein Riesenfest, weil die Reformation die Trennung der Kirche mit sich brachte.“
Wenn Gott, die Päpste und das Schicksal es wollen, könnte der Bäckersohn aus Köln 27 Jahre lang Erzbischof in Hamburg sein. Damit die institutionalisierte Religion in den kommenden Jahren nicht weiter an Bedeutung in der Gesellschaft verliert, setzt der Thissen-Nachfolger darauf, dass die Menschen den christlichen Glauben als Sinnangebot wieder neu schätzen lernen. „Es gibt viele Menschen ohne Sinnhorizont. Deshalb möchte ich ihnen den christlichen Glauben anbieten.“ Sein Leben, fügte er hinzu, habe einen Namen: „Und der ist Jesus Christus mit seinem Dienst für den Menschen.“